Die Festgenommenen stehen nach Angaben der Bundesanwaltschaft im Verdacht, eine terroristische Vereinigung gebildet zu haben, die mit Waffengewalt eine neue Regierung installieren wollte.

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Berlin – Die deutschen Sicherheitsbehörden rechnen nach der Großrazzia in der "Reichsbürger"-Szene mit weiteren Beschuldigten. Am Mittwoch waren bei einem der größten Polizeieinsätze gegen Extremisten – auch in Österreich und Italien – 25 Menschen wegen Umsturzplänen festgenommen worden. Es gibt 54 Beschuldigte. Thüringens Innenminister Georg Maier warf der AfD vor, eine Schnittstelle für Rechtsextreme zu sein. Laut Bayerns Ministerpräsident Markus Söder ist die Demokratie gefährdet.

VIDEO: Polizei und Bundesanwaltschaft haben bei bundesweiten Razzien ein mutmaßliches Terror-Netzwerk aus Reichsbürgern gesprengt. Einzelne Mitglieder sollen bereits konkret einen bewaffneten Überfall auf den Bundestag geplant haben.
DER STANDARD

Die Bundesanwaltschaft hatte am Mittwoch in elf deutschen Bundesländern sowie in Italien und Österreich 25 Menschen festnehmen lassen; mit Ausnahme einer Russin waren alle deutsche Staatsbürger. 22 von ihnen wirft sie vor, Mitglied einer terroristischen Vereinigung zu sein, die das politische System in Deutschland stürzen wollte. 23 der 25 Festgenommenen seien inzwischen in Untersuchungshaft, sagte eine Sprecherin der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe am Donnerstag.

Laut BKA-Präsident Holger Münch gibt es mittlerweile 54 Beschuldigte. Bei dem Großeinsatz von rund 3.000 Beamten seien mehr als 150 Durchsuchungen durchgeführt worden, bei rund 50 Objekten seien auch Waffen festgestellt worden. Münch ging von weiteren Beschuldigten und Durchsuchungen in den nächsten Tagen aus.

Thüringens Innenminister erwartet ebenfalls weitere Festnahmen

Auch Thüringens Innenminister Georg Maier erwartet weitere Festnahmen. Wenn beschlagnahmte Beweisstücke wie etwa Mobiltelefone ausgewertet seien, sei dies zu erwarten, sagte der SPD-Politiker am Donnerstag im Deutschlandfunk.

In Thüringen werde die AfD wegen mutmaßlicher verfassungsfeindlicher Bestrebungen bereits beobachtet. Maier warf der AfD vor, dass sie wie eine Schnittstelle für rechtsextreme Organisationen funktioniere. Auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) sagte im Deutschlandfunk, dass er mit weiteren Aktionen gegen die Reichsbürger-Szene rechne. Die Razzien hätten gezeigt, dass der Rechtsstaat wehrhaft sei.

SPD-Chef: AfD "offen verfassungsfeindliche Partei"

Auch SPD-Chef Lars Klingbeil kritisierte die AfD und forderte forderte Konsequenzen. "Die AfD gehört flächendeckend auf die Beobachtungsliste des Verfassungsschutzes und nicht in Parlamente, Gerichte oder den öffentlichen Dienst", sagte Klingbeil am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.

Die Razzia habe abermals eine enge Verbindung der gewaltbereiten rechtsextremen Szene mit der AfD gezeigt. "Das muss Konsequenzen haben." Klingbeil nannte die AfD eine "offen verfassungsfeindliche Partei", die als "parlamentarische Schnittstelle für Hass, Hetze und Gewalt" agiere. Klingbeil sagte, die AfD kooperiere mit Reichsbürgern und Nazis, die das demokratische System umstürzen wollten. Dafür nutze sie öffentliche Gelder und Strukturen, die ihr als Partei zustünden. "Der Rechtsstaat hat mit der Razzia gezeigt, dass er wachsam und wehrhaft ist. Das muss jetzt auch die AfD zu spüren bekommen", betonte der SPD-Chef.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) forderte am Mittwochabend ein hartes Vorgehen. Durch Netzwerke wie jene der sogenannten Reichsbürger sei die Demokratie "sehr gefährdet", sagte Söder dem BR-Politikmagazin "Kontrovers". "Es sind schon völlig neue Ausmaße. Da geht es nicht um ein paar Irregeleitete oder Fehldenkende", so Söder. Bei dieser Gruppierung sei "mit hohem Gewaltpotenzial" zu rechnen. "Daher müssen wir mehr als vorsichtig sein." Wer an einen "Waffenumsturz" glaube, der müsse mit der ganzen Härte des Rechtsstaats rechnen. "Wir in Bayern gehen sehr, sehr hart vor und ich bin froh, dass das in ganz Deutschland so der Fall ist."

Ehemalige Sicherheitskräfte verdächtigt

Münch betonte zudem, nun genauer hinsehen zu wollen, wer bei den Sicherheitskräften arbeitet. "In solchen Zeiten, in denen wir auch sehr stark als Sicherheitskräfte gefordert sind, muss man sich darauf verlassen können, dass alle uneingeschränkt hinter der freiheitlich demokratischen Grundordnung stehen", so der BKA-Präsident im ARD-"Morgenmagazin" am Donnerstag. Nach der Razzia wurde bekannt, dass auch ehemalige und noch aktive Personen der Sicherheitskräfte als Tatverdächtige gelten.

Münch sagte weiter, im BKA gebe es derartige Sicherheitsüberprüfungen bereits "sehr, sehr lange". Auch in vielen Landespolizeien sei das mittlerweile Usus. "Und ich denke, dass dort, wo es noch nicht gemacht wird, wir das auch in absehbarer Zeit einführen werden", so Münch. Das bedeute eine Zusatzbelastung gerade für den Verfassungsschutz, aber die Arbeit lohne sich und sei keine einmalige Angelegenheit, da die Behörden so auch klarmachten, für welche Werte sie stünden.

Richterin verhaftet

Neben dem hessischen Unternehmer Heinrich XIII. Prinz Reuß und einem Mann namens Rüdiger von P., der an der Spitze des "militärischen Arms" der Gruppierung stand, wurde unter anderem die Richterin und frühere AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann verhaftet. Gegen sie läuft nun ein Disziplinarverfahren. Dies habe das Landgericht Berlin eingeleitet, sagte Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) am Donnerstag dem RBB-Inforadio.

Zuvor hatte das Gericht bereits mitgeteilt, dass die 58-Jährige aus der für Bausachen zuständigen Zivilkammer 19a ausgeschieden sei. Für die Richterin werde es nun "physisch schwierig" sein, ihrem Beruf nachzugehen, sagte Senatorin Kreck. Sie wiederholte, dass die Senatsverwaltung alle Instrumente nutzen werde, um die Beschuldigte vollständig aus dem Richterdienst "zu entfernen".

Als ehemalige Abgeordnete hatte die AfD-Politikerin, so wie alle ausgeschiedenen Parlamentarier, die dies wünschen, Zugang zu den Gebäuden des Bundestages. Dem Bundesschiedsgericht der AfD gehört sie als Beisitzerin an. Die Festnahme habe "keine automatische Auswirkung auf Parteiämter", sagte Partei-Vize Stephan Brandner am Donnerstag auf Nachfrage.

Festnahme eines Kochs in Kitzbühel

In Österreich kam es laut Bundesstaatsanwaltschaft in Karlsruhe – wie hier berichtet – zu einer Festnahme in Tirol. Dabei soll es sich um einen Mann aus München handeln, der laut Presse Koch eines Nobelhotels in Kitzbühel ist. Er wird verdächtigt, den "militärischen Arm" der besagten Reichsbürgergruppe unterstützt zu haben, weil er für dessen Verpflegung zuständig gewesen sei. (APA, dpa, Reuters, red, 8.12.2022)