Kosovarische Polizisten im nordkosovarischen Mitrovica.

Foto: Reuters / Rafael Goga

Am Wochenende kam es im Norden des Kosovo wieder zu Gewalt von militanten nationalistischen Serben, die kosovarische Polizisten, Journalisten, aber auch Beamte der EU-Rechtsstaatsmission Eulex angriffen. Auch Granaten wurden geworfen. Die militant-nationalistischen Kräfte errichteten zudem Barrikaden an den Grenzübergängen zu Serbien, sodass der Verkehr zum Erliegen kam. Sie protestierten damit auch gegen die Verhaftung eines ehemaligen Polizisten, dem vorgeworfen wird, ein Wahllokal angegriffen zu haben. Die Schulen im nördlichen Teil der Stadt Mitrovica blieben am Montag wegen der Sicherheitslage geschlossen.

Der serbische Präsident Aleksandar Vučić erwog indes, 1.000 Sicherheitskräfte aus Serbien in den Kosovo zu schicken, was von der kosovarischen Regierung als bedrohliche aggressive Provokation erachtet wird. Laut dem Abkommen von Kumanovo aus dem Jahr 1999 hat Serbien nämlich zugesagt, alle Sicherheitskräfte aus dem Kosovo abzuziehen. Nur so konnte damals Frieden geschaffen werden. Vučićs Wunsch, 1.000 Sicherheitskräfte in den Kosovo zu schicken, wird deshalb im Nachbarstaat Kosovo als Kriegsrhetorik gelesen. Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock twitterte, dass dieses Ansinnen "völlig inakzeptabel" sei.

Boykott der Institutionen

Die politische Situation spitzte sich zuletzt zu, nachdem Anfang November – mit der Unterstützung von Vučić – alle Serben im Kosovo, die mit der Partei Srpska Lista in Verbindung stehen, ihre Ämter niederlegten. Hunderte Polizisten, aber auch Bürgermeister und Gemeindebedienstete quittierten ihren Job – dadurch wurde ein Vakuum geschaffen, und die kosovarische Regierung kündigte Neuwahlen am 18. Dezember an, damit die Posten wiederbesetzt werden können.

Dies will die Srpska Lista, die unter der Kontrolle von Vučić steht, aber verhindern, weil sie nur "ihre" Leute und keine anderen Serben im Kosovo in den Institutionen vertreten sehen will. Die Wahlen wurden nun wegen der Gewaltausbrüche auf April verschoben. Eine Rolle spielt aber auch, dass die allermeisten Serben im Norden des Kosovo gar nicht an den Wahlen teilnehmen wollen.

Brüsseler Abkommen

Die Integration der Serben – vor allem jener im Norden – in die kosovarischen Strukturen wurde mit dem Brüsseler Abkommen im Jahr 2013 vereinbart. Es gab aber auch in den vergangenen Jahren immer wieder Versuche, die Integration der Serben in die kosovarischen Strukturen – auch mit Gewalt – zu vereiteln. Nun werden wieder serbische Parallelinstitutionen im Norden aufgebaut, die laut dem Brüsseler Abkommen eigentlich aufgelöst werden sollten.

Die kosovarische Regierung hat kürzlich auf Druck der USA ihre Entscheidung zurückgezogen, jene Kraftfahrzeugbesitzer zu bestrafen, die serbische und nicht kosovarische Nummerntafeln verwenden. Trotz dieses Einlenkens sind die Serben aber nicht in die Institutionen zurückgekehrt. Am Montag forderte Vučić "das serbische Volk" auf, mit der Nato-Truppe Kfor, die seit dem Krieg im Kosovo stationiert ist, und mit der Eulex zu kooperieren. Er betonte, dass er stolz auf die serbische Armee sei, "sich dem Vaterland zur Verfügung zu stellen". Er habe beim Anblick der Soldaten "fast geweint".

Kfor fragen

Der serbische Präsident kündigte an, die Kfor zu fragen, ob er die 1.000 Sicherheitskräfte in den Kosovo schicken könne. In den vergangenen Monaten hatten Vučić und andere Politiker aus Serbien immer wieder behauptet, dass die Serben im Kosovo unterdrückt wären und dass es einen Plan gäbe, sie aus dem Kosovo zu vertreiben. Tatsächlich hat Vučić sich in der Vergangenheit für eine Teilung des Kosovo ausgesprochen. Es geht also um Ansprüche auf das Territorium im Norden des Kosovo.

Der kosovarische Premier Albin Kurti meinte zu der Rhetorik: "Nach 23 Jahren seit Kriegsende droht Serbien erneut mit Krieg und der Rückkehr seiner Streitkräfte, die im Kosovo Völkermord begangen haben." Kurti selbst saß monatelang in einem serbischen Gefängnis, weil er als Studentenführer die Proteste gegen das damalige serbische Regime anführte. Er wurde dort auch gefoltert. Vučić war hingegen unter Slobodan Milošević Propagandaminister.

Krieg fortsetzen

Kurti sagte, dass "Serbien nicht verhehlt, dass es den verlorenen Krieg fortsetzen will" und dass es "eine ständige Bedrohung für unser Land und den Frieden im Land darstellt". Der Regierungschef monierte, dass die Integration des Nordens weder nach der Unabhängigkeitserklärung 2008, noch nach einem Jahrzehnt des Dialogs in Brüssel stattgefunden habe. Er kritisierte die ehemaligen Regierungen des Kosovo dafür, Vereinbarungen "mit Kriminellen" im Norden geschlossen zu haben.

Er sagte auch, dass seine Regierung an einer Zusammenarbeit mit der serbischen Gemeinschaft im Kosovo interessiert sei und dass sie wünsche, dass die serbische Gemeinschaft die ihr gemäß der Verfassung des Kosovo zustehenden Funktionen einnehme. Laut Kurti hat Serbien "durch kriminelle Gruppen und unter Ausnutzung des Fehlens einer vollständigen Rechtsstaatlichkeit im Norden" Serben, die Bürger des Kosovo, lange Zeit als "Geiseln" gehalten.

Kriminelle Gruppen

Er forderte die Bürger des Kosovo mit serbischer Staatsangehörigkeit auf, sich "von kriminellen Gruppen zu distanzieren". Vertreter der EU und der USA verlangten indes, dass die Barrikaden im Norden weggeräumt werden.

Die Unabhängigkeitserklärung des Kosovo im Jahr 2008 stützte sich darauf, dass Jugoslawien unter Slobodan Milošević zwischen 1989 und 1998 umfassende Menschenrechtsverletzungen gegenüber der eigenen Zivilbevölkerung im Kosovo begangen hat. Der Kosovo war ab der jugoslawischen Verfassung von 1974 eine autonome Provinz innerhalb Jugoslawiens, die den sechs Republiken fast gleichgestellt war. Unter Milošević wurde die Autonomie aufgehoben, und Albaner und nicht regimetreue Serben waren massiven Repressionen ausgesetzt. (Adelheid Wölfl, 12.12.2022)