Im Gastblog schildert die Historikerin Friederike Kraus das Leben des berühmten Malers.

Bis Ende Jänner können viele Werke von Lucian Freud im Rahmen der Ausstellung "Lucian Freud: New Perspectives" in der National Gallery in London gesehen werden.
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"Nochmals herzliche Glückwünsche (…) mit dem Namen Lucian haben wir uns versöhnt. Ich grüße Dich, Lux u die Jungen herzlich, Papa." Mit diesen Worten beglückwünschte der Psychoanalytiker Sigmund Freud seinen jüngsten Sohn Ernst und dessen Frau Lucie zur Geburt ihres zweiten Kindes am 8. Dezember 1922, ein Junge, der nach seiner Mutter Lucian genannt und wie diese von der Familie später auch Lux gerufen wurde. Ernst Freud war Architekt, seine Frau, die aus einer wohlhabenden Berliner Bankier- und Händlerfamilie stammte, hatte alte Sprachen studiert. Lucian und seine beiden Brüder verbrachten eine behütete Kindheit in einem großbürgerlichen, jüdisch-säkularen Umfeld.

Lucian Freud hatte immer schon künstlerische Ambitionen, die sowohl von seinen Eltern als auch von seinem Großvater Sigmund Freud unterstützt wurden. Mit diesem teilte er die Vorliebe für Wilhelm Busch und Christian Morgenstern. Er sah ihn zwar nicht oft, doch erinnerte sich liebevoll an die Besuche des an Kieferkrebs Erkrankten in Berlin. Die fortschreitend schlechte Wirtschaftslage und der wachsende Antisemitismus zu Beginn der dreißiger Jahre machten auch vor Ernst Freud nicht halt, nach der Machtübernahme Hitlers im Jänner 1933 war Freud einer derjenigen, die die Zeichen richtig deuteten. Ende des Jahres übersiedelte er mit Frau und Kindern, von den deutschen Behörden unbehelligt, nach London.

Aufwachsen in London

Während seine Brüder ehrgeizig Englisch lernten, zeigte Lucian im Internat keine große Bereitschaft dazu. Er selbst sagte, dass er Englisch mit einem "Viennese accent" sprach. Auch beim Schreiben fiel ihm die Umgewöhnung ziemlich schwer, da er in Deutschland Kurrentschrift gelernt hatte. Sein ganzes weiteres Leben schrieb er in einer ungelenken und kindlichen Handschrift. Lucian lernte wenig, er hielt sich lieber in den Pferdeställen auf, war aufsässig und musste sein Schuldasein frühzeitig beenden. Dennoch wurde London nach diesen anfänglichen Schwierigkeiten für Lucian Freud Heimat, und er fühlte sich zeit seines Lebens als Engländer. Nach einer kurzen Ausbildung in der Schule des Malers Cedric Morris begann er schon in jugendlichen Jahren einerseits durch die Qualität seiner Arbeiten, andererseits durch sein exzentrisches Benehmen aufzufallen und bekam Zutritt zu künstlerischen und aristokratischen Kreisen. Dabei half auch der Name seines Großvaters, der 1938 todkrank nach London kam und dort eine sehr bekannte und hochgeschätzte Persönlichkeit war. Sigmund Freud starb im September 1939 und vermachte seinen Enkelkindern die Tantiemen aus seinen Schriften.

Obwohl Lucian nur mittelgroß war, scheint er in seiner Jugend sehr attraktiv gewesen zu sein und Eindruck auf Frauen und Männer gemacht zu haben. Sein Schicksal als Emigrant umgab ihn mit einem Hauch von Tragik, sein Name und seine Exzentrizität taten das ihre dazu. Nach dem Tod des Großvaters ging er in dessen Mantel mit Pelzkragen durch die Stadt und trug einen Falken, mit einem Lederband an seinen Arm gebunden, mit sich herum. Später behauptete er, dass er mit diesen Manierismen seine Schüchternheit verbergen wollte.
Sowohl durch dieses extravagante Auftreten, hauptsächlich aber wegen seiner künstlerischen Fähigkeiten hatte Lucian Freud bald einen relativ hohen Bekanntheitsgrad erreicht und war in der Künstlerszene verankert, ebenso wie in einer Clique junger, reicher, oft homosexueller Aristokraten, welche die treibende Kraft der Avantgarde im Kriegs- und Nachkriegslondon waren.

Freundschaft zu Francis Bacon

Kurz nach dem Krieg wurde er mit dem Maler Francis Bacon bekannt. Bacon war 36, Freud 23 Jahre alt. Die beiden Künstler verstanden sich auf Anhieb sehr gut, sie begannen, miteinander auszugehen, eine legendäre Freundschaft, die drei Jahrzehnte dauern sollte, ehe es nach einem Streit zum Bruch kam, hatte ihren Anfang gefunden. Auch als Freud schon verheiratet war, waren sie unzertrennlich. Sie verbrachten die Nächte in Soho, schliefen nachts fast nicht. Sie besuchten Partys, auf denen Prinzessin Margaret zu später Stunde Gesangsdarbietungen gab, und pfiffen sie aus. Sie verloren ihr Geld beim Roulette und bei Pferdewetten. Lucian Freud machte Bekanntschaft mit berüchtigten Mitgliedern der Londoner Unterwelt und schuldete ihnen sehr große Summen. Seine Spielsucht hörte erst viel später auf, und zwar paradoxerweise, als er begann, viel Geld zu verdienen.

Freud war zweimal verheiratet. Aus seiner ersten Ehe mit Kitty Garman hatte er zwei Töchter, die zweite mit Caroline Blackwood aus der Guinness-Brauereidynastie blieb kinderlos. Beide Ehen gingen nach kurzer Zeit in die Brüche. Aus weiteren Beziehungen sind noch zwölf Kinder gesichert. Als Vater war er in deren Kindheit nicht sehr präsent. Erst in ihrem Erwachsenenalter bekam er, meist durch das Malen ihrer Porträts, engeren Kontakt mit ihnen.

Künstlerische Karriere

Lucian Freud war immer ein Vertreter der figurativen Malerei, auch in Zeiten, in denen dies absolut nicht der Mainstream war und sogar als reaktionär angesehen wurde. Seine Malweise, die in seiner Jugend sehr am Zeichnerischen orientiert war, änderte sich unter dem Einfluss Francis Bacons in den späten Fünfziger-, frühen Sechzigerjahren drastisch. Er tauschte die feinen Zobelhaarpinsel gegen solche aus Schweinsborsten, der Farbauftrag wurde dicker, die Pinselstriche gröber. Er begann, Nacktporträts zu malen, zuerst hauptsächlich Frauen, dann auch immer mehr Männerakte.

Immer wieder malte er Selbstporträts, die er "Reflections" nannte, nicht aus philosophischen oder psychologischen Gründen, sondern weil der Maler ja immer nur seine Reflektionen im Spiegel sieht und malen kann. Mit steigendem Bekanntheitsgrad musste er auch heftige Empörung und Kritik hinnehmen. Besonders die Akte seiner Töchter und die Darstellung der überbordenden Körperlichkeit seiner beiden bekanntesten Modelle, Leigh Bowery und Sue Tilley, forderten die Kritik seiner Gegner heraus. Das Porträt von Queen Elizabeth II., das er 2001 schuf und zu dem ihm die Queen im Buckingham Palace Modell saß, rief Stürme der Entrüstung hervor. Schon 1993 hatte ihn die Königin persönlich als "Member of the Order of Merit" eines exklusiven Ordens, der nur vierundzwanzig Mitglieder hat, aufgenommen. Den Orden "Commander of the Order of the British Empire", für den er schon 1977 vorgesehen war, hatte er zurückgewiesen.

Obwohl er schon lange als einer der führenden Maler Großbritanniens gehandelt wurde, erlangte er internationalen Ruhm und großen finanziellen Wohlstand erst, als ein amerikanischer Agent in den Neunzigerjahren die Vermarktung seiner Gemälde übernahm. Seine Porträts, die er akribisch in monatelangen Sitzungen und nur von Personen, die ihn interessierten, und sehr selten als Auftragswerke anfertigte, erzielten fortan bei Auktionen Höchstpreise. 2008 wurde sein Gemälde "Benefits Supervisor Sleeping", 1995, (Modell Sue Tilley) um 33.642.000 Dollar versteigert und war damit lange Zeit das teuerste Bild eines lebenden Malers. Andrerseits war er selbst Modell zum Triptychon "Three Studies of Lucian Freud", 1969, von Francis Bacon, das 2013 um 142 Millionen Dollar versteigert wurde und damit das bis dahin teuerste Bild war (seither wurde dieser Rekord von einem Picasso-Bild übertroffen).

In alle Kreise vernetzt

Im Alter zog er sich immer mehr aus der Öffentlichkeit zurück, pflegte aber sein lebenslanges Image als Enfant terrible weiterhin sorgfältig. Gerne erzählte er, dass er mit dem Auto "russisches Roulette" gespielt hatte, indem er mit geschlossenen Augen über eine Kreuzung fuhr. Er verwendete in Interviews oft Vulgärausdrücke, schrieb unhöfliche Briefe, hatte bis zum Lebensende Verhältnisse mit seinen Modellen. Er brüstete sich damit, dass er mit dem Privatsekretär der Queen befreundet war und dass er einige Herzöge ganz einfach anrufen und zu einem Treffen bestellen konnte, aber genauso auch damit, dass er Buchmacher, Unterweltkönige und Bankräuber gekannt hatte und noch immer kannte.

Alles und alle hatten sich seiner Berufung, der Malerei, unterzuordnen. Diese hielt ihn agil, er stand bis wenige Tage vor seinem Tod an der Staffelei. Die Vorbereitungen zu der großen Porträtausstellung in der Londoner National Portrait Gallery 2012 und zur ersten Ausstellung in Österreich im Kunsthistorischen Museum in Wien 2013 konnte er teilweise noch mitgestalten, aber nicht mehr selbst erleben. Am 20. Juli 2011 starb Lucian Freud. Er hinterließ ein Vermögen von 96 Millionen Pfund. (Friederike Kraus, 8.12.2022)