Die "Wilde Jagd" aus "The Witcher 3: Wild Hunt" basiert auf einer europäischen Volkssage.

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"Ich habe 200 Stunden mit diesem Spiel verbracht. Aber ich bereue nichts, denn es waren 200 wirklich gute Stunden." Aussagen wie diese sind keine Seltenheit, wenn an Gaming-Stammtischen dieser Welt vom 2015 erschienen "The Witcher 3: Wild Hunt" die Rede ist. Gelobt von Kritikern und Fans gleichermaßen und ausgezeichnet mit etlichen Awards, war das vorerst letzte Abenteuer des Monsterjägers Geralt der finale Impuls, um das polnische Franchise in den Mainstream zu katapultieren – nicht zuletzt in Form einer erfolgreichen Netflix-Serie.

Am 14. Dezember erscheint das Werk nun in einer neuen Version, aufgehübscht für die Nextgen-Konsolen sowie leistungsstarke PCs und gespickt mit allerlei neuen Inhalten. Für Besitzer des Originalspiels ist dieses Update kostenlos, Neukunden bekommen zum Beispiel die PC-Version derzeit für rund zehn Euro. Doch lohnt es sich, im Jahr 2022 noch mal so viel Zeit und Energie in das Spiel zu stecken? Auch wenn sich die genannten 200 Spielstunden im Rahmen des Testzeitraums nicht ganz ausgegangen sind, so hat der STANDARD doch zumindest auf einer Xbox Series X ausprobiert, wie sich das Nextgen-Update von "The Witcher 3: Wild Hunt" anfühlt.

The Witcher

Was im Nextgen-Update von "The Witcher 3" steckt

Eigentlich schaut man einer geschenkten Plötze ja nicht ins Maul – dennoch liest sich die Liste dessen, was die polnischen Publisher von CD Projekt Red mit dem Nextgen-Update von "The Witcher 3" bieten, recht eindrucksvoll. Konkret werden beim ersten Start des Spiels nach Installation des Updates und Day-One-Patches die folgenden Verbesserungen aufgelistet:

  • Grafikmodi: Im "Qualitätsmodus" wird Ray Tracing ermöglicht, im "Leistungsmodus" kann mit bis zu 60 fps gespielt werden
  • Außerdem wurden Mods aus der Community integriert, die vor allem grafische Updates bieten – darunter 4K-Texturen und Modelle
  • Neue Inhalte: Neue Quests werden ebenso geboten wie neue Rüstungen, Waffen und alternative Outfits, die an die Netflix-Serie angelehnt sind
  • Wer sich registriert, erhält diverse weitere Goodies für das Spiel
  • Ebenfalls möglich bei Registrierung: Cross-Plattform-Fortschritt, also das Speichern und Synchronisieren auf verschiedenen Plattformen
  • Diverse Verbesserungen im Gameplay, wie etwa eine dynamische Anpassung der Benutzeroberfläche und eine alternative Standardkamera
  • Ein Fotomodus

Bevor wir uns den grafischen Verbesserungen zuwenden, sei an dieser Stelle noch konkret aufgelistet, welche Inhalte ergänzend zum Kernspiel mit dem Paket heruntergeladen werden – auch diese sind im Menü des Spiels ausführlich aufgelistet. Konkret beinhaltet das Nextgen-Update von "The Witcher 3: Wild Hunt":

  • Den DLC "Blood and Wine"
  • Den DLC "Hearts of Stone"
  • Alternative Erscheinungsbilder für Yennefer, Triss, Ciri und Dandelion
  • Alternative Rüstungen für die Nilfgaard-Soldaten
  • Quest "Fool's Gold"
  • Quest "Contract: Missing Miners"
  • Quest "Scavenger Hunt: Wolf School Gear"
  • Quest "Contract: Skellige's Most Wanted"
  • Quest "Where the Cat and Wolf Play"
  • New Game+: Also die Möglichkeit, nach Beenden des Spiels nochmals von vorne zu starten, allerdings mit der gesamten verfügbaren Ausrüstung, Gold, Skills etc.
  • Die Gwent-Karten "Ballad Heroes"
  • Eine Elite-Armbrust-Set
  • Eine Skellige-Rüstung
  • Ein temerisches Rüstungsset
  • Ein nilfgaardidsches Rüstungsset
  • Ein neues Bart- und Frisurenset
  • Neue Finisher-Animationen

Freilich ist nicht alles davon neu – etwa die beiden DLCs, die für sich genommen schon eigene spannende Geschichten erzählen. Diese beiden DLCs befinden sich auch nur dann im Gesamtpaket, wenn man zuvor die "Complete Edition" erworben hat, sie werden also nicht verschenkt. Besonders auf eine Integration mit der Netflix-Serie dürfte man aber viel Wert gelegt haben, etwa bei den Rüstungen von Nilfgaard.

Schönere Grafik im Nextgen-Update

Die Grafik wurde auf 4K-Tauglichkeit angehoben und an diversen Stellen die Texturen verbessert. Das zeigt sich im Test an vielen Stellen des Spiels, wenn Geralt etwa durch die Landschaft reitet oder durch die Gassen der verschiedenen Dörfer streift. Gut sichtbar sind diese Änderungen auch im nachfolgenden Video.

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Besonders zeigte sich im Test aber der Effekt von Ray Tracing, also der realistischen Nachverfolgung von Lichtstrahlen. Dies zeigt sich vor allem in der simulierten Abenddämmerung, wenn das goldenen Licht durch die Blätter schimmert, und auch andernorts sind die Änderungen bemerkbar: Charaktere und Objekte werfen nun realistische Schatten.

Doch machen diese Änderungen den Unterschied zwischen einem guten und einem schlechten Spiel aus, rechtfertigen sie ein neuerliches Durchspielen? Nicht wirklich. Selbstverständlich ist die Grafik nun schicker und beim Einschalten des "Performance Mode" auch flüssiger als im Original – allerdings braucht es an vielen Stellen schon ein geschultes Auge, um den Unterschied zu sehen. Hinzu kommt, dass Belichtung und Detailreichtum an vielen Stellen nicht mit anderen Spielen dieses Jahres – sei es "A Plague Tale: Requiem" oder "Horizon: Forbidden West" – mithalten können. Auch die verbesserte Darstellung von Wasser ist zwar dem Jahr 2022 angemessen, aber alles andere als revolutionär.

Immer schon ein wenig belächelt wurden auch die extrem farbenfrohen Sonnenuntergänge, deren Stil unter dem Schlagwort "Kitsch" zusammengefasst werden kann. Hier wurden zwar ebenfalls Verbesserungen vorgenommen, doch irgendwie scheint man sich bei CD Projekt Red vom Markenzeichen des blutroten Himmels nicht ganz lossagen zu wollen.

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Nicht integriert wurde leider ein First-Person-Mod, obwohl von Fans in den vergangenen Jahren bereits ein paar veröffentlicht wurden.

Glitches und hölzerne Bewegung

Auch an anderer Stelle muss sich der alte Mann heutzutage leider ein wenig hinter der Konkurrenz anstellen: Seit 2015 ist viel passiert, unter anderem hat Aloy aus dem "Horizon"-Franchise die Bühne der internationalen Blockbuster-Rollenspiele betreten – und die junge Frau bewegt sich einfach graziler als der gealterte Monsterjäger. Das zeigt sich schon bei gewöhnlichen Schwimm- und Bewegungssequenzen, doch auch die Kletterpartien in "The Witcher 3" – wenn man sie überhaupt als solche bezeichnen kann, denn meist werden nur einzelne Klippen überwunden – können mit heutigen Standards leider nicht mehr mithalten.

Ebenso ist verwunderlich, dass manche Fehler in Darstellung und Gameplay noch nicht repariert wurden. So gehen manche NPCS nicht realistisch um Geralt herum, wenn er in der Gegend herum steht, sondern durch ihn durch. An anderer Stelle verwundern grafische Darstellungen einfach. Wie etwa diese Kräuterhändlerin, die ihren Trank offenbar in der Luft braut ...

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... oder diese Wäscheleine, in der unser Gaul einfach mittendrin steht:

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Neue Erscheinungsbilder

Als inhaltliche Neuerung spielen vor allem die Adaptionen zur Darstellungsform der Netflix-Serie eine Rolle. Das trifft etwa auf die etwas obskuren, schrumpeligen Rüstungen der Nilfgaard-Soldaten zu, die somit einen höheren Wiedererkennungswert haben. Diese Option lässt sich im Menü ein- und ausschalten.

Ebenfalls optional aktivierbar ist die alternative Darstellungsweise diverser bekannter Charaktere. Dies sei etwa am Beispiel Ciris gezeigt, die in einem recht frühen Teil der Geschichte bereits ein spielbarer Charakter ist. So sieht Ciri mit den klassischen Einstellungen aus:

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Und das ist ihr neues Erscheinungsbild:

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Noch nicht ausprobiert haben wir mangels gleichwertiger PC-Version den Cross-save-Modus. Auch das Abholen der Goodies funktionierte im Test noch nicht und wird wohl erst mit Release des Updates freigeschaltet. Und schließlich müssen wir vor der Community zu Kreuze kriechen: Die neuen Quests haben wir ebenfalls nicht ausprobiert – denn dafür war der Testzeitraum angesichts des Spieleumfangs schlichtweg zu kurz.

Sehr wohl ausprobiert haben wir aber den Fotomodus, der jene Spielerei bietet, die man sich erwartet: Es kann hinein- und hinausgezoomt werden, diverse Einstellungen können vorgenommen werden. Das ergibt dann im Test solch nette Bilder wie dieses: eine Schwarz-Weiß-Aufnahme vor dem Dorf des Roten Barons.

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Fazit: Ach, was soll's, dann halt doch. ..

Ich weiß nicht wirklich, was ich mir von diesem kostenlosen Update erwartet habe – jedenfalls wurden die Erwartungen aber ein wenig enttäuscht. So sind die grafischen Neuerungen in Wahrheit nicht so bahnbrechend, dass sie eine Neuinstallation rechtfertigen würden, viele inhaltliche Updates sind bestenfalls kosmetisch – und dass das Gameplay im Vergleich zu aktuellen Blockbustern nach wie vor so hölzern ist, zeigt leider nur, dass auch dieses Spiel in die Jahre gekommen ist.

Dennoch bin ich in den ersten Stunden meines Testzeitraums dieser Welt wieder hoffnungslos verfallen. Und das hat einen bestimmten Grund: Seit dem ersten Release sind die Fans dieses Franchise – und dazu gehöre auch ich – gewachsen und gereift. "The Witcher 3" war ein Computerspiel, das uns damals in eine neue, fremdartige Welt entführte, die in ihrer Rauheit, ihrer Brutalität, vor allem aber in ihrer Liebe zu Details der europäischen Mythologie mit nichts vergleichbar ist. Während andere Fantasy-Settings oft wie ein liebloser Abklatsch von Tolkiens "Herr der Ringe" wirken, gibt es hier noch nicht einmal Orks – die braucht es auch nicht, denn dafür gibt es Hexenverbrennungen und die Wilde Jagd.

Das hoffnungslose Warten auf einen neuen Teil haben wir damit verbracht, dass wir alle Bücher gelesen haben, die die Basis für die Spiele bildeten – und wenn nicht, dann haben wir zumindest die Netflix-Serie gesehen. Wir wissen, wer der Igelmann wirklich ist. Und manche von uns glauben zu wissen, dass die insgesamt achtteilige Saga eigentlich nichts anderes als eine Hommage an Goethes "Erlkönig" ist. Wieder andere von uns trauen sich auf keine Eislaufbahn mehr.

Mit diesem nutzlosen Wissen, das wir über all die Jahre angehäuft haben, das Spiel ein weiteres Mal zu starten, die Geschichte noch mal zu erleben, jede Anspielung und jedes Detail zu verstehen – das erzeugt das wohlig-warme Gefühl eines Treffens mit alten Freunden. Und das allein ist – technische Neuerungen hin oder her – ein Grund, das Update zu installieren, sich das Medaillon nochmals umzuhängen und dem Spiel noch mal eine Chance zu geben. Es müssen ja nicht gleich wieder 200 Stunden sein. (Stefan Mey, 12.12.2022)

Hinweis im Sinne der redaktionellen Leitlinien: Ein Vorab-Zugang wurde dem STANDARD zu Testzwecken zur Verfügung gestellt.

Update, 14.12.: Details zu den DLCs wurden präzisiert.