Karin Wiedner, Lydia Steiner und Ulli Mariacher von der Initiative Spinnradl ernten Pak Choi und Blauen Grünkohl im Hügelbeet im Dorf.

Foto: Florian Scheible

Hannes Rendl hat einen Deal mit den Schnecken gemacht. Sie fressen die Hälfte von Endiviensalat, Spinat und Radieschen, die andere Hälfte erntet er. Beim ersten Mal hätten sich die Tiere nicht daran gehalten, danach gab es keine Probleme mehr. Der Gärtner will ein Zusammenleben, auf dem Feld sollen alle Platz haben, "sonst funktioniert es nicht".

Rendl steht inmitten seines sogenannten Marktgartens in Kolsass – einer Gemeinde mit rund 1600 Einwohnerinnen und Einwohnern östlich von Innsbruck. Auf knapp 700 Quadratmetern setzt und erntet er Karotten, Ronen, Kohlrabi, Grünkohl und Schwarzwurzeln. Im Jahr wachsen in "Rendl’s Garten" mehr als 100 Kulturen.

Ein Marktgarten ist eine kleinstrukturierte Gärtnerei, die auf Gemüse spezialisiert ist, erklärt er. Das Konzept stamme aus dem 19. Jahrhundert. Damals hätten Marktgärten am Pariser Stadtrand die Städterinnen und Städter ernährt.

Hannes Redl steht in seinem Marktgarten in Kolsass. Spinat, Karotten und Salate wachsen unbeheizt unter dem Folientunnel.
Foto: Florian Scheible

Seit März dieses Jahres kümmert sich auch Rendl als Marktgärtner um die Nahversorgung. Er beliefert zwischen 30 und 50 Haushalte in Kolsass sowie den Nachbarorten Wattens und Weer. Ein größerer Radius mache keinen Sinn. Zumal Rendl auch keine Lagermöglichkeiten hat. Er erntet das bestellte Gemüse am selben Tag.

Meditatives Unkrautjäten

Rendl zupft ein Beikraut, wie er Unkraut nennt, zwischen den Spinatpflanzen aus der Erde. "Das ist meine Meditation", sagt er, und dass bei ihm alles Handarbeit sei. Verwendet werden nur Geräte, die er entweder selbst gebastelt hat oder die für das Marktgartensystem gefertigt worden sind. Er düngt mit Pferdemist und mulcht mit Kompost. Der Unterschied zu einer herkömmlichen Landwirtschaft: Es fährt kein Traktor über das Feld.

"Der Boden ist ein Haus für Lebewesen. Der Pflug zerstört ihre Lebensgrundlage", sagt Rendl. Fokus der Marktgärtnerei ist das Aufbauen des Bodens. Ein Dreivierteljahr hat er getüftelt, bis der Boden so war, wie er ihn wollte. Nun setzt er auf Fruchtfolge, Kompostbeigabe und enge Bepflanzung.

Manche Beete hat der Gärtner komplett abgedeckt, in anderen gedeiht etwa Knoblauch.
Foto: Florian Scheible

Rendl hat keinen landwirtschaftlichen Hintergrund. Nachdem er zwei Jahre bei den Kindern zu Hause war, wollte der Berufsschullehrer einen Teilzeitjob und hat sich für den Marktgarten entschieden. Dieser Tage gedeiht das Wintergemüse auf seinen Feldern. "In zwei Wochen ist Weihnachten, und die Radieschen wachsen hier in Tirol genauso wie Vogerlsalat, Jungzwiebel und Sprossenbrokkoli. Der Frost tut ihnen nichts."

Komplett unbeheizt wartet das Gemüse unter dem Folientunnel, der vom Boden weg einen Meter nach oben gestülpt ist, damit sich darin keine Feuchtigkeit bildet, auf die Ernte. Rendl scheint es selbst kaum glauben zu können. Zum Beweis zieht er eine Karotte aus der Erde. Ein Bund mit bis zu zwölf Karotten kostet 3,50 Euro. Er halte sich an den Biopreis, manchmal sei die Handarbeit aber teurer.

Frisch geerntete Karotten und Radieschen.
Foto: Florian Scheible

Die Natur machen lassen

Alle zwei Wochen pflanzt er rund 100 Salate. Beim Einsetzen bekommt er oft Hilfe von Lydia Steiner. Die Wattenerin ist eine passionierte Hobbygärtnerin. Bleiben Salate übrig, nimmt sie sie mit nach Wattens und setzt sie dort in ein Gemüsebeet mitten im Dorf.

Sie ist Teil der Initiative Spinnradl. Gemeinsam haben sie vor vier Jahren ein Permakultur-Hügelbeet angelegt. Das Konzept ist ein Mischbeet in Kreislaufwirtschaft. Sprich keine Monokultur, und es wird so wenig wie möglich in das Ökosystem eingegriffen. Wird etwa Kohlrabi geerntet, dienen dessen Blätter als Mulch. Gegossen wird nach Bedarf.

Auf dem geschwungenen, 14 Meter langen Beet wachsen im Gartenjahr über 500 Pflanzen. Die Natur erledige sehr viel, trotzdem müsse man einmal pro Woche schauen, ob alles passt. Darum kümmern sich die Spinnradl-Mitglieder und die umliegenden Nachbarn gemeinsam. Dafür dürfen sie alle ernten. Rund zehn Haushalte bedienen sich regelmäßig am Hügelbeet. Neue Pflanzen finanzieren die Spinnradln mit dem jährlichen Erntefest.

Lydia Steiner bedeckt freiliegende Erde mit Mulch, um den Boden zu schützen.
Foto: Florian Scheible

Die Zukunft im Marktgarten

Dass solche Gemüsebeete immer mehr Bedeutung erlangen, davon ist der Profigärtner genauso überzeugt wie die Hobbygärtnerin. Der regionale, biologische Anbau, kurze Transportwege, Wertschätzung des Bodens, Diversität der Pflanzen- und Tierwelt – all das werde angesichts des Klimawandels wieder wichtiger. Spinnradl-Mitglieder wie Karin Wiedner gehen für Gemüse kaum noch in den Supermarkt. Sie erntet das Hügelbeet in Wattens und kauft in Rendl’s Garten ein.

Mittlerweile haben sie das Hügelbeet winterfest gemacht, sprich abgeerntet und mit Heu bedeckt. Blauer Grünkohl und Pak Choi bleiben stehen. Währenddessen schneidet Hannes Rendl in Kolsass einen Salatkopf aus der Erde. Er zupft ein paar unschöne Blätter weg und schmeißt sie zwischen die Beete. "Auch das fressen die Schnecken", sagt er. Deal ist Deal. (Julia Beirer, 12.12.2022)