Genau ein Jahr ist es her, dass der damalige Innenminister Karl Nehammer die Nachfolge von Kurzzeitkanzler Alexander Schallenberg (beide ÖVP) antrat. Bei einigen zentralen Vorhaben der Regierung spießt es sich aber nach wie vor. Teils blockieren sich die Koalitionspartner gegenseitig. Manches scheitert auch an der Zustimmung der Opposition – oder an Einigkeit auf EU-Ebene. DER STANDARD gibt einen Überblick.

Seit genau einem Jahr steht an der Seite von Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) ein neuer Kanzler: Karl Nehammer (ÖVP).
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Antikorruption

Vieles von dem, was sich die Regierung im Kampf gegen die Korruption vorgenommen hat, steht auf der Kippe zum Scheitern: Allen voran das Informationsfreiheitsgesetz wird von den schwarzen Ländern blockiert. Die Abschaffung des Amtsgeheimnisses sollte mehr Transparenz schaffen – weil dann schmutzige Geschäfte im gläsernen Staat auffliegen könnten. Ein Entwurf, auf den sich ÖVP und Grüne geeinigt hatten, wird nicht und nicht beschlossen. Genauso wenig wie Verschärfungen im Korruptionsstrafrecht: Mandatskauf sollte verboten werden. Auch plant Türkis-Grün, dass Bestechlichkeit schon für Kandidaten gilt, bevor sie das angestrebte Amt innehaben – eine Lehre aus dem Ibiza-Video.

Ein jüngeres Vorhaben ist die Einführung einer Bundesstaatsanwaltschaft. Nicht mehr die Ministerin soll oberste Weisungsbehörde der Justiz sein, sondern ein Gremium aus den Berufsgruppen.

Asyl und Migration

Innenminister Gerhard Karner, der das Amt vor einem Jahr von Nehammer übernommen hat, schlug von Beginn an markige Töne bei Asyl und Migration an. Er warnte, dass große neue Migrationsbewegungen auf Österreich und die EU zukommen würden – nicht nur über die Mittelmeer-, sondern auch über die Westbalkanroute. Illegale Migration und Schleppermafia müssten entschieden bekämpft werden, lautete seine wohl meistgehörte politische Ansage. Die im Sommer noch in lichten Höhen liegende Zahl der Asylanträge ging inzwischen zwar stark zurück.

Gerhard Karner warnte, dass große neue Migrationsbewegungen auf Österreich und die EU zukommen würden.
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Die zentralen Forderungen Karners zu Asyl und Migration richten sich aber allesamt an die EU-Kommission – und sind dementsprechend auch von ihr abhängig. So will der Minister etwa, dass ein Pilotprojekt für rasche Asylverfahren an den EU-Außengrenzen eingerichtet wird und die EU-Kommission für Polizeieinsätze im Ausland etwa zum Grenzschutz und zur Bekämpfung illegaler Migration aufkommt. Von Einigkeit bei Asyl- und Migrationspolitik ist die EU allerdings aktuell weit entfernt.

Arbeitslosengeld

Es war ein Herzensprojekt von Wirtschafts- und Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP): die lange geplante Reform der Arbeitslosenversicherung. Vergangene Woche räumte Kocher ein, dass man sich mit den Grünen nicht einig geworden ist. Die ÖVP hat ein Modell vorgeschlagen, das den möglichen Zuverdienst für Arbeitslose eingeschränkt hätte. Am Tisch lag auch ein Modell für ein degressives Arbeitslosengeld in drei Stufen.

Knapp vorbei schrammte Martin Kocher an einer lang geplanten Reform der Arbeitslosenversicherung.
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Der Plan sah vor, für die ersten sieben bis zehn Tage ohne Beschäftigung kein Arbeitslosengeld auszubezahlen, also eine Karenzzeit im Gesetz zu verankern. In weiterer Folge hätte sich die Nettoersatzrate auf 70 Prozent und nach drei Monaten auf 55 Prozent belaufen. Vor allem Zuverdienstgrenzen und Karenzzeit wollte der grüne Koalitionspartner nicht mittragen. Für Kocher ist das Projekt jetzt einmal vom Tisch – gesprächsbereit bleibe er aber weiter, so der Minister.

Klimaschutz

Dafür spießt es sich insbesondere beim Klimaschutz, der den Grünen naturgemäß besonders wichtig ist – unter anderen auch an der ÖVP. Seit bald zwei Jahren ist das Klimaschutzgesetz überfällig. Konkret geht es da etwa um die von Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) als "Notbremse" geplanten automatischen Steuererhöhungen etwa der Mineralölsteuer (MöST), wenn Klimaziele verfehlt werden. Dies ging nicht nur, aber vor allem auch der ÖVP gegen den Strich. Die Grünen halten trotz Widerstands beim türkisen Koalitionspartner jedenfalls daran fest, das Gesetz doch noch Realität werden zu lassen. Sand im Getriebe gibt es bei einem weiteren wichtigen Vorhaben, dem Erneuerbaren-Wärme-Gesetz (EWG).

Leonore Gewessler muss warten.
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Anfang November hat die Bundesregierung das klimapolitisch wichtige Projekt im Ministerrat beschlossen. Es sieht den Ausstieg aus Gasheizungen bis zum Jahr 2040 und aus Ölheizungen bis 2035 vor – und das bereits ab kommenden Jahr. Das dürfte sich trotz gegenteiliger Beteuerungen der Koalitionspartner kaum noch ausgehen, weil weiterhin die notwendige Zwei-Drittel-Mehrheit fehlt.

Krisensicherheitsgesetz

Ein Jahr nach der Ankündigung hat die Regierung im November das neue Krisensicherheitsgesetz präsentiert. Kernpunkte sind die Definition von Krise, die Errichtung eines Lagezentrums, die Bestellung eines Krisenkoordinators und die Koordination zwischen allen Akteuren. Wann das Gesetz beschlossen werden kann, steht allerdings in den Sternen. Da es sich nämlich zum Teil um Verfassungsmaterien handelt, sind ÖVP und Grüne auf die Zustimmung von SPÖ oder FPÖ angewiesen. Allein: Die Opposition will dem Gesetz in dieser Form nicht zustimmen. Verhandlungen laufen zwar, eine baldige Lösung zeichnet sich allerdings nicht ab.

Glücksspiel

Seit bald zwei Jahren streiten ÖVP und Grüne über die Novelle des Glücksspielgesetzes. Diese sieht deutliche Verschärfungen für die Anbieter des vermeintlich schnellen Glücks vor. Außerdem sollen die Glücksspiel-Agenden aus dem Finanzministerium herausgelöst und in eine unabhängige, weisungsfreie Glücksspielbehörde übertragen werden. Bereits im Februar 2021 hatte die Koalition eine Ministerratsvorlage mit den wichtigsten Punkten präsentiert – umgesetzt wurde davon bislang nichts. Uneins dürften sich die Koalitionspartner in mehreren Punkten sein, unter anderem im Hinblick auf Höchsteinsätze beim Automatenglücksspiel.

Maklergebühren

Auch bei der Reform der Maklergebühren spießt es sich zwischen ÖVP und Grünen. Eigentlich sollten Mieterinnen und Mieter diese bereits ab 1. Jänner 2023 nicht mehr bezahlen müssen. Nun sei der geplante Start mit Jahresbeginn "nicht haltbar", teilten die Grünen in der Vorwoche mit. Grund dafür sei, dass die ÖVP den gemeinsam präsentierten Entwurf aufweichen wolle – und zwar jene Bestimmung, die verhindern soll, dass die abgeschaffte Maklerprovision durch die Hintertür wieder eingeführt wird.

In Endabstimmung befindet sich die Koalition laut Alma Zadić bei den Marklergebühren.
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Laut Justizministerin Alma Zadić befinde sich die Koalition beim Maklergesetz in Endabstimmungen.

Pensionssplitting

Schon ewig in der Schublade liegt auch das automatische Pensionssplitting. Dabei teilen Eltern ihre Pensionsanteile nach der Geburt auf – zugunsten des Elternteils, der sich um die Kindererziehung kümmert (vorwiegend Frauen). Die freiwillige Variante des Pensionssplittings wird bisher kaum genutzt, weshalb ÖVP und Grüne einen Automatismus andenken – allerdings mit unterschiedlichen Weltanschauungen. Die Kanzlerpartei will ihr Modell an die Ehe knüpfen. Da sträubt sich der grüne Juniorpartner, der das automatische Pensionssplitting gerne für alle Paare öffnen würde, also neben der Ehe auch für eingetragene Partnerschaften und für freiwillige Vereinbarungen bei Lebensgemeinschaften. (Regina Bruckner, Sebastian Fellner, Jan Michael Marchart, Sandra Schieder, Martin Tschiderer, 6.12.2022)