Erforscht man die Geburt des Universums, bekommt man es mit immer exotischeren Zuständen zu tun, umso mehr man sich dem Nullpunkt des Urknalls annähert. Je komprimierter der Kosmos war, desto höher waren die Kollisionsenergien – und damit auch die Temperaturen. 0,000001 Sekunden nach dem Urknall war das Universum zumindest schon so weit abgekühlt, dass freie Protonen und Neutronen umherschwirren konnten, wenn auch noch keine Atome.

Davor herrschten freilich noch dramatischere Bedingungen. Die Temperaturen waren so hoch, dass keine Protonen und Neutronen existieren konnten: In dieser allerersten Phase der Teilchenbildung war der Kosmos von einem sogenannten Quark-Gluon-Plasma erfüllt.

Heiße "Elementarteilchen-Suppe"

Quarks sind die Bausteine von Protonen und Neutronen, Gluonen jene Elemente, die Quarks untereinander verbinden. Normalerweise nie allein unterwegs, könnten sich Quarks und Gluonen unter den extremen Temperatur- und Dichteverhältnissen unmittelbar nach dem Big Bang jedoch wie freie Teilchen verhalten haben.

Für das notwendige Upgrade wurde der riesiges ALICE-Detektor geöffnet.
Foto: Sebastian Scheid/Goethe-Universität Frankfurt

Um mehr über die ersten Sekundenbruchteile des Universums zu erfahren, stellen Physikerinnen und Physiker am Kernforschungszentrum Cern in Genf ein Quark-Gluon-Plasma für winzige Sekundenbruchteile her. Das Brauen einer solchen äußerst heißen "Elementarteilchen-Suppe" im Large Hadron Collider (LHC) erfordert die Kollision von schweren Ionen, die Forschenden des ALICE-Experiments lassen dafür Blei-Ionen aufeinanderprallen – bei Temperaturen, die der 200.000-fachen Kerntemperatur der Sonne entsprechen.

Rekordenergien

Nun konnte bei einem Testlauf des ALICE-Experiments ein wichtiger Erfolg gefeiert werden: Erstmals hat das Team Kollisionsenergien von 5,36 Teraelektronenvolt pro Blei-Blei-Kollision erzeugt – die weltweit höchste bislang erreichte Kollisionsenergie. Der Rekord ist dem Umbau der Anlage zu verdanken, bei dem auch das ALICE-Experiment auf höhere Kollisionsraten vorbereitet worden war.

Während der vierjährigen Umbauphase von 2018 bis 2022 wurde der weltweit stärkste Teilchenbeschleuniger LHC nochmals verbessert und kann jetzt deutlich mehr Blei-Ionen beschleunigen als zuvor. Auch der ALICE-Detektor wurde in dieser Zeit aufgerüstet, um die höheren Kollisionsraten, die der LHC in Zukunft liefern wird, aufzeichnen zu können.

Die Rekord-Blei-Blei-Ionen-Kollisionen, festgehalten vom ALICE-Detektor.
Illustr.: Dobrigkeit Chinellato/Cern

Für den Austausch des zentralen Detektors des Experiments, die sogenannte Spurendriftkammer TPC, ist das Team um Harald Appelshäuser von der Goethe-Universität Frankfurt verantwortlich. Die neue TPC soll es unter anderem ermöglichen, die Temperatur des Quark-Gluon-Plasmas zu bestimmen, das während der der Blei-Blei-Kollision entsteht.

Mehrere Terabyte pro Sekunde

Mit den nun am Cern durchgeführten Tests mit Blei-Ionen können die ALICE-Forscherinnen und -Forscher überprüfen, ob Auslese und Signalverarbeitung wie erwartet funktionieren. Eine große Herausforderung sind dabei die enormen Datenmengen, die während der Messungen anfallen und allein für die TPC im Bereich von mehreren Terabyte pro Sekunde liegen. Dieser Datenstrom muss in Echtzeit mit effektiven Mustererkennungsmethoden prozessiert werden, um die gespeicherte Menge der Daten ausreichend reduzieren zu können.

Die ersten Messungen bei der neuen Rekordenergie sind zwar ein großer Erfolg, doch dies ist nur Vorgeplänkel. Die eigentlichen Experimente beginnen erst, und dann sollen rund 50.000 Blei-Ionen-Kollisionen pro Sekunde stattfinden, fünfmal so viele wie vor dem Umbau. "Wir können es kaum erwarten, dass es nun wirklich losgeht mit den Messungen", sagte Appelshäuser. (red, 7.12.2022)