Auch die Feuerwehr droht wegen der Entlohnung mit Arbeitsniederlegung, Großbritannien erlebt eine Streikwelle wie seit Jahrzehnten nicht mehr.

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Krisen ohne Ende – nach dem Brexit, der Corona-Pandemie und dem Ukraine-Krieg ist es um die britische Wirtschaft wahrlich gut bestellt. Nach einem negativen Wachstum im dritten Quartal erwartet der Handelsverband British Chambers of Commerce (BCC), weitere fünf Quartale mit negativen Vorzeichen in Folge. Sprich, das Vereinigte Königreich wird das ganze Jahr 2023 eine Rezession durchlaufen. Auch danach gibt es keine dynamische Trendwende nach oben, denn 2024 werde es nur eine "blutleere Erholung" geben, teilte der Handelsverband mit.

Schon bisher hatte sich die britische Wirtschaft nicht wieder auf das Vorkrisenniveau des Schlussquartals 2019 erholt, nun droht der nächste Rückschlag. Insgesamt soll die Wirtschaftsleistung nächstes Jahr laut BCC um 1,3 Prozent schrumpfen, sich im Jahr darauf aber nur um verhaltene 0,7 Prozent erholen. Investitionen, Exporte und auch der private Konsum werden voraussichtlich weiterhin verhalten bleiben.

Kein Wunder, aufgrund steigender Kosten für Energie und Hypothekenzahlungen sowie sinkender Reallöhne sollen die Haushaltsausgaben deutlich zurückgehen. Dabei herrscht gerade in sehr vielen Branchen ein zähes Ringen um höhere Einkünfte, das zu einer seit Jahrzehnten beispiellosen Serie an Streiks geführt hat. Fast alle Sektoren sind betroffen: Postangestellte, Beamte, Sicherheitsbeamte, sogar Angestellte einer NGO, die Obdachlosen hilft, weil sie fürchten, selbst obdachlos zu werden. Besonders stark ist die Mobilisierung der Gewerkschaften im Transportsektor: Bahnangestellte, Mitarbeiter der Londoner U-Bahn, Busfahrer, Flughafenangestellte und weitere traten in den Ausstand.

Streikrecht einschränken

Die Regierung will angesichts der massiven Streikwelle in den kommenden Wochen das Militär für Krankenfahrten und Grenzkontrollen einsetzen. Der neue Premierminister Rishi Sunak plant zudem, das Streikrecht einschränken. Seitdem er Regierungschef sei, arbeite er an "neuen harten Gesetzen, um die Menschen vor diesen Störungen zu schützen", sagte Sunak diese Woche im britischen Parlament.

Jedenfalls ist die Handelskammer ob des Zustands der britischen Wirtschaft alarmiert: "Die sehr reale Sorge ist, dass Großbritannien von seinen Wettbewerbern abgehängt wird, sobald die Wirtschaft aus der Rezession herauskommt, da das Wachstum schwach bleibt", sagte BCC-Experte Alex Veitch. Es sei nicht zu spät für eine Umkehr. Nötig seien konkrete Maßnahmen bei Infrastrukturinvestitionen, Ausbildung, "Großbritannien befindet sich in einer Stagflation – mit steigender Inflation, negativem Wachstum, bei sinkender Produktivität und Unternehmensinvestitionen", sagte der Chef des Industrieverbandes CBI, Tony Danker. "Wir werden ein verlorenes Jahrzehnt des Wachstums erleben, wenn nicht gehandelt wird", ergänzte er.

Inflation am Höhepunkt

Allerdings rechnet der Handelsverband BCC damit, dass die Inflation mit derzeit rund elf Prozent den Höhepunkt erreicht hat. Bis Jahresende 2023 werde sie voraussichtlich auf fünf Prozent sinken und ein Jahr später unter zwei Prozent. "Dies bedeutet jedoch lediglich, dass sich die Preise auf einem sehr hohen Niveau stabilisieren und die Pläne der Regierung, die Unterstützung für Energierechnungen nach April 2023 zu reduzieren, die Inflation erneut ankurbeln könnte."

Nächsten Donnerstag wird die Bank of England wegen der hohen Inflation neuerlich die Zinsen erhöhen. Beobachter rechnen trotz der Konjunktursorgen mit einer Anhebung um einen halben Punkt auf dann 3,50 Prozent – wobei höhere Zinsen die Wirtschaft zusätzlich bremsen. Die Notenbank rechnet ebenfalls mit einer längeren Rezession in Großbritannien.(Alexander Hahn, 10.12.2022)