Farben und Licht im Geiste der französischen Fauvisten: Die Malerin Ruth Baumgarte betrachtete Afrika ohne jede koloniale Überlegenheitsgeste (im Bild: "African Vision", Öl auf Leinwand, 1998).
Foto: Kunststiftung Ruth Baumgarte

Ganze 40 Mal reiste Ruth Baumgarte nach Afrika, sogar bis ins hohe Alter besuchte die deutsche Künstlerin Länder wie Südafrika, Kenia, Uganda, Äthiopien oder Simbabwe und blieb teils mehrere Monate lang dort. Insbesondere in den 1980er-Jahren unternahm sie derartige Fernreisen – ihr größter Werkkorpus stammt auch aus dieser Zeit. Wobei sie vor Ort Skizzen vornahm und Erinnerungen erst nach ihrer Rückkehr zeitverzögert zu Papier und Leinwand brachte. Farbe und Licht setzte die 2013 verstorbene Malerin fast impressionistisch ein und ließ Personen und Landschaften in intensivem Rot, Orange und Ocker miteinander verschwimmen.

Angela Stief nennt Baumgarte eine herausragende Künstlerinnenposition des 20. Jahrhunderts, die sich mit ihrem Afrika-Zyklus keinem Stil unterordnete und in der Tradition der französischen Fauvisten verortet werden kann. Für die Ausstellung Africa: Visions of Light and Color in der Pfeilerhalle der Albertina stellte die Direktorin der Albertina Modern eine Auswahl der Gemälde, Aquarelle und Grafiken zusammen.

Zwei Fliegen

Die Werke der erst postum entdeckten Künstlerin – seit 2017 wird Baumgarte in deutschen Museen ausgestellt – in einer Einzelschau zu präsentieren, entspricht der Programmatik von Stief. Eigentlich werden sogar zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: Nicht nur wird eine lange Zeit unbeachtete Künstlerin vorgestellt, sondern mit dem inhaltlichen Fokus auf Afrika auch die Forderung nach mehr Diversität in Museumsausstellungen bedient.

Die deutsche Malerin interessierte sich für die Menschen, ihre Geschichten und war sich ihrer eigenen Andersartigkeit bewusst.
Foto: Kunststiftung Ruth Baumgarte

Doch Moment: Eine weiße Künstlerin aus dem Westen, die nach Afrika reiste und anonyme, schwarze Körper malte? Der Einleitungstext betont, dass es Fragen um kulturelle Aneignung zur Zeit, als Baumgarte ihre Afrikabilder schuf, "noch längst nicht so breit diskutiert wurden wie heute im Zeitalter postkolonialer Diskurse". Stief betont, dass bei Baumgarte alleine aufgrund der symbolischen Aufladung der Werke – die in ihrer Abstraktion nicht als Dokumentation zu verstehen sind – sowie der Beachtung der politischen sowie kolonialen Hintergründe nicht von einer Aneignung gesprochen werden kann. In ihren Bildern geschehe nichts aus einer "Rhetorik der Überlegenheit", so Stief.

Baumgarte hatte einen gleichwertigen Blick auf die Protagonistinnen, überwiegend waren es Frauen, die sie oft in alltäglichen Szenen oder bei der Arbeit zeigte. Exotisierend wird hier niemand dargestellt, viel eher handelt es sich um fast impressionistische Porträts, in denen die Landschaften das eigentliche Zentrum ausmachen. Die deutsche Malerin interessierte sich für die Menschen, ihre Geschichten und war sich ihrer eigenen Andersartigkeit bewusst. Deshalb bilden ihre Werke auch keine "rückwärtsgewandten Idyllen ab", wie die Kunstkritikerin Nina Schedlmayer im Ausstellungskatalog schreibt.

Dialog mit der Gegenwart

Obwohl es überrascht und die Information erst am Ende der Schau kommt, ist Baumgarte in ihrer Einzelausstellung aber nicht alleine. Zwei Tapisserien und eine Zeichnung des südafrikanischen Künstlers Athi-Patra Ruga mischen sich etwas abrupt darunter. Der Grund dafür? Ruga erhält den diesjährigen Preis der Ruth Baumgarte Stiftung, mit dem bereits namhafte Kunstschaffende wie William Kentridge, Michael Armitage oder Nan Goldin ausgezeichnet wurden.

Athi-Patra Ruga inszeniert in seinem multimedialen Werk ebenfalls schwarze Körper, jedoch in einer Bildsprache, die postkoloniale Geschichte sowie fluide Geschlechtergrenzen spielerisch vermischt.
Foto: Athi-Patra Ruga

Mit diesem Mini-Dialog werden Baumgartes Werke durch eine zeitgenössische Stimme aus Afrika ergänzt – und ins Heute geholt. Der 1984 geborene Künstler inszeniert in seinem multimedialen Werk ebenfalls schwarze Körper, jedoch in einer Bildsprache, die zwischen Utopie und Realität pendelt und postkoloniale Geschichte sowie fluide Geschlechtergrenzen spielerisch vermischt.

Weder ein Werk von Baumgarte noch eines von Ruga befinden sich bis dato in den Sammlungen der Albertina. Angela Stief würde sich Neuerwerbungen von beiden wünschen und arbeite daran, wie sie auf Anfrage sagt. Ideal würden sie sich jedenfalls in der für Herbst 2023 geplanten Sammlungsausstellung Diversity in Art and Identity in der Albertina Modern machen. (Katharina Rustler, 12.12.2022)