Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) pocht auf das Ende der Wertpapier-KESt in bestehender Form.

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Es ist eines der Lieblingsprojekte von Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP). Schon kurz nach der Übernahme des Finanzministeriums kündigte er im Februar an, dass die Abschaffung der Kapitalertragsteuer (KESt) für Wertpapiere heuer einer der "wichtigen Schwerpunkte" der Regierungsarbeit sein müsse. Damit sollten Anleger steuerlich entlastet werden, aktuell werden realisierte Kursgewinne beim Verkauf von Aktien, Anleihen und Fondszertifikaten mit einer Kapitalertragsteuer von 27,5 Prozent belegt.

Doch geschehen ist bisher nichts. Das liegt freilich nicht an Brunner, sondern an den Grünen, die das Projekt skeptisch sehen: als Steuergeschenk für Reiche. Dessen ungeachtet macht Brunner Druck in der Sache, und er hat auch ein gutes Argument: Das Projekt wurde in der türkis-grünen Koalitionsvereinbarung paktiert. Dort heißt es, dass ein "Modell für die Kapitalertragsteuerbefreiung für Kursgewinne bei Wertpapieren und Fondsprodukten erarbeitet" werden soll.

Konkret hat man sich darauf verständigt, wieder zu einem Modell mit Behaltefrist zurückzukehren, ähnlich wie es in der Vergangenheit gegolten hat: Wenn Wertpapiere einen bestimmten Zeitraum über gehalten werden, sollen erzielte Kursgewinne steuerfrei bleiben.

Das würde den Kapitalmarkt in Österreich für Anleger interessanter und die private Pensionsvorsorge attraktiver machen, argumentiert die ÖVP.

Die Behaltefrist soll dazu dienen, kurzfristige Spekulationsgeschäfte auszunehmen.

Nun hat allerdings die Juristin Sabine Kirchmayr-Schliesselberger, Vorständin des Instituts für Finanzrecht an der Universität Wien, ein Gutachten vorgelegt, das Zweifel an der Durchführbarkeit der Pläne Brunners aufkommen lässt. Laut dem Gutachten, das im Auftrag der Arbeiterkammer erstellt wurde, ist die Wertpapier-KESt nämlich weitgehend durch eine Verfassungsbestimmung geschützt. Die Regeln zu ändern würde also eine Zweidrittelmehrheit im Nationalrat erfordern, über die die Koalition nicht verfügt.

Zu kurze Fristen

Seit 2015 gilt, dass eine Verfassungsregelung dem Gesetzgeber vorschreibt, Kapitalerträge mit einer Kapitalertragsteuer endzubesteuern, wie es im Gutachten heißt. Letzteres bedeutet, dass nur die Wertpapier-KESt fällig wird und keine anderen Steuern. Laut Kirchmayr-Schliesselberger hat das Gesetz bei seinem Inkrafttreten geregelt, dass einige wenige Ausnahmen von diesem Prinzip gemacht werden dürfen: für die Altersvorsorge und für Pensionsinvestmentfonds. Hier ist der springende Punkt: Brunner hat bereits im April einen Vorschlag für das Ende der bisherigen Wertpapier-KESt an die Grünen übermittelt. Dieser sieht vor, dass Steuerpflichtige ein persönliches Vorsorgedepot eröffnen können. Bei einem Wert von mehr als 100.000 Euro wäre eine Mindestlaufzeit von ein bis drei Jahren erforderlich, bei niedrigeren Beträgen eine kürzere Frist. Veräußerungsgewinne nach dieser Frist würden nicht versteuert, wie Brunner vor kurzem im Kurier skizzierte.

Doch eine so kurze Behaltefrist sei mit der Verfassungsvorgabe wohl nicht vereinbar, sagt die Finanzrechtlerin Kirchmayr-Schliesselberger. Bei einer Behaltefrist von zwei oder drei Jahren könne keine Rede von einem Produkt zur Pensionsvorsorge sein. Damit entfalle aber die Möglichkeit, die Wertpapier-KESt abzuschaffen.

Dem Vernehmen nach wird im Finanzministerium über ein adaptiertes Modell gesprochen, bei dem tatsächlich nur Wertpapiere mit einer deutlich längeren Behaltefrist von der Besteuerung ausgenommen sein sollen. Das juristische Grundproblem, das offenbar bei den Koalitionsverhandlungen übersehen wurde, könnte sich damit eher lösen lassen. Interessant wäre ein solches Modell aber nur noch für die Pensionsvorsorge, nicht mehr für Anleger. Das ist nicht, was die ÖVP wollte.

Und ob die Grünen dann eher bereit wären mitzuziehen und nicht weiter versuchen, das Projekt hinauszuzögern, bleibt fraglich.

Im langjährigen Durchschnitt bringt die Wertpapier-KESt dem Staat immerhin 200 bis 300 Millionen Euro Einnahmen pro Jahr ein. In guten Jahren an den Finanzmärkten sind es deutlich mehr: 2021 nahm die Finanz 760 Millionen Euro über die Steuer ein.

"Themenverfehlung"

Entsprechend gibt es auch Kritik an dem Vorhaben abseits der Grünen. "Wir erleben gerade, dass sich große Teile der Bevölkerung das Leben nicht leisten können. Die Debatte über Sparvergünstigungen ist daher eine Themenverfehlung", sagt Dominik Bernhofer, Steuerexperte bei der Arbeiterkammer. Die ganze Maßnahme sei "in erster Linie eine Begünstigung für Besserverdiener, die es sich leisten können zu investieren".

Eine KESt-Befreiung für Kursgewinne hat es in Österreich länger gegeben, erst 2012, unter der rot-schwarzen Regierung von Kanzler Werner Faymann, wurde das Modell gekippt und die Wertpapier-KESt eingeführt. 2016 wurde der Steuersatz von 25 auf die aktuellen 27,5 Prozent angehoben. (András Szigetvari, 12.12.2022)