Die Arbeit eines Content-Creators findet auf dem Smartphone statt – und ist daher immer mit dabei.

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"Wenn ich groß bin, will ich Influencer werden" – der Berufswunsch vieler junger Menschen lautet oftmals nicht mehr "Feuerwehrmann" oder "Astronautin", stattdessen sehen sie die Selbstinszenierung im Web als erstrebenswerten Lebensinhalt. PR-Geschenke, Eventeinladungen und das vermeintlich einfache Geld lassen Kinder, Jugendliche und so manchen Erwachsenen erwägen, diesen Weg einzuschlagen. Zugegeben: Die Entlohnung der Influencer ist teilweise sehr hoch. Der Preis, den sie dafür zahlen, ist es aber auch — die Handelsware ist nämlich vielfach die eigene Privatsphäre.

Wer bin ich?

Wenn die deutsche Millane Friesen (@millane) etwas auf der Kurzvideo-Plattform Tiktok veröffentlicht, sind dabei sechs Millionen Augenpaare auf sie gerichtet. Dennoch filmt sie ihre Lifestyle-Inhalte gerne hinter verschlossenen Türen, ohne dass ihre Eltern dabei zusehen. Sie kämpfe ein wenig mit sozialen Angststörungen, wenn Leute sie bei der Videoaufnahme beobachten, sagt sie. Auf die Frage, welche Berufsbezeichnung sie für sich selbst wählt, antwortet die Zwanzigjährige mit "Content-Creatorin". Die Begründung: "Ich erstelle gezielten Content, um die Leute zu inspirieren, dafür muss ich auch nicht zwingend Einblicke in mein Privatleben geben."

Die öffentliche Wahrnehmung beeinflusst auch die Selbstbeschreibung der ebenfalls zwanzigjährigen Tina Neumann (@tinaneumann). Sie kann schon jetzt sechs Jahre Arbeitserfahrung vorweisen. Auch sie identifiziert sich selbst als "Content-Creatorin", weil das Wort "Influencer" in ihrer Erfahrung eine negative Konnotation hat: "Influencer werden als die Bösen aus dem Internet dargestellt," sagt sie.

Auf der Straße erkannt werden

Karin Teigl ist das Gesicht und die Seele hinter dem Mode-Instagram-Account @constantlyk. Mit ihrem gleichnamigen Blog constanlyk.com hatte sie von Anfang an die Mission, eine Marke zu werden. Unternehmerisches Denken ist der gebürtigen Salzburgerin intrinsisch: "Ich hab früh verstanden: Ich muss hackeln, wenn ich mir was leisten will." Was sie als Bloggerin oder Content-Creatorin auf Instagram und Tiktok "hackelt", wird aber selbst von der Familie teilweise noch belächelt.

Der Erfolg kann Teigl trotz Unwissenheit der Familie aber nicht abgesprochen werden. Von Fans wird sie auf der Straße erkannt und angesprochen. Aufgrund ihres bekannten Ehepartners, Fußballer Georg Teigl, war sie die Aufmerksamkeit davor schon gewohnt. Fraglich ist, ob man sich wirklich daran gewöhnen kann, dass fremde Menschen reichlich Informationen über einen haben, man selbst im Gegenzug aber nichts über sie weiß. Teigl aber mag den spontanen Austausch: "Ich rede generell gerne mit Menschen", sagt sie.

Ähnlich wie Teigl verhält sich Mario Schafzahl (@mario_schafzahl). Er ist Model, Unternehmer und Fitness-Influencer. Gemeinsame Ansichten haben sie in Bezug auf ehrliche Inhalte in ihren Postings: Sie zeigen, was ihnen gefällt, und verstellen sich nicht. Mit der Bewunderung von Followern im Alltag gehen sie allerdings unterschiedlich um. "Manchmal ist man sich einfach nicht sicher, warum man angeschaut wird. Liegt es an der Figur? Kennen sie mich? Hab ich etwas im Gesicht?", sinniert Schafzahl über Momente im Alltag.

Die Bildtexte auf Schafzahls Instagram-Account sind auf Englisch verfasst. Das war eine bewusste Entscheidung, um seine Privatsphäre zu wahren. Der anfängliche Gedanke war, eine internationale Followerschaft zu generieren, um regional in Österreich als Privatperson unauffälliger zu sein. Bei über 265.000 Followern ist das aber nur schwer möglich. "Es gibt auch viele Fake-Profile von mir. Gegen die gehe ich dann auch vor", erklärt der Fitness-Influencer im Interview mit dem STANDARD. Auch wenn Imitation als die höchste Form der Anerkennung gilt, schwingt ein wenig Unverständnis in Schafzahls Antwort mit.

Aber gibt es hinter den Influencern überhaupt noch so etwas wie ein Privatleben? Das ist fraglich. Zu sehr wirkt sich der digitale Erfolg auf das reale Leben aus. Millane gesteht ein, dass sie aufgrund ihrer hohen Bekanntheit mehr darauf achtet, wie sie sich in der Öffentlichkeit verhält, wenn sie das Gefühl hat, beobachtet oder gefilmt zu werden. Sie achtet dann auf ihre Haltung, ihren Gesichtsausdruck oder auch darauf, wie sie etwas isst. Zu oft haben Menschen sie schon ohne ihre Zustimmung fotografiert.

Schlagwort Authentizität

Fans glauben, ihre Social-Media-Lieblinge zu kennen. Das Gefühl von Nähe zu einer Internet-Persönlichkeit resultiert unter anderem aus immer persönlicheren Inhalten, die Content-Creator auf ihren Plattformen teilen. In den vergangenen Jahren beleuchteten Influencer vermehrt die Kehrseite ihrer Lebensrealität und gaben zum Teil intime Einblicke in ihr persönliches Leben. Schlechte Tage, toxische Beziehungen oder persönliche Flauten werden dokumentiert. Dieses vermittelte Realitätsgefühl stößt allerdings nicht durchgehend auf fruchtbaren Boden. Authentizität als Trenderscheinung steht Content-Creatorin Millane kritisch gegenüber: "Wie authentisch kann ein Trend wirklich sein?" Mit ihren Videos will sie inspirieren, weinend vor die Kamera zu treten ist dabei nicht ihr Konzept.

Content-Creatorin Neumann interpretiert Inspiration und Authentizität für sich anders. Sie ist sich bewusst, dass Leute auf ihrem Handy Unterhaltung suchen. Ihre Rolle darin sieht sie als Freundin der Abonnentinnen. Die Zwanzigjährige versucht aber keine nonexistente heile Welt zu schaffen, auch wenn sie reflektiert, dass Inhalte, die eine – in ihren Worten – "Traumwelt" darstellen, sehr wohl Daseinsberechtigung haben: "Ich werde zum Beispiel keine Gucci-Taschen in die Kamera halten, wenn ich mir die auch im echten Leben nicht leisten möchte."

Tina Neumann will auch im Internet Tina Neumann sein, sie will nahbar sein und mit ihren Followern in Kontakt treten. Bilder von einem verweinten Gesicht sind dabei ein Ausfluss dieser Ehrlichkeit und Nahbarkeit: "So muss ich auch niemandem vorlügen, dass es mir gutgeht, wenn ich eigentlich einen schlechten Tag habe."

Inszenieren und inspirieren

Teigl veröffentlicht seit Jahren drei Posts pro Tag – auch am Wochenende, an Feiertagen und in den Ferien. Immer dienstags bereitet sie Outfits vor und fotografiert Inhalte en masse, die dann über die Woche ausgespielt werden. Neumann wiederum nimmt an einem Tag zwischen fünf und zehn Videos auf und hat in ihrer Notiz-App zu jedem Zeitpunkt unzählige Video-Ideen, die sie abarbeitet. Inwieweit diese Planung in eine Inszenierung des eigenen Lebens ausufert, nehmen die Inhaltserstellenden unterschiedlich wahr.

"Manchmal entstehen wirklich Schnappschüsse", erzählt Lifestyle- und Mama-Bloggerin Sophia Böhm (lifestyle.mom). Ihr tägliches Auftreten wird von ihrer Arbeit trotzdem bis zu einem gewissen Grad beeinflusst. Es schlägt sich zum Beispiel bereits im Kaufverhalten nieder: "Jeans kann ja jeder", sagt sie – bei Outfitposts inszeniert sie deswegen lieber ausgefallenere Kleidungsstücke.

"Ich empfinde es nicht als Inszenierung", erklärt Neumann: "Mittlerweile gehen ja auch generell viele Jugendliche einfach mit dem Gedanken 'Ah, das könnte gut auf Social Media aussehen' in den Alltag." Auf die Frage, ob sie durch ihre frühe Auseinandersetzung mit sozialen Medien durch eben jene auch sozialisiert wurde und deswegen die Inszenierung als solche nicht empfindet, antwortet sie mit einem nachdenklichen Ja.

Fitness-Influencer Schafzahl versucht, die Inszenierung an seinen Alltag anzupassen und nicht andersrum. Wenn er abends beispielsweise etwas mit Freunden vorhat, nimmt er sich davor die Zeit, um sein Outfit noch zu fotografieren. Trainingseinheiten, die er ohnedies im Fitnesscenter absolvieren würde, werden ebenfalls für Inhaltsgewinnung genutzt. Trotz der Arbeit als Model gibt aber auch er zu, dass die Handykamera im Selfiemodus in ihm ein wenig Schamgefühl weckt.

Work-Life-Balance

Wenn das eigene Leben den beruflichen Inhalt darstellt, kann es schwierig sein, den Feierabend einzuhalten. Auch in Fällen, in denen die Inszenierung nicht als solche wahrgenommen wird. "Man hat die Arbeit immer auf dem Handy dabei, und man möchte oder muss ja auch immer am Ball bleiben", so Böhm über die Schwierigkeit, die Arbeit im wahrsten Sinne des Wortes beiseitezulegen.

Auch Teigl gesteht ein, dass sie sich zum Pausemachen zwingen muss. Das Wort Ersetzbarkeit fällt hier in der Unterhaltung. Über die fehlende Work-Life-Balance spricht auch Neumann: "Jeder Gedankengang ist für Social Media. Nicht weil man rund um die Uhr arbeitet, sondern einfach weil man gedanklich dort ist."

Die positiven und negativen Erfahrungen der Influencerinnen und Influencer sind ähnlich, so auch ihre Bestrebungen. Die fünf haben es sich zum Ziel gesetzt, zu inspirieren und zu motivieren. Der Beruf ist also vielleicht bis zu einem gewissen Grad Berufung. Die persönlich angestellte Kosten-Nutzen-Rechnung zwischen Inspiration und Inszenierung scheint für sie aufzugehen. Einen Plan B, ein zweites Standbein, haben sie trotzdem alle. (Sophie Marie Werner, 8.12.2022)