Dass Anton Zeilinger am 10. Dezember in Stockholm den diesjährigen Physiknobelpreis entgegennimmt, markiert eine Sternstunde in einer sonst aktuell recht durchwachsenen Periode für die Wissenschaft in Österreich. Seit 1973 ging diese Auszeichnung nicht mehr nach Österreich. Nicht alles im heimischen Wissenschaftsbetrieb funkelt so ungetrübt wie die begehrte Nobelmedaille. Damit der hohe Preis für Anton Zeilinger nicht wieder für Jahrzehnte eine österreichische Singulärerscheinung bleibt, besteht in einigen Bereichen Nachbesserungsbedarf.

Der Physik-Nobelpreisträger Zeilinger meint, man solle den Nobelpreis auch nicht überbewerten.
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Der Nobelpreis für den Quantenphysiker ist zweifellos ein höchst persönlicher Erfolg für Zeilinger. Trotzdem wurde er auch in diesen Tagen in Schweden nicht müde zu betonen, dass seine Arbeit ohne die Unterstützung der öffentlichen Hand nicht möglich gewesen wäre. Der 77-jährige emeritierte Professor der Universität Wien, der am Institut für Quantenoptik und Quanteninformation der Österreichischen Akademie der Wissenschaften tätig ist, dankte den "Steuerzahlern in Österreich, Europa und den USA", die seine Forschung und die seiner beiden Co-Laureaten ermöglichten.

Zeilinger wird gemeinsam mit seinem französischen Kollegen Alain Aspect und dem US-Amerikaner John Clauser "für Experimente mit verschränkten Photonen, den Nachweis der Verletzung der Bell’schen Ungleichungen und wegweisende Quanteninformationswissenschaft" ausgezeichnet, wie das Nobelkomitee im Oktober bekanntgab.

Preis mit großer Breitenwirkung

Österreichs wohl bekanntester lebender Physiker hat bei seinen Auftritten in Stockholm diese Woche noch etwas betont: Man solle den Nobelpreis auch nicht überbewerten. Der seit 1901 vergebene Preis mag zwar die prestigereichste wissenschaftliche Auszeichnung sein und auch jene, die außerhalb der wissenschaftlichen Community die größte Breitenwirksamkeit hat. Dennoch ist der Nobelpreis als einziger Gradmesser für exzellente Forschung nicht dienlich. Dass vor Zeilinger jahrzehntelang kein in Österreich tätiger Wissenschafter mit einem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, ist zwar bedauerlich – bedeutet aber nicht, dass hierzulande nichts Relevantes geforscht wurde.

Es ist aber auffallend, dass es sich bei den nobelpreisprämierten Arbeiten ausnahmslos um wissenschaftliche Spitzenleistungen handelt. Manche davon mussten zwar später revidiert werden, das schmälert aber kaum etwas von der Originalität der Arbeiten.

Dass österreichische Wissenschafter in den 1920er- und 1930er-Jahren häufig geladene Gäste waren, der Nobelpreisreigen dann aber jäh abriss, ist kein Zufall, sondern hat unmittelbar mit der Vertreibung der hiesigen Intelligenz und der Wissenschaftsfeindlichkeit im Austrofaschismus und Nationalsozialismus zu tun. Zeilinger wurde 1945 in Ried im Innkreis geboren – "zwei Wochen nach Ende des Zweiten Weltkriegs", wie er bei seiner Nobelpreisvorlesung betonte, in der er sich dankbar zeigte, zu einer Zeit und in einer Gegend aufgewachsen zu sein, wo er seiner wissenschaftlichen Neugierde nachgehen konnte.

Anton Zeilinger erhält den Nobelpreis für seine Pionierarbeit in der Quantenphysik.
DER STANDARD

Geld und Neugierde

In den vergangenen Jahrzehnten ist in Österreich viel an wissenschaftlicher Wiederaufbauarbeit geleistet worden, aber etliches bleibt immer noch zu tun. Und manches hat in der heimischen Wissenschaftslandschaft schon einmal besser funktioniert als heute.

Einen Nobelpreis zu erringen – das kann man sich nicht vornehmen. Dennoch ist die Auszeichnung ein Anlass, darüber nachzudenken, welche Zutaten erforderlich wären, um weitere wissenschaftliche Spitzenleistungen von internationaler Bedeutung wahrscheinlicher zu machen.

Zeilinger und sämtliche anderen wissenschaftlichen Nobelpreisträger dieses Jahres betonten bei ihren Vorträgen in Schweden die von Neugier angetriebene Grundlagenforschung, um große wissenschaftliche Durchbrüche erzielen zu können. Man dürfe nie vergessen, dass es eine "Zukunft über die absehbare Zukunft hinaus gibt", betonte Zeilinger. Dass nun Anwendungen aus der quantenphysikalischen Grundlagenforschung entstehen, hätten er und seine Co-Preisträger nicht im Geringsten im Blick gehabt. "Als wir mit unseren Experimenten in den 1970er-Jahren starteten und uns Leute fragten, wofür das gut sein soll, musste ich sagen: Für nichts, wir tun das nur aus Neugierde."

Auch Christof Gattringer, Präsident des Wissenschaftsfonds FWF, der wichtigsten Förderinstanz für Grundlagenforschung in Österreich, betont: "Einen Nobelpreis gibt es nicht auf Bestellung. Eine große Portion Neugier und Kreativität, viel Freiraum mit verlässlichen Rahmenbedingungen und ein langer Atem – diese Zutaten braucht es, um Großes entdecken zu können."

Die Realität vieler Wissenschafter und Wissenschafterinnen sehe aber leider oft anders aus. Erst vor wenigen Tagen sind in Wien hunderte Jungforscherinnen und Mittelbau-Lehrende für bessere Arbeitsbedingungen auf die Straße gegangen.

Prekäre Arbeitsverhältnisse

Bei den aktuell laufenden Verhandlungen zu den Uni-Kollektivverträgen geht es um eine Lohnerhöhung, um die Teuerung abzudecken, sowie auch um die Abschaffung der verhassten Kettenverträge: Eigentlich sollten diese dem Schutz der Arbeitnehmer dienen, indem nicht beliebig lang befristete Verträge vergeben werden. In der Praxis sind Laufbahnstellen an den Universitäten immer noch so rar, dass befristete Verträge oft die einzige Möglichkeit sind, überhaupt eine akademische Karriere zu verfolgen. Die vielfach prekären Arbeitsverhältnisse des wissenschaftlichen Nachwuchses sind ein unwürdiges Schauspiel und nicht förderlich, um junge exzellente Köpfe langfristig im Land zu halten.

Viele Talente für die Wissenschaft gehen auch aufgrund mangelnder Frauenförderung verloren: Auf jeder akademischen Stufe bleiben Frauen auf der Strecke, in Österreich mehr als in anderen europäischen Ländern.

Die Universitäten wiederum ächzen angesichts der Teuerung – das Geld reicht laut ihren Berechnungen nicht aus, um die steigenden Kosten für Energie und Gehälter dauerhaft zu stemmen, geschweige denn, Verträge zu verlängern oder gar zu entfristen.

Wissenschaft und Gesellschaft

"Leider reicht auch das Förderbudget des FWF nicht aus, um alle, die exzellente Forschung betreiben, auch adäquat fördern zu können", sagt Gattringer. "Mehr Mittel für neugiergetriebene Grundlagenforschung, so wie sie Anton Zeilinger über viele Jahre hinweg auch vom FWF erhalten hat, wären eine bestens angelegte Zukunftsinvestition."

Die Frage, wie viel Geld die Wissenschaft an sich einer Gesellschaft wert ist, wird stets in der eng verzahnten Gemengelage aus Wohlstand, politischer Weitsicht und der allgemeinen Akzeptanz von und Begeisterung für die Wissenschaft verhandelt. Gerade das öffentliche Bild von Wissenschaft hat in Österreich, wie in vielen Ländern weltweit, jüngst eine ambivalente Metamorphose erlebt.

In der Pandemie hat die Wissenschaft der Gesellschaft wertvolle Dienste geleistet und stand dabei ungewohnt häufig im Rampenlicht: Durch die rasche Entwicklung von Covid-Schutzimpfungen konnten weltweit tausende Todesfälle verhindert werden. Andererseits hat die Pandemie aber auch Wissenschaftsleugnern Aufwind verliehen. Verschwörungsmythen um Tests und Impfungen sind weltweit viral gegangen und haben auch die ohnehin überdurchschnittlich hohe Wissenschaftsskepsis in Österreich weiter angeheizt.

Wie Österreich wissenschaftlich in ein paar Jahren und Jahrzehnten dastehen wird, hat letztlich zentral damit zu tun, welche individuellen Entscheidungen junge talentierte Menschen treffen. Als Anton Zeilinger von seiner Auszeichnung erfuhr, äußerte er einen Ratschlag für Nachwuchsforschende, der über die Wissenschaft hinaus hilfreich sein kann: "Was ich weitergeben will, ist: Wenn du an etwas dran bist, das du spannend findest, dann mach das und pfeif darauf, was andere sagen. Das ist das Allerwichtigste." (Tanja Traxler, 10.12.2022)