Die schmale weiße Fassade wirkt, als hätte sie sich gerade noch so zwischen die Bäckerei und das Drogeriegeschäft gequetscht. Auf dem Schild prangt der Schriftzug "Islamische Vereinigung in Österreich", kurz IVÖ. Darauf abgebildet ist auch Österreich samt seiner Landesgrenzen, passend in Rot-Weiß-Rot gehalten. Im Inneren befindet sich die sogenannte Al-Hidaya-Moschee, ein bekanntes muslimisches Gebetshaus im zweiten Wiener Gemeindebezirk. Und mitunter dort soll der Vereinspräsident und Imam in Personalunion, Ibrahim D., in seinen auf Arabisch gehaltenen Predigten die Ideologie der Muslimbruderschaft verbreitet, "das Martyrium und den Tod im Einsatz für die Religion" verherrlicht und offen mit der palästinensischen Terrororganisation Hamas sympathisiert haben.

So lautet zumindest die Schlussfolgerung einer 143 Seiten dicken Studie der Dokumentationsstelle Politischer Islam. Dafür hat sich die Forschungsstätte speziell etliche Videopredigten des Imams angesehen, die in den Jahren 2013 bis 2020 auf Youtube hochgeladen wurden. Dabei mache der Prediger deutlich, dass er die Hamas "als Vorbild für Muslime und Musliminnen weltweit sieht". Diese werde von Ibrahim D. als Trägerin der "Mannhaftigkeit" beschrieben, "die sich durch die Liebe zum Märtyrertum und die Bereitschaft, für die Religion zu sterben, auszeichne", heißt es in der Studie.

In den Büchern der moscheeeigenen Bibliothek werde etwa Antisemitismus propagiert, der Trennung von Staat und Religion abgeschworen und "die sexuelle Verweigerung der Frau gegenüber dem Mann lediglich bei Vorliegen einer medizinischen Indikation oder aus religiösen Gründen erlaubt. Andernfalls könne sexueller Verkehr durch den Mann auch durch 'leichtes Schlagen' durchgesetzt werden." Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) kündigte ein Ermittlungsverfahren durch das zuständige Kultusamt an.

Vor allem aber müsse die islamische Glaubensgemeinschaft hinsichtlich der Al-Hidaya-Moschee "ihrer Verantwortung nachkommen", befand die türkise Integrationsministerin Susanne Raab.
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Imam Ibrahim D. betone zwar, demokratische Prozesse zu unterstützen, heißt es weiter, dürfte aber gleichzeitig vor einigen Jahren die Anpassung seiner Zuhörer an westliche Verhältnisse bemängelt haben: "Ja, es gibt (unter uns) welche, deren Köpfe verwirrt sind und deren Glaube mangelhaft ist. Sie verstehen die Sache nicht vollständig, weil sie von den falschen Grundannahmen ausgehen und weil sie von der säkularen, liberalen Denkweise befallen sind. Sie leben verwestlicht (...)", wird aus einer Predigt zitiert. "(...) Deshalb fühlen sie nicht mit, was in Gaza passiert, sondern konspirieren dagegen und bringen die Welt dagegen auf. Sie fordern Tötung und Vertreibung und Schädigung, ja ich sage: Schädigung des Islams (...)."

Laut dem Bericht könne der Imam mit der "Sofasitzer-Fraktion" unter den Muslimen nichts anfangen, die angesichts aktueller Krisen nicht an ihrer Religion arbeiten würden. Ibrahim D. hebe in einer seiner Predigten aus dem Jahr 2017 vielmehr jene beispielhaft hervor, "die sich selbst an Gott verkauft haben und die auf den Plätzen getötet worden sind". Nur wegen solcher Menschen werde die muslimische Gemeinschaft "ihr Unglück hinter sich lassen (...) Dann wird sie umso mächtiger zurückkehren und die Scharia Gottes auf Erden durchsetzen und das Banner des Monotheismus aufrichten!".

"Kampfesmutige Generation" und "verfluchte Zionisten"

Ibrahim D. setze gemäß einer in der Studie angeführten Ansprache seine Hoffnung in eine neue Ära: "Diese unterwürfigen und kleingeistigen Generationen, die sich nicht von der Stelle rühren, werden in den (20)20er-Jahren enden. 2020 wird eine noch nie dagewesene Renaissance beginnen, 2027 wird Israel vom Erdboden verschwinden, durch die Hand von Männern, die sich Gott verschrieben haben. Eine Generation von Jugendlichen, in deren Herz die Angst nicht eindringen kann."

Im Bezug auf den Nahostkonflikt sehe Ibrahim D. etwa eine "kampfesmutige Generation" in Gaza auf der einen Seite, vermutlich eine Anspielung auf die Hamas-Terroristen ("Dass er Gott, Anm. in ihnen die Liebe zum Jihad und zum Märtyrertod für Gottes Sache entfache!"), und "verfluchte Zionisten" auf der anderen, die Gott "überall" zerstören möge. Im Bezug auf Gaza erwähnte der Imam einmal auch direkt die Jugend in Europa, heißt es.

Anwalt spricht von "verzerrter" Berichterstattung

Ibrahim D. geriet bereits an anderer Stelle in den Fokus der österreichischen Sicherheitsbehörden: nämlich in der bisher wenig ergiebigen Operation Luxor. Im Zuge dieser fanden am 9. November 2020 dutzende Razzien gegen angebliche Muslimbrüder und mutmaßliche Mitglieder der terroristischen Hamas statt.

Der Anwalt des Imams, Farid Rifaat, spricht angesichts der neuen Vorwürfe von einer "unrichtigen, verzerrten Berichterstattung". Rifaat stehe der Dokumentationsstelle sehr kritisch gegenüber, nennt die Berichte "falsch", die Zitate "aus dem Zusammenhang gerissen". Diese seien so nie gefallen, die Übersetzungen befinde er "großteils" für falsch.

In den Ermittlungsakten zur Operation Luxor taucht aber nicht nur der Imam als Beschuldigter auf, sondern auch zwei Brüder, die für geraume Zeit die Leitung der "Islamischen Vereinigung Österreich" innegehabt haben und auch über gute Kontakte nach Katar verfügen dürften. Zumindest einer davon bekennt sich zur Muslimbruderschaft. Auch Ibrahim D. wird in der Studie als Unterstützer der islamistischen Bewegung zitiert: "Ich war nie einer von ihnen (der Muslimbruderschaft) im Sinne einer Mitgliedschaft, sondern ich gehöre zu ihnen im Sinne einer Idee, einer Bewegung, einer Strömung (...)."

Für die Behörden sind die Verdächtigen in der Operation Luxor allesamt Terroristen. Ein Pauschalvorwurf, der in den Ermittlungen bereits massiv infrage gestellt wurde.

In ihrem Ursprungsland Ägypten gilt die Muslimbruderschaft als Terrorgruppe, nicht allerdings in der Europäischen Union oder Österreich. Hierzulande sind lediglich ihre Symbole verboten. In Deutschland wird die Bruderschaft als eine verfassungsfeindliche Organisation beschrieben, die mit einem "Marsch durch die Institutionen" versuche, einen Staat nach islamischen Normen zu etablieren.

Grüne: "Dürfen wir nicht zulassen"

Und was sagt die Islamische Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) zu all dem? Schließlich befindet sich die Al-Hidaya-Moschee als offizielles Gebetshaus unter ihrem Dach. Die IGGÖ will zunächst festgehalten wissen, dass sie der Arbeit der Dokumentationsstelle weiterhin ablehnend gegenüberstehe. Für sie sei die Zusammenarbeit mit dem zuständigen Kultusamt maßgeblich, "welches bis dato jedoch noch nicht an uns herangetreten ist". Informationen zu etwaigen Ermittlungen würden der IGGÖ ebenso wenig vorliegen.

Man nehme die im Raum stehenden Vorwürfe jedoch ernst. "Es wäre allerdings verfehlt, den Sachverhalt zu beurteilen, ohne den Verantwortlichen der betroffenen Gemeinde die Möglichkeit einer Stellungnahme einzuräumen", heißt es in der Stellungnahme. Daher könne man sich noch nicht konkret zu den Vorwürfen äußern. Sollten sich diese jedoch erhärten, werde die IGGÖ "adäquate Maßnahmen" setzen.

Eine Reaktion kam auch von den Grünen. "Wir dürfen und werden es nicht zulassen, wenn radikale Prediger im Sinne eines politischen Islam unsere Jugend mit homophobem, frauenfeindlichem, kindeswohlgefährdendem und antisemitischem Gedankengut vergiften", sagt deren Menschenrechtssprecherin, Ewa Ernst-Dziedzic. "Wenn die Erkenntnisse der Dokumentationsstelle Politischer Islam in dem von der zuständigen Bundesministerin angekündigten Ermittlungsverfahren bestätigt werden, müssen hier schleunigst die Konsequenzen gezogen werden." (Jan Michael Marchart, 9.12.2022)