In seinem Gastblog schildert Christian Kreil seine Erfahrungen mit der Szene der Staatsverweigerer und Reichsbürger, die in Deutschland soeben wieder für Aufsehen sorgt.  

In Deutschland wurden bei einer Razzia 25 Personen aus der Szene wegen Terrorismusverdachts verhaftet. Aber ehrlich gesagt, ich hatte schon am 13. Oktober 2016 kein gutes Gefühl im Gasthof Zöchling in Steyr. Ich saß an diesem Herbstabend in einem Hinterzimmer der Restauration mit gut 20 Interessierten und wartete gespannt auf einen Referenten, der als "Souverän" angekündigt worden war und der zur Befreiung des Landes sprechen sollte. Es kam Joe W. (Anmerkung: Es handelte sich dabei nicht um den "Freeman" Joe Kreissl, der zu der Zeit ebenfalls durch die Lande tourte.), ein schlecht rasierter Mittfünfziger, gemeinsam mit einer Assistentin und knallte ein paar Ringordner auf den Tisch. Das Referat war grimmig, dauerte aber nicht lange, der Inhalt in Kürze: Demnächst würden in Österreich Richter, die Regierung und allfällige Büttel der Opposition verhaftet. Die willigen militärischen Kräfte stünden bereit dafür, zudem, das sagte der Referent klandestin: Kräfte Wladimir Putins würden das Ganze unterstützen, darauf dürfe man bauen. 

Ein neuer Führerschein für das neue Zeitalter um 100 Euro

Aber auch eine neue Verwaltung muss sorgsam vorbereitet werden. Wer sich für die Zeit danach rüsten wolle, der könne sogleich die Dokumente für das neue Zeitalter ordern. W.s Assistentin hatte im Eck Platz genommen und Blankoformulare für neue Führerscheine,  Nummerntafeln, Pässe und dergleichen aufgelegt auf einem großen Tisch. Die Austrittserklärung aus der Republik Österreichs war obligat, sie kostete 20 Euro ohne Quittung. Für einen Antrag für einen neuen Führerschein mussten schon 100 Euro in bar auf den Tisch gelegt werden. Das Design des neuen Staats und seiner Insignien war schön, alle Dokumente hatten sehr viele Herzerl.

Ich will jetzt nicht im Nachhinein den Gscheitwaschl raushängen lassen, der immer schon alles gewusst haben will, aber mein Gefühl sagte mir: Das wird nicht gut enden, auch wenn viele rosa Herzerl auf den Ausweisen und Formularen die Liebe und den Zartmut des "Staatenbunds Österreich" suggerieren wollten. "Staatenbund Österreich", das war der Name für ein Österreich, in dem Milch und Honig fließen würden. Der Vortragende machte kein Hehl daraus, dass dafür auch Blut fließen könnte, wenn die angebliche Elite Widerstand leisten will. 

Ja, das war ernst gemeint von den österreichischen Staatsverweigerern.
Foto: Screenshot / Christian Kreil

Monika und ihr Kabinett präsentierte die neue Währung

Ein paar Monate später lud die designierte Präsidentin der Herzerlrepublik, Monika U., nach Linz. Das war jetzt ein größerer Bahnhof. In einer Kantine des Sportvereins Voest im Süden von Linz drängten sich gut 300 Leute. Monika U. eine ehemalige Lokalpolitikerin der FPÖ in ihrer Heimatgemeinde, thronte auf einem Podium, flankiert von ihrem Kabinett, ein paar grimmig dreinblickenden Männer jenseits der 60. U. und ihre Freunde orakelten davon, dass Österreich derzeit nur eine Firma wäre und mit den Mächtigen bald aufgeräumt sein wird. Das Auditorium trank Bier oder Cappy Leitung, schmauste Schnitzel und Würstel und schien ob des Gebotenen durchaus zufrieden. 

Der Merchandising-Stand im hinteren Teil des Saals war noch besser bestückt als zuvor in Steyr. Es wurden auch Muster der Geldscheine einer neuen Währung präsentiert. Auch die Geldscheine hatten viele Herzerl darauf. Die neue Währung, die unabhängig sein sollte von der globalistischen, internationalen Zins- und Gelddruckmafia, trug den Namen "Österreicher". Die neue Währung wäre selbstverständlich inflationssicher, ein 1:1 Kurs zum Euro – der demnächst mit der Union untergehen würde – werde aber garantiert, versicherten die Chefökonomen des Staatenbunds.

Die Erde kann keine Kugel sein

Ich war auf Bitte eines jungen Journalisten der Oberösterreichischen Nachrichten gekommen, um als Szenekenner vor Ort das Geschehen zu kommentieren. Gegenüber von uns beiden nahm ein Paar Mitte 20 Platz. Der junge Mann kam schnell ins Gespräch mit uns. Er klärte uns auf, dass man am Bodensee unmöglich das Ufer gegenüber sehen könne, wenn, ja wenn die Erde tatsächlich eine Kugel wäre. Das hätte er sich ausgerechnet, mit Pi, der Breite des Sees und dem angeblichem Erdradius. Eine Kugel geht sich da nicht aus und deshalb: Wir werden belogen, von allen und überall. Wenn die Präsidentin des Staatenbundes  von der Auflösung der Firma Österreichs, des Vatikans und der City of London sprach, spitzte der junge Mann die Ohren und nickte zustimmend. Der Journalist der OÖN war nicht mehr auf meine Interpretationen zu der Szene angewiesen, er hatte seine Story. Die Frau des jungen Mannes rollte ein wenig mit den Augen. Mich interessiert ja brennend, ob die beiden heute noch ein Paar sind und in den Flitterwochen mit dem Segelboot den Rand der Scheibe gesucht haben.

Ein selbst ausgestellter Sheriffausweis. Das kommt nicht gut an.
Foto: Christian Kreil
Stelleninserat des Fantasiegerichtshofs der Staatsverweigerer.
Foto: Screenshot Facebook / Christian Kreil

Lustig machen sollte man sich nicht über den "Staatenbund"

Einen der Männer, der am bestens frequentierten Verkaufsstand für neue Herzerl-Dokumente assistierte, kannte ich von Fotos. Auf Facebook posierte Alexander R. unter seinem Fakenamen Ares Ra schon mal mit einem Sturmgewehr im Anschlag, er veröffentlichte auch eine handgeschriebene Liste mit dem Titel "Facebook-Ratten", auf denen eine Handvoll Kritiker des Staatenbunds aufgelistet waren, meinen Namen hatte er mit einem Rufzeichen versehen. Ich hatte seine Aufmerksamkeit erregt, weil ich mich kurz zuvor für einen Posten als Sheriff beim neugeschaffenen  "International Common Law Court of Justice" beworben hatte. Der Job wurde von denen tatsächlich ausgeschrieben, Aufgaben unter anderem: Verhaftung von Politikern und Politikerinnen.

Der angebliche Gerichtshof war eine der Fantasie-Institutionen, die von der Szene wortgewaltig inszeniert wurden. Mir wurde zum Verhängnis, dass ich die Antwort auf meine Bewerbung gar nicht abgewartet hatte, sondern den imaginären Gerichtshof gleich mit einem Sheriffausweis, den diese Einrichtung ausstellen wollte, mit meinem Bild versah und damit provoziert hatte. Ares Ra schrieb mir, dass ich darob "bald gewaltige Probleme bekommen werde" und ein paar eher ungustiöse Mitteilungen. Schlimmer hatte es nur den damaligen niederösterreichischen Landeshauptmann Erwin Pröll erwischt: Dem hatte das hohe Gericht bereits einen Haftbefehl ausgestellt.

Haftbefehl für Erwin Pröll vom "Gerichtshof" der Staatsverweigerer.
Foto: Screenshot Facebook / Christian Kreil

Die Reichsregierung des Staatenbundes kündigte auch in Linz den baldigen Umsturz an, zeigte sich aber auch realistisch. Mit den willigen Kräften alleine im Lande ginge sich das nicht aus. So berichtete auch das provisorische Kabinett rund um Monika U. von Briefen an Dr. Wladimir Putin mit dem Ersuchen um militärischen Beistand für das edle Vorhaben.  Notabene: Wir wissen heute, dass Putin die so dringend ersehnte Assistenz vermissen ließ, obwohl auch diese Briefe viele Herzerl schmückten. Ich vermute, dass Putin den Staatenbund in einer freundlichen Antwort darauf hingewiesen hat, dass er derzeit nicht dienen könne, in Österreich aber bereits eine institutionell bestens verankerte politische Kraft unterstützt und mit denen auch einen Freundschaftsvertrag unterzeichnet hat. 

Sympathisanten dockten bei Querdenkern an

In der politischen Theorie war der Staatenbund Österreich jedenfalls sattelfest. In einem Onlinejournal des Staatenbunds las man Berichte wie diese: "Adieu Rothschild - euer geheimes Monopoly-Spiel ist vorbei." Und das war noch eine der harmlosesten antisemitischen Tollereien der Szene. Vorbei war es freilich eher als mit den Rothschilds mit dem Staatenbund Österreich: Die genannten Personen und einige weitere fassten dann doch teils empfindliche Aufenthalte im Schmalz aus. Als "Staatenbund Österreich" ist die Szene tot.

Für die Sympathisantenszene und Leute aus der zweiten Reihe, die glimpflich davongekommen waren, kamen Covid-19 und die Maßnahmen dagegen gerade recht. Man dockte bei den Querdenker-Protesten an, um gegen die vermeintliche Corona-Diktatur zu wettern. Eine Diktatur, deren Exekutive ausrückt, um den Verkehr zu regeln für Leute, die lautstark  "Friede, Freiheit Selbstbestimmung" verlangen, das hat nicht jeder Revolutionär auf der Welt.

Ein heißer Tipp, um die Staatsverweigerer zu erkennen: Eine rot-weiß-rote Österreichfahne mit Bundesadler, der verkehrt herum im Winde weht. Man ist zwar derzeit führungslos, fühlt sich aber wohl zwischen Rechtshippies mit Schamanentrommeln, Alt-Nazis und den Aktivisten der neuen Rechten. Von dieser Seite wird der bizarren und demokratiefeindlichen Szene der Reichsbürger und Staatsverweigerer der Schulterschluss angeboten. Für die Brüder im Geiste zimmert der Kopf der Identitären, Martin Sellner, nach der Razzia in Deutschland in seinem Telegram-Kanal flott ein neues Framing. 

Identitäre propagieren die Verharmlosung terroristischer Staatsfeinde.
Foto: Screenshot Telegram / Christian Kreil

Die Razzien seien eine Inszenierung des Systems, ein paar pensionierte Käuze könnten kaum echte Umsturzpläne wälzen, die Reichsbürger seien bei weitem nicht so gefährlich "wie jedes Asylantenheim". (Christian Kreil, 13.12.2022)

Christian Kreil bloggt rund um Esoterik, Verschwörungsplauderei und Pseudomedizin. 2021 erschien sein Buch "Fakemedizin".

Weitere Beiträge im Blog