Dieser Tage starten viele Skigebiete in die neue Saison. Unfälle sind dabei leider vorprogrammiert.

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Es wäre nicht Österreich, gäbe es hierzulande keine eigene rechtliche Bezeichnung für Skifahrer, die bis spätnachts auf der Hütte bleiben. Als "Spätheimkehrer", wie sie der Oberste Gerichtshof (OGH) nennt, gelten Personen, die erst nach der Pistensperre zurück ins Tal fahren. Sie sind zu "besonderer Vorsicht verpflichtet" und müssen mit Hindernissen wie Pistenraupen rechnen.

Kommen "Spätheimkehrer" zu Sturz, sind Ansprüche gegen das Skigebiet in der Regel ausgeschlossen. Laut einer aktuellen OGH-Entscheidung gilt das auch für Tourengeher: Ein Mann war erst um 22.45 Uhr von einer Tiroler Skihütte ins Tal aufgebrochen. Er kollidierte dabei mit dem Windenseil einer Pistenraupe und verletzte sich schwer. Laut dem Höchstgericht ist eine Haftung des Pistenbetreibers ausgeschlossen: Ein Schild und ein Absperrband wiesen deutlich darauf hin, dass die Abfahrt gesperrt ist (OGH 8.11.2022, 5 Ob 91/22a).

Dass Skiausflüge vor Gericht landen, ist keine Seltenheit, sagt der Vorarlberger Anwalt Sanjay Doshi. Ganz im Gegenteil: Die Anzahl der Prozesse nehme stetig zu. Skifahrerinnen und Skifahrer seien aufgrund der Carving-Ski schneller unterwegs. Auf den Pisten sei zudem mehr los. Dazu komme, dass immer mehr Menschen Rechtsschutzversicherungen haben, die das Prozessrisiko minimieren.

Klagen gegen Skigebiete

Meist lassen sich vor Gericht zwei Fallkonstellationen unterscheiden: Klagen gegen Skigebiete und Klagen gegen andere Skifahrer.

Wer selbstverschuldet stürzt, kann freilich keinen Schadenersatz geltend machen. Skigebiete haben aber sogenannte Verkehrssicherungspflichten. Skifahrerinnen und Skifahrer dürfen bei der Abfahrt nicht auf Hindernisse treffen, mit denen sie nicht rechnen müssen.

Klassiker sind etwa Äste, die auf der Piste liegen, sagt Doshi. "Verletzt sich dabei jemand, haftet in der Regel das Skigebiet." Streitigkeiten entstehen oft auch dann, wenn Abfahrten nicht ausreichend gesichert wurden. So müssen etwa Liftstützen verkleidet sein und Fangzäune verhindern, dass Skifahrer an gefährlichen Stellen in den Wald stürzen. Denkbar ist eine Haftung des Skigebiets zudem, wenn der Schwierigkeitsgrad von Hängen falsch ausgewiesen ist. "Ich muss mich als Kunde darauf verlassen können, dass Pisten richtig beschildert sind", sagt Doshi.

Für Aufsehen sorgte 2004 ein Fall aus Sankt Anton am Arlberg: Ein Mann fuhr leicht abseits der offiziellen Piste. Als er zurückwollte, stürzte er über den Schlauch einer Schneekanone. Zur Überraschung vieler Fachleute bejahten die Gerichte eine Haftung des Skigebiets (OGH 18.3.2004, 1 Ob 77/03k). "Die Pflichten reichen also auch über den Pistenrand hinaus", erklärt Doshi. "Zumindest in dem Bereich, in dem man damit rechnen muss, dass Skifahrer hinaus- und wieder hereinfahren."

Klagen gegen andere Skifahrer

Ob ein Skigebiet seinen Sicherungspflichten nachgekommen ist, hängt stark vom jeweiligen Einzelfall an. Entscheidend sind in der Praxis meist Sachverständigengutachten, an denen sich die Richterinnen und Richter orientieren. Dasselbe gilt für Rechtsstreitigkeiten zwischen Skifahrern.

Bei Zusammenstößen haftet grundsätzlich derjenige, der sich nicht an die Fis-Regeln gehalten hat. "Die Grundregel ist: Der, der von hinten kommt, ist schuld", sagt Doshi. Ein anderes Beispiel: Wer losfährt und sich nicht vergewissert, ob andere nachkommen, haftet für die Unfallfolgen. Schadenersatzpflichtig sind auch Skifahrer, die wegen eines Fahrfehlers stürzen und dabei andere mitreißen.

In der Praxis landen vor Gericht aber meist Fälle, die weniger eindeutig sind. "Der eine macht einen Rechtsschwung, der andere einen Linksschwung. In solchen Fällen ist es im Nachhinein auch für Sachverständige sehr schwer zu beurteilen, wer die Schuld an der Kollision trägt", sagt Doshi. Wenn vor Gericht Aussage gegen Aussage stehe, könne man den Ausgang des Prozesses kaum vorhersehen. Der Rechtsanwalt rät, nur dann zu klagen, wenn man eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen hat. Andernfalls drohen im Fall einer Niederlage hohe Prozesskosten. (Jakob Pflügl, 13.12.2022)