Zu viel Belastung, etwa durch lange Läufe ohne vorheriges Training, bringt den Knochen zum Brechen. Läuferinnen und Ballsportler sind besonders häufig betroffen.

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Am Anfang war es nur ab und zu ein Stich. Nach ein, zwei Wochen tat schon jeder zweite Schritt weh. Und irgendwann waren die Schmerzen im Fuß so stark, dass Luzia K. fast nicht mehr auftreten konnte. Blöd, dass das ausgerechnet in Venedig passierte. Der Weg zurück zum Vaporetto dauerte ziemlich lange. Zurück aus dem Urlaub – die Schmerzen waren nach etwas Erholung nicht mehr ganz so stark –, war aber klar: Da stimmt was nicht. Auf dem Röntgenbild war keine Fraktur zu sehen, nur ein ganz schmaler Strich. Doch für den Arzt war die Diagnose eindeutig: Ermüdungsbruch.

Zu viel, zu lang, zu weit, zu stark. So wie Luzia K. geht es nicht wenigen. Wird der menschliche Knochen chronisch oder dauerhaft überlastet, kann es zu so einem Bruch kommen oder auch einer sogenannten Stressfraktur. Bei der Oberösterreicherin mit Mitte 30 war der Hergang typisch für jüngere Menschen, er kündigte sich über Wochen durch zunehmende Schmerzen an. Ältere trifft er meist wie aus heiterem Himmel, plötzliche starke Schmerzen machen weiteres Laufen quasi unmöglich.

"In jedem Fall treten Ermüdungsbrüche immer dort auf, wo die Knochen am meisten belastet sind", sagt der Sportmediziner Ingo Froböse von der Deutschen Sporthochschule Köln. Das sind Schienbein und Fußknochen, weil dort beim Wandern und bei fast allen Sportarten die meisten Belastungen auftreten. "Daher sind besonders Läufer und jene Menschen, die Ballsportarten wie Fußball, Basketball oder Handball spielen, betroffen, weil die im Bereich der Fußknochen sehr hohe Belastungen erfahren."

Problem für Läuferinnen und Fußballer

Die Ursachen für einen Ermüdungsbruch ähneln sich in vielen Fällen. "Einer der Hauptverursacher ist sicher fehlende oder zu kurze Regeneration zwischen hohen Belastungen beziehungsweise dem Training", sagt Ingo Froböse. Das heißt, es wird zu viel und zu häufig trainiert und damit dem Knochen nicht ausreichend Zeit gegeben, sich selbst zu reparieren.

Dahinter stecke oft zu großer Ehrgeiz, etwa wenn man seinen Knochen von heute auf morgen eine außerordentliche hohe Belastung zumutet. Das kann eine intensive Wanderung wie der Jakobsweg sein oder ein ungenügend vorbereiteter Langstreckenlauf, ein plötzlicher Wiederbeginn mit Jogging oder eine zu rasche Erhöhung der Trainingsintensität. Darauf ist der Knochen nämlich nicht vorbereitet. Nur bei langsam zunehmender Belastung kann sich die Knochenstruktur der neuen Anforderung entsprechend umbauen und Stabilität geben.

Zu viel Training kann insbesondere bei Frauen die Knochen schwächen: Nehmen sie im Verhältnis zum Training zu wenig Energie zu sich, was nicht selten der Fall ist, spricht man vom Relatives-Energie-Defizit im Sport, kurz RED-S. Diese Frauen bauen zu wenig Fett auf, das aber für die Östrogenproduktion mit notwendig ist. Östrogen wiederum ist für die Knochengesundheit essenziell. "Hormonelle Gaben, etwa zur Verhütung, können das zusätzlich verschärfen, denn sie haben in jedem Fall Einfluss auf bestimmte Prozesse im Körper, die für den Umbau und Aufbau bestimmter Strukturen zuständig sind", sagt Ingo Froböse. Ob und inwieweit dies das Risiko für Ermüdungsbrüche beeinflusse, dafür fehle aber jede Evidenz. "Hormone sind Überredungskünstler, die den Körper veranlassen, Dinge zu tun, die er von alleine nie tun würde", sagt der Experte. Daher habe das in der Regel meist auch Nachteile.

Vitamin-D- und Kalzium-Mangel

Ältere Frauen, nach der Menopause, haben ein ähnlich gelagertes Problem, bei ihnen kommt eine Schwächung der Knochen durch Osteoporose als Ursache für den Ermüdungsbruch infrage. Besonders Langstreckenläuferinnen ab 50 sind daher besonders gefährdet. Aber auch Vitamin-D- und Kalzium-Mangel kann langfristig einen negativen Einfluss auf die Knochenstruktur haben. Erhöht wird das Bruchrisiko noch durch angeborene Fehlstellungen des Fußes, muskuläre Schwächen oder einseitige Belastung durch nur eine Sportart.

"Doch Ermüdungsbrüche lassen sich gut vermeiden", sagt Inge Froböse. Der Kölner Sportmediziner empfiehlt, die Belastung für die Knochen nur langsam zu steigern, sei es im Training oder vor einer anstrengenden Wanderung. "Gut ist auch ein Mix aus verschiedenen Sportarten, so vermeidet man die einseitige Belastung." Einlegesohlen brächten nur wenig, besser sei es, die Beinmuskulatur als Stoßdämpfer der Knochen durch Training zu stärken. Wer familiär ein Osteoporoserisiko mitbringt, sollte besonders in der dunklen Jahreszeit auf ausreichende Versorgung mit Vitamin D und Kalzium achten, sich mit genügend Energie und mit viel Eiweiß ernähren und dem Körper genug Zeit lassen, sich zu regenerieren. "Für Normalsportler reichen durchaus drei Trainingseinheiten pro Woche, sehr gut Durchtrainierte können auch bis zu fünfmal pro Woche trainieren."

Ankündigung durch Warnsignale

Ist die Belastung doch einmal zu hoch, sollte man auf die Warnsignale hören. Im Gegensatz zu Älteren mit Osteoporose, bei denen der vorgeschädigte Knochen schneller nachgibt und oft ohne Vorankündigung bricht, ist bei Jüngeren der Ermüdungsbruch eher ein fortschreitender Prozess. Bei ihnen treten die Schmerzen anfangs nur am Ende des Trainings auf. Bei unveränderter Intensität kommen sie dann immer früher, schon während des Trainings und schließlich auch beim normalen Gehen und Treppensteigen. Spätestens dann sollte man zum Arzt gehen. Zu diesem Zeitpunkt besteht noch eine gute Chance, dass der Knochen nicht komplett gebrochen ist.

Die zunächst nur oberflächliche Beschädigung des Knochengewebes kann der Arzt meist nicht im Röntgen sehen, aber vor allem durch ein MRI erkennen. Je früher man einen nahenden Ermüdungsbruch erkennt, umso früher kann man sich schonen und desto schneller geht die Heilung. Die Schmerzen müssen aber vollständig verschwunden sein, bevor die Belastung wieder gesteigert wird.

Jüngere mit gesundem Knochen können so teilweise schon nach zwei Wochen Schonung langsam mit dem Training wieder beginnen. In der Regel ist aber eine Ruhigstellung beziehungsweise Schonung des betroffenen Knochens für vier bis sechs Wochen, in Einzelfällen sogar bis sechs Monate, notwendig. Am Fuß erfolgt die Ruhigstellung bequem, aber konsequent mittels einer sogenannten "harten Sohle" zum Einlegen in den Schuh. "Ist der Bruch dann wieder verheilt, muss man sich nicht weniger belasten als vorher", beruhigt Froböse, "aber man sollte daraus lernen." (Andreas Grote, 08.12.2022)