"Das ist ein Weihnachtsgeschenk", sage ich, und der Mann mit der dicken Haube und den rauen Händen wirkt nicht so, als würde er das zum ersten Mal hören. Er rollt die Vase in Zeitungspapier ein – zwei Doppelseiten, damit das gute Stück nicht kaputtgeht. Es ist eine Vase aus der berühmten Porzellanmanufaktur Augarten, vermutlich aus den 1960er-Jahren. Sie gefällt mir, ich mag ihre Form. Mein Mann meint, sie sehe aus wie eine Urne, ich würde sie als lampionförmig bezeichnen. Bevor ich die Vase gekauft habe, hat sie einer älteren Dame gehört. Mehr weiß der Verkäufer nicht. Er räumt die Wohnungen Verstorbener leer, ohne Genaueres über die ehemaligen Bewohnerinnen und Bewohner zu erfahren. Den Inhalt der Wohnungen bietet er hier am Flohmarkt in der Wiener Innenstadt zum Verkauf an.

Aber egal, was früher war: In ziemlich genau drei Wochen wird die Vase meiner Schwiegermutter gehören. Sie bekommt heuer ein Secondhand-Geschenk – wie auch meine gesamte restliche Familie.

Höchste Wertschätzung

Laut Historikerinnen und Historikern war es früher etwas ganz Gewöhnliches, Dinge aus dem persönlichen Besitz zu verschenken. Gebrauchtes stellte also lange Zeit die höchste Form der Wertschätzung dar. Heute haftet ihm dagegen ein eher schmuddeliges Image an: Es gilt als schäbig, staubig, abgegriffen. Zu Unrecht, wie ich finde. Vieles ist nämlich gut erhalten. Und womöglich könnte jemand mit einem der 1000 Dinge, die ein anderer zu Hause herumliegen hat, noch sehr viel anfangen?

Weihnachtseinkauf am Flohmarkt: Bei dieser Vase habe ich nicht zugeschlagen – es wurde eine lampionförmige mit Craquelé-Glasur.
Foto: Christian Fischer

Für mich ist es – wie für viele meiner Generation – längst gang und gäbe, gebraucht zu kaufen. Wir fahren Fahrräder, die längst nicht mehr hergestellt werden, holen uns Bücher von der Bücherbörse, sitzen auf alten Fauteuils, die wir mit neuem Stoff beziehen, und packen unsere Kinder in Overalls, in die zuvor andere Kinder eingepackt waren. Wir machen das, um Geld zu sparen, aber auch, weil wir begriffen haben: Wenn die Gesellschaft weiter so exzessiv kauft und wegwirft wie bisher, schadet das dem Planeten massiv. Immerhin macht unser permanenter Konsum ungefähr ein Drittel unseres ökologischen Fußabdrucks aus. Meine Überlegung: Wenn man ohnehin schon viel gebraucht kauft, wäre es doch nur folgerichtig, bei den Weihnachtsgeschenken weiterzumachen.

Freuen sie sich?

Zugegebenermaßen hegte ich auch gewisse Zweifel an meinem Vorhaben. Für mich selbst secondhand zu kaufen ist die eine Sache – die andere ist, jemand anders damit beglücken zu wollen. Würden sich meine Lieben genauso über ein Geschenk freuen, wenn es vom Flohmarkt kommt? Sollte ich es ihnen ankündigen oder es erst unter dem Weihnachtsbaum verlautbaren? Und vor allem: Wird das nicht verdammt zeitaufwendig?

Mein Startvorteil ist, dass ich mir Geschenkideen bereits über das Jahr hinweg akribisch im Handy notiere. "Küchenuhr" steht da mit dem Vermerk "Mama". "Bausteine und Bücher" darunter, mit dem Namen meines Sohnes. Mein Mann soll Schallplatten bekommen, meine Schwiegermutter eine Vase, der Schwiegerpapa ein repariertes Handy, die Schwägerin eine Teekanne. Alles machbar, denke ich, und steuere zunächst den digitalen Flohmarkt Willhaben an.

Die bunten Blumen aus Porzellan werden es wohl eher nicht in die engere Auswahl schaffen.
Foto: Christian Fischer

Dort werde ich recht schnell fündig. Eine gewisse "Doris" aus Krems offeriert 200 sogenannte Bioblos, bunte Bausteine, die im Handel 65 Euro kosten, um 37 Euro. Ich schlage zu. Nach vier Tagen ist das Paket mit den feinsäuberlich einsortierten Bausteinen bei mir. "Sie sind angekommen und superschön", schreibe ich Doris. "Das freut mich. Viel Spaß damit!", schreibt sie zurück.

Für die Uhr fahre ich quer durch die Stadt zu "Kristof B.". Der Pensionist mit den sanften Augen und den vielen grauen Haaren repariert leidenschaftlich gerne Uhren und verkauft sie über Willhaben. Tritt man über die Türschwelle seiner Wohnung, hört man es von überall ticken. An den Wänden hängen dutzende Exemplare, aus den verschiedensten Jahrzehnten des vorigen Jahrhunderts. Ich entscheide mich für eine weiße Küchenuhr der Marke Junghans. Sie ist aus Keramik, das Ziffernblatt golden eingerahmt. Kristof verlangt 35 Euro. Dazu gibt es einen Schlüssel zum Aufziehen und Kristofs Lebensgeschichte.

Mein Mann soll Schallplatten bekommen, mein Sohn Bausteine und Bücher, meine Mutter eine Küchenuhr.
Foto: Christian Fischer

Eine Teekanne kaufe ich im Altwarengeschäft bei mir um die Ecke. Ich entdecke sie in einer Holzvitrine, zwischen Bananenkisten, Messinglampen und Schalen aus Bleikristall. Der junge Mann, der sie mir verkauft, tritt einmal fest gegen die Tür der Vitrine, damit sie sich öffnen lässt. Er will 20 Euro für die Kanne, aber ich sage mit fester Stimme: "Zehn" – und sie gehört mir.

Wir werden mehr

Laut einer Umfrage von Marketagent wäre fast die Hälfte der 500 befragten Österreicherinnen und Österreicher bereit, heuer Secondhand-Artikel zu verschenken. Wir werden also mehr. Ob die anderen wohl schon angefangen haben?

Mein Weihnachtseinkauf liegt jedenfalls bereits gut versteckt in einer Kommode. Nur noch ein paar Kleinigkeiten fehlen. Nächste Woche besorgen wir ein Handy für meinen Schwiegervater, und ich schaue mich nach Schallplatten um. Mein Fazit bisher: Ein Weihnachtseinkauf auf diese Art macht Spaß. Er führt zu interessanten Begegnungen und an interessante Orte. Wer gebraucht schenkt, hat am Heiligen Abend garantiert eine gute Geschichte zu erzählen. Doch diese Art des Schenkens braucht auch Muße. Man muss sich Gedanken machen, gezielt suchen, geduldig stöbern. Das kostet garantiert mehr Zeit, als auf Amazon auf einen Link zu klicken. Aber Zeit ist ja bekanntlich das schönste Geschenk.
(Lisa Breit, 8.12.2022)