Als Michael Ludwig am vergangenen Sonntag in der ORF-Pressestunde Rede und Antwort stand, beendete er schon bei der Begrüßung eine Debatte, die sich genau darum gedreht hat: die Wortwahl bei der Begrüßung. Denn Ludwig sagte "Grüß Gott" und griff damit ausgerechnet zu jener Formulierung, die zuvor zu einem Disput zwischen Rot und Schwarz geführt hatte. SPÖ-Fraktionsführer Kai Jan Krainer hatte Vertreter der niederösterreichischen ÖVP im Untersuchungsausschuss des Nationalrats mit der Bemerkung vor den Kopf gestoßen, dass man in Wien nicht "Grüß Gott", sondern "Guten Tag" sage. Zumindest indirekt widersprach ihm darauf der Wiener Bürgermeister in aller Öffentlichkeit.

"Grüß Gott" ist vor allem im katholisch geprägten deutschsprachigen Bereich verbreitet.
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Zurück bleibt die Frage, wie sehr die Weise, wie in Österreich gegrüßt wird, immer noch Aufschluss über Weltanschauungen gibt. Ein Überblick über die Faktoren, die ausschlaggebend sind dafür, welche Art der Begrüßung und auch der Verabschiedung man wählt – und wie sich diese verändert haben:

Konfession

Verbreitet ist "Grüß Gott" im katholisch geprägten deutschsprachigen Bereich: in Österreich, in den deutschen Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg oder auch in Südtirol. Was wie eine Aufforderung klingt, ist eigentlich umgekehrt gemeint. Genau genommen heißt es nämlich: "Es grüße dich Gott". Ähnlich verhält es sich mit dem österreichischen und bayrischen "Pfiat di Gott", was von "Behüte dich Gott" abstammt, oder der schweizerischen Version "Grüezi". Ursprünglich meinen die Formulierungen also einen Segenswunsch. Der religiöse Hintergrund spielt in der heutigen Zeit allerdings ebenso wenig zwingend eine Rolle, wie es bei "Gott sein Dank" der Fall ist.

Politische Identität

Lange Zeit war es allerdings tatsächlich so, dass religiös geprägte, konservativere Menschen bewusst "Grüß Gott" sagten, während links orientierte, säkulare Personen tendenziell lieber andere Formulierungen wählten, wie zum Beispiel "Begrüße Sie" oder das von Krainer ins Spiel gebrachte "Guten Tag". Die Grußformel "Freundschaft" wiederum ist traditionell eine unter Arbeitern, Sozialdemokratinnen und Kommunisten häufige. Diese Sprachdifferenzen entlang parteipolitischer Zugehörigkeit gehen zurück auf die Erste Republik.

In der Zeit des katholisch geprägten Ständestaates beziehungsweise Austrofaschismus waren Konfession und Politik eng verbunden – und damit auch die Sprache: So mied man damals allen voran im sozialdemokratisch dominierten Wien das "Grüß Gott", in konservativ regierten Teilen des Landes hingegen das "Guten Tag". Bis in die 1970er-Jahre hinein wirkte das nach, sagt der Soziolinguist Manfred Glauninger, der am Institut für Germanistik der Universität Wien und an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zur Wechselwirkung von Sprache und Gesellschaft forscht. Er sagt, diese Gegensätze hätten sich erst unter Bundeskanzler Bruno Kreisky aufzulösen begonnen: als "die Mehrheit der Bevölkerung endgültig in der Zweiten Republik angekommen war".

Konvention

Verändert sich die Gesellschaft, verändert sich auch die Sprache mit. Die Regeln des Umgangs sind heute andere, Hierarchien werden neu gedacht, und auch die Art der Kommunikation ist weniger formal. "Wenn man sich heute ansieht, wie in den 1970er-Jahren kommuniziert wurde, dann wirkt das ungemein steif", sagt Glauninger. Freundschaftlichere Anreden wie "Hallo" führen schon länger die Hitlisten der beliebtesten Grußformeln an – auch, sagt Glauninger, weil so nicht zwischen Siezen und Duzen unterschieden werden müsse.

Er zählt weitere Beispiele auf: Das ursprünglich Kindern gegenüber geäußerte "Baba" fand Einzug in den normalen Sprachgebrauch. Der einstige Ehrerbietungsgruß "Servus" wiederum ist heute ein amikales Grußidiom.

Geografie

Neben dem "Servus" bleibt auch das "Griaß di/eich" Umfragen zufolge ein österreichweit beliebter Ausdruck – mit all seinen dialektspezifischen Abwandlungen. Regionale Sonderformen gebe es durch eine zusehends vernetzte und mobile Bevölkerung kaum noch, erklärt der Linguist Glauninger.

Je jünger das Publikum ist, desto häufiger fallen inzwischen internationale Wörter: Die sozialen Medien im Internet machten das englische "Hi", das hessische "Gude" und das Hamburger "Moin" auch in Österreich immer beliebter. Allerdings: "Wenn neue Grußformen dazukommen, dauert es hierzulande, bis sie akzeptiert werden", sagt Glauninger. Ein Beispiel sei das bundesdeutsche "Tschüss" zur Verabschiedung: "Das fanden am Anfang viele furchtbar. Heute sagt es jeder." (Anna Giulia Fink, 10.12.2022)