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Auf einem "Tratschbankerl" können sich Einsame austauschen.

Foto: Getty Images

Heute Museum, morgen Rave, übermorgen Kino – vorbei sind die Zeiten der Isolation und des kulturellen Stillstands. Hurra! Wirte schenken wieder aus, Junge schmusen wieder am Dancefloor, und Alte stecken beim Bingo wieder die Köpfe zusammen. Wir haben einander wieder – und fühlen uns trotzdem häufig einsam. Auch nach der erzwungenen Abstinenz scheint Einsamkeit für viele Menschen ein bestimmendes Thema zu sein. Häufig betrifft sie Ältere, die manchmal wenig Kontakt zu anderen haben und zurückgezogen in ihren Wohnungen leben. Aber auch Jüngere fühlen sich in einer zunehmend individualisierten Gesellschaft, in der wir immer öfter allein wohnen, unsere Kontakte online pflegen und wenig Zeit haben, uns um unser soziales Netz zu kümmern, oft einsam. Aber was kann eine Gesellschaft tun, damit sich Menschen ihr wieder zugehörig fühlen?

In der Schweiz wurde kürzlich ein innovatives Projekt gestartet. In einer Baseler Filiale des Lebensmittelkonzerns Migros gibt es nun zweimal pro Woche eine "Plauderkasse": An diesen Tagen nimmt sich der oder die Kassierende Zeit und fragt die Kunden, wie es so geht – im Leben, im Job, in der Pension. Unterstützt wird das Projekt von Ehrenamtlichen, die auch beim Einpacken helfen und dabei ebenfalls plaudern. Ein halbes Jahr soll das Projekt laufen, danach wird es womöglich weitergeführt und ausgeweitet. Auch in Deutschland könnte die Idee übernommen werden, heißt es vom Verband der Lebensmittelhändler.

Eine ähnliche Initiative gibt es in Frankreich, wo sich Postboten um Seniorinnen und Senioren kümmern. Die Briefträger sind ihr Kontakt zur Außenwelt. Sie unterhalten sich mit ihnen, fragen sie, was sie brauchen – und organisieren notfalls Hilfe. Der Service der französischen Post kostet 19 Euro pro Monat und wird offenbar gut angenommen.

Neue Onlineplattform

Etwas Vergleichbares gibt es in Österreich zwar noch nicht, auch laden heimische Supermarktkassen noch nicht zum entspannten Smalltalk ein – dafür bemüht sich seit kurzem die Initiative Plattform gegen Einsamkeit, einen Überblick über bestehende Initiativen und Angebote gegen die Einsamkeit zu geben. Ob eine Melange im Erzählcafé, eine Runde im Feel Good Walk oder ein Austausch im Infotalk – ist man bereit zur sozialen Interaktion, spuckt die Onlinedatenbank rund 100 verschiedene Möglichkeiten aus, um die Freizeit in Gesellschaft zu verbringen.

Zweisamkeit kann man seit geraumer Zeit in einigen Bundesländern auch auf sogenannten Tratschbankerln der Caritas suchen. Sitzt man auf einem solchen, signalisiert man, mit jemandem ins Gespräch kommen zu wollen. Zu angegebenen Zeiten kann man das auch mit geschulten Personen tun. Einer ähnlichen Idee folgt das Projekt Plaudertischerl der Diakonie: Gekennzeichnete Tischerln in teilnehmenden Lokalen würden Gesprächswillige einladen, miteinander in Kontakt zu treten. Ohne Konsumpflicht kann man so also über das Wetter, den Lieblingskaffee oder doch über Persönliches plaudern – alles kann, nichts muss. Und wer lieber anonym bleibt, findet auf der Plattform entsprechende Hotlines, um Gesprächspartner zu erreichen, die mit einem gegen die Einsamkeit anplaudern.

Es braucht mehr

Lose Kontaktangebote reichen aber nicht immer aus, um Menschen aus der Isolation zu holen. "Einsamkeit ist mehr, als sich nur allein fühlen", sagt Karin Gutiérrez-Lobos, Fachärztin für Psychiatrie und Neurologie und Mitinitiatorin der Plattform gegen Einsamkeit. Es gehe vielmehr um ein Gefühl der Verbundenheit und der Zugehörigkeit. Projektleiterin Katrin Weber gibt außerdem zu bedenken, dass die meisten Angebote eine gewisse Eigeninitiative der Betroffenen erfordern. Das sei für viele Menschen aber eine große Überwindung. Denn der Begriff Einsamkeit sei hoch stigmatisiert und schambehaftet, ergänzt Gutiérrez-Lobos: "Das hat viel mit unserer heutigen Lebenskultur zu tun, in der man stark und möglichst unabhängig sein muss und immer alles allein können muss."

Einsamkeit ernst zu nehmen, darum gehe es laut Weber bei der Plattform – einem Projekt, das sich noch in einer Art Findungsphase befinde. Man werde nun evaluieren, was Leute konkret brauchen und wie man sie am besten erreicht. Dass soziale Angebote allein das Problem nicht lösen können, scheint auf der Hand zu liegen. Verstärkt will man daher auch auf Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit setzen. Nicht zuletzt deshalb, damit wir in Zukunft alle offen darüber sprechen können, dass wir manchmal einsam sind. (Viktoria Kirner, 8.12.2022)