Bei der jüngsten Neuralink-Präsentation vor einer Woche klang noch alles eitel Wonne. Elon Musk, der Inhaber des Gehirnchip-Unternehmens, kündigte an, bereits in sechs Monaten erste Tests an Menschen durchführen zu wollen. Die neuartigen Brain-Computer-Interfaces (BCIs, also Gehirn-Computer-Schnittstellen) sollen es ermöglichen, dass bestimmte Bewegungen nicht mehr ausgeführt, sondern lediglich gedacht werden müssen. Dass soll gelähmten Menschen wieder Bewegungen ermöglichen.

Musk sagte vergangene Woche, dass er sich das Implantat auch selbst einsetzen lassen wolle. Allerdings nicht zum Start der klinischen Tests, sondern irgendwann in der Zukunft. Zudem versicherte der umstrittene Entrepreneur bei der Veranstaltung, dass seine Firma alles tue, um sicherzustellen, dass die Tierversuche so ethisch korrekt wie nur möglich seien. Über den Affen Sake – eines der Versuchstiere – sagte Musk, dass er Spaß an seiner Arbeit habe. Ein kürzlich von Neuralink hochgeladenes Video sollte dokumentieren, dass die Versuchstiere des Unternehmens gut behandelt werden:

PR-Video von Neuralink, das erst vor fünf Tagen auf Youtube auftauchte.
Neuralink

Monatelange Ermittlungen

Ganz so tiergerecht scheint es bei Neuralink allerdings nicht zuzugehen, wie nun ein neuer Bericht der Nachrichtenagentur Reuters enthüllt, der auch Musks jüngste Aussagen zum Tierwohl bei Neuralink in neuem Licht erscheinen lässt. Gegen das Unternehmen des US-Milliardärs laufen nämlich bereits seit Monaten Ermittlungen des US-Landwirtschaftsministeriums, weil den Tierexperimenten zur Entwicklung der Gehirnchips womöglich zu viele Versuchstiere unnötig zum Opfer fallen. Seit Beginn der Experimente habe Neuralink laut den Unterlagen 1.500 Versuchstiere getötet, darunter über 280 Schafe, Schweine und Affen.

Eines der Versuchsschweine von Neuralink, dem ein Gehirnchip eingesetzt wurde.
Foto: Screenshot Youtube / Neuralink

Die schiere Zahl allein beweise zwar noch nicht, dass gegen Tierschutzvorgaben verstoßen worden sei, hält die Nachrichtenagentur in ihrem ausführlichen Bericht fest. Aufgelistet werden aber mehrere Fälle, in denen teils dutzende Tiere getötet wurden, nachdem Apparate unter Zeitdruck falsch implantiert worden waren und dann gar keine Experimente vorgenommen wurden.

Zeitdruck als mögliche Erklärung

So würden Dokumente nahelegen, dass beispielsweise bei einem Versuch mit 60 Schweinen 25 davon Geräte in der falschen Größe implantiert erhielten. Die Schweine seien daraufhin unmittelbar getötet worden. In einem anderen Fall sei zwei Schweinen das Neuralink-Gerät versehentlich am falschen Wirbel eingepflanzt worden. Auch das wäre dem Bericht zufolge leicht zu verhindern gewesen.

Diese Fehler gehen vermutlich auf den Zeitdruck zurück, der von Elon Musk persönlich aufgebaut wird. Der CEO verschicke angeblich intern Zeitungsartikel und beschwert sich: "Wir sind einfach zu langsam, das macht mich verrückt!" Mehrfach habe er Angestellten gesagt, sie sollten sich bei der Arbeit vorstellen, dass eine Bombe an ihrem Kopf befestigt sei, um sie anzutreiben. Auch mit einer Schließung der Firma bei zu geringem Fortschritt habe er gedroht. Die Angestellten seien dadurch unnötig gestresst; diese müssten oft in letzter Minute Änderungen an Operationen vornehmen, um Fristen einzuhalten.

Neuralink wollte die Vorwürfe gegenüber Reuters vorläufig nicht kommentieren. (red, tasch, 5.12.2022)