Arijanit F., kurz geschorene Haare, weißes Hemd, geht nervös auf und ab. Auf seinem Platz im spärlich gefüllten Großen Schwurgerichtssaal des Wiener Straflandesgerichts hat er eine Dose Red Bull platziert. Er wird bei seiner Befragung mehrfach danach greifen und große Schlucke davon nehmen.

Der Fall des 23-jährigen Kosovaren hat schließlich Brisanz. Der einzige Angeklagte auf freiem Fuß im laufenden Terrorprozess chauffierte nämlich den jihadistischen Attentäter K. F. im Sommer 2020 mit seinem Auto in die Slowakei. Dort versuchte der spätere Terrorist vergeblich Munition für ein Sturmgewehr zu kaufen, mit dem er am 2. November 2020 in der Wiener Innenstadt vier Menschen getötet und etliche weitere verletzt hatte. Der Kauf scheiterte an einem fehlenden Waffenschein.

Insgesamt sechs Angeklagte müssen sich in Bezug auf den jihadistischen Terroranschlag vom 2. November 2020 vor Gericht verantworten.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Folgt man der Erzählung von Arijanit F., dann beruhe das alles auf Zufällen. Er sei damals der Einzige in seinem Freundeskreis mit Führerschein gewesen. Außerdem habe er sich da gerade ein neues Auto von seinem Ersparten gekauft. "Das hat sich herumgesprochen", sagt der Angeklagte. Bis zu K. F., der sich das das neue Gefährt habe anschauen wollen. Treffpunkt sei Wien-Liesing gewesen, dort wohnten sie damals beide. K. F. habe dann "ein paar Runden drehen" wollen, was schließlich in einer Fahrt in die Slowakei mündete – wo K. F. in einem Einkaufszentrum einen Waffenladen angesteuert habe.

Die Erzählung wirft im Gerichtssaal aber an mehreren Stellen Fragen auf. Arijanit F. will K. F. kaum gekannt haben. Warum er ihn dann in die Slowakei gefahren habe? "Wir haben denselben Migrationshintergrund, wenn ein Landsmann einen etwas bittet, neigt man eher dazu, es zu machen. Das hat patriotische, nationalistische Hintergründe", sagt er. Wollte Arijanit F. aber nie wissen, warum sein flüchtiger Bekannter dorthin wolle? "Ich dachte, dass er shoppen gehen will." Und habe er sich nicht dafür interessiert, was K. F. im Waffengeschäft gesucht habe? "Ich habe mir nicht viel gedacht", entgegnet der Angeklagte. Ein solches Geschäft sei ihm nicht fremd. Er komme aus einer Militärfamilie.

Dass sich K. F. in dem Waffenladen um Munition bemüht hatte, will Arijanit F. entgegen seiner Aussage in einer Einvernahme nun doch nicht mehr mitbekommen haben – und bricht kurz in Tränen aus. Er sei nach dem Anschlag mental massiv unter Druck gestanden.

Am Abend des Attentats verhielt sich Arijanit F. aus Sicht der Ermittler obendrein auffällig. Da hatte er sein Smartphone zurückgesetzt und im Kofferraum versteckt. "Ich hatte Angst, ich wusste, dass ich Propaganda am Handy hatte, und wollte nicht mit dem IS in Verbindung gebracht werden", sagt er und bekennt sich für das einschlägige Material schuldig. Der Angeklagte teilte unter anderem ein Video, das den Anführer der Terrorgruppe Boko Haram in die Luft schießend zeigt. Dieses bezeichnete er als "lustig, idiotisch, an Lächerlichkeit kaum zu überbieten". Vom sogenannten "Islamischen Staat" will er nie wirklich viel gehalten und die Anschläge "verteufelt" haben.

Außerdem habe Arijanit F. an jenem Abend K. F. im Beisein von Freunden in einem Lokal zweimal vergeblich angerufen, als er dessen "Bekennerfoto" auf Instagram entdeckt hatte. Er habe sich gedacht: "Was machst du, Vollidiot, warum posierst du mit Waffen?" Zur Polizei ging er mit dieser Information aber nicht, obwohl er ihn erkannt habe ("Ich wusste nicht, was ich erzählen soll"), schrieb aber einem der anderen Angeklagten, Burak K.: "Bereite dich vor. Razzia dix (sic!)." Er sei davon ausgegangen, dass die Exekutive K. "stürmen" würde, da er ständig mit K. F. beisammen gewesen sei. Die beiden wollten 2018 auch nach Syrien ausreisen, um sich dem IS anzuschließen. Dafür wurden K. F. und Burak K. auch rechtskräftig verurteilt.

Kaum Optionen zum Wäschetrocknen

Nach ihm tritt jener Mann in die Mitte des Gerichtssaals, dessen DNA auf allen Waffen sichergestellt werden konnte. Heydayatollah Z., von dessen Verwandtschaft einige Mitglieder in den Akten als radikalislamistischer Clan beschrieben werden, soll laut Anklage der engste Komplize von K. F. gewesen sein und mit ihm den Anschlag vorbereitet haben. Z. wohnte zwischenzeitlich für drei Wochen auch in der nur spärlich eingerichteten Wohnung des Jihadisten, der in dieser Zeit bei seinen Eltern gelebt habe, erzählt der Angeklagte, der mit seiner Ehefrau auch IS-Propagandamaterial bearbeitet und weitergeleitet haben soll.

Knapp vor dem Anschlag zog Z. aber schon wieder aus. Da sei er nach Schwierigkeiten in seiner Ehe wieder "zur Vernunft gekommen". Auch von Problemen mit dem Jugendamt berichtet er. Noch am 1. November will Heydayatollah Z. die Wohnung aber noch einmal benutzt haben, um Wäsche abzuholen, die er zuvor dort gewaschen habe. Die Wäsche, die am Gericht für überraschend viele Nachfragen in der Verhandlung sorgt, habe in der Wohnung überall aufgehängt, "wo es ging". Schließlich seien ja kaum Möbel in der Wohnung gewesen. Gelagerte Waffen oder gar ein sich vorbereitender Attentäter seien ihm dort nie untergekommen. (Jan Michael Marchart, 6.12.2022)