2002 verpasste Louis Van Gaal mit den Niederlanden noch die WM. 2014 kam er ins Semifinale, 2022 steht er im Viertelfinale. Im Bild lacht er mit Innenverteidiger Nathan Ake.

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Louis van Gaal hätte die Weltmeisterschaft ganz entspannt verfolgen können. An der Algarve in Portugal, wo er die vergangenen Jahre mit seiner Frau Truus wohnte. Aber nein, der Amsterdamer bekam ein Angebot, das er nicht ablehnen konnte: Eine dritte Amtszeit als niederländischer Teamchef. "Wer soll es denn sonst machen?", sagte er voll überzeugt. Also führte er das Nationalteam zur WM und ins Viertelfinale gegen Argentinien (20 Uhr, live auf ORF1 und im STANDARD-Ticker) Das Ziel ist klar: der Titel. Andere Teams seien besser, aber: "Du musst ein Ziel formulieren", sagt der 71-Jährige. "Damit das Team daran glauben kann."

Krebsleiden

Die eingeschworene Elftal glaubt daran. Aber vor allem an ihren erfahrenen Lehrmeister. Seit mehr als 35 Jahren ist van Gaal im Trainergeschäft. Die WM, meinen viele, ist seine letzte Mission. Im April gab er bekannt, an Prostatakrebs erkrankt zu sein und bereits 25 Bestrahlungen hinter sich zu haben. "Die ersten drei Wochen waren furchtbar", sagt er in der Dokumentation "Louis". Während sein Team um die WM-Qualifikation kämpfte, hatte er ab und zu einen Katheter unter seiner Trainingsjacke versteckt. Zur Chemotherapie fuhr er heimlich. Sie habe gut angeschlagen. Kapitän Virgil Van Dijk sagt: "Sein Kampf inspiriert uns. Für ihn gehen wir die Extrameile."

Van Gaals erste Ehefrau Fernanda verstarb 1994 an Leber- und Bauchspeicheldrüsenkrebs. Sie waren mehr als 20 Jahre verheiratet. Die beiden Töchter überzeugten den damaligen Ajax-Trainer weiterzumachen. Kurz darauf gewann er mit einer Truppe aus jungen, technisch versierten Eigenbauspielern und mit begeisterndem Offensivfußball die Champions League.

Das Konzept verfolgte er später auch beim FC Barcelona, in dem er zahlreiche Oranje-Kicker verpflichtete. Van Gaal feierte in den 1990ern fünf Meistertitel, danach folgte eine Durststrecke. Mit den Niederlanden verpasste er die WM 2002, seine zweite Barça-Amtszeit endete nach einem halben Jahr. Als Technischer Direktor bei Ajax wurde er auch nicht glücklich.

Louis van Gaal mit Ehefrau Truus.
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Abreißen, aufbauen

Der in einer streng katholischen Familie als jüngstes von neun Kindern aufgewachsene van Gaal zog seine Philosophie wie eine Abrissbirne durch. Wer seinen klaren Vorstellungen vom Fußball nicht folgte, hatte Pech. Mit Spielern wie Hristo Stoichkov, Rivaldo oder Zlatan Ibrahimovic geriet er aneinander. Mit der niederländischen Legende Johan Cruyff, die ihn regelmäßig kritisierte, vertrug er sich bis zu dessen Tod 2016 nicht. Seine Schlagabtäusche mit Journalisten sind legendär. Pressekonferenzen können schon mal eine Stunde dauern. Wer seine Vision infrage stellt, muss das argumentieren. Die meisten scheitern daran. So fragte van Gaal einen Redakteur einst: "Bin ich so klug oder du so dumm?"

Der ehemalige Sportlehrer, der sich als Spieler zu langsam befand, machte sich nicht überall beliebt, aber hinterließ ein großes sportliches Erbe. Pep Guardiola, den van Gaal einst zum Kapitän beförderte, bezeichnete ihn als großen Einfluss für seine spätere so erfolgreiche Trainerkarriere in Barcelona. Xavi und Andres Iniesta verdanken van Gaal ihr Debüt.

Dito beim FC Bayern: Der "Tulpengeneral" führte den Klub in die Moderne, die Münchner bauen noch heute auf seinen Offensivfußball. Unter ihm debütierte ein gewisser David Alaba. Van Gaal war es, der Bastian Schweinsteiger vom Flügel auf seine Paraderolle ins defensive Mittelfeld beorderte. Und er schenkte Thomas Müller das Vertrauen. Der Führungsspitze riss trotzdem der Geduldsfaden. "Sein Problem ist, dass er sich nicht für Gott hält, sondern für Gottvater", sagte Uli Hoeneß.

Mit Ajax gewann van Gaal 1995 die Champions League.
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Aber das Fundament war wieder einmal gelegt. Jupp Heynckes baute darauf auf und triumphierte mit den Münchnern kurz darauf in der Königsklasse.

Bei Manchester United beklagte van Gaal, den seine Töchter aus Respekt siezen müssen, einen zu alten Kader und zu wenige Kreative.

Tänzchen, Umarmung

Aber manchmal ist der niederländische Sturkopf durchaus kompromissbereit. Mit AZ Alkmaar beendete er 2009 sensationell das 28-jährige Meisterabo von Ajax, Eindhoven und Feyenoord. Dabei setzte van Gaal auf für ihn untypischen Konterfußball. Diesen packte er auch mit Oranje bei der WM 2014 aus, 2022 lässt er ebenfalls abwartender spielen. "Man muss sich über die Jahre anpassen", sagte er zu Kritikern. "Früher dachte ich nur ans Angreifen, heute mehr ans Gewinnen."

In Katar zeigt sich van Gaal lockerer. Ein Tänzchen da, eine Umarmung für einen Journalisten dort. Für seinen früheren Schützling Ronald de Boer ist der Bondscoach aber nicht "weicher" geworden. Er passe sich einfach an die heutige Generation an. Und seine Meinung posaunt van Gaal weiterhin selbstbewusst hinaus. So bezeichnete er die WM-Vergabe an den Wüstenstaat als "lächerlich". De Boer: "Einen Trainer wie ihn wird die Fußballwelt niemals wieder erleben." (Andreas Gstaltmeyr, 9.12.2022)