40 Jahre lang 40 Stunden die Woche – nein, das wollte Erich Letuha nicht. Deshalb wurde der Starkstrommonteur zum Filmvorführer im legendären Wiener Gartenbaukino.
Christian Fischer

Ich bin aber kein Cineast!", warnt Erich Letuha, wenn man sich mit ihm über seinen Beruf unterhalten will. Groß, schlank, weißes Haar, meist in Jeans und Strickpullover – so sieht man ihn oft vor dem oder im Gartenbaukino. Es ist ein seltsames Jahr für ihn, erzählte er mir beim Filmfestival Viennale, lauter letzte Male – eine neue Erfahrung, "ich bin ja noch nie in Pension gegangen". Ich darf ihn noch einmal im Vorführkammerl besuchen, hinter der Tür mit der Aufschrift "Unbefugten ist der Eintritt verboten". Grünes Resopal, rote Geländer, die Stufen hinauf, und schon ist man in seinem Reich. Die Türen haben unten Klappen mit Kettchen, "Hundetürln" sagt Letuha dazu, wegen der Zuluft für die beiden Projektoren, sonst herrscht schnell Unterdruck. Ein Kino wie das Gartenbaukino ist, so elegant es draußen daherkommt, das letzte große Einsaalkino der Innenstadt mit seinem perfekten Mid-Century-Stil (Architekt: Robert Kotas), auch eine Maschine, und Erich Letuha weiß, wie man sie am Laufen hält.

"Da ham s’ einghazt, die Kinder, für den alten Greis", sagt er lachend, warm ist es hier und ziemlich laut. Kabel in allen Längen und mit diversen Anschlüssen hängen geordnet an der Wand, leere Filmrollen, eine gelbe Taschenlampe steht neben einer knallroten Flasche "Esso Universal Oil", ein fetter Knopf trägt die wichtige und etwas rätselhafte Aufschrift "Hauptschalter Bildwerferraum Kraft". Ein museumsreifer Plattenspieler mit Kristallnadel und Reibradantrieb war früher zuständig für die Pausenmusik. Seit 2002 ist Letuha hier, selbst Jahrgang 1961, heuer ist er 61 Jahre alt geworden, ein Jahr jünger ist er als das Gartenbaukino selbst.

Seit 2002 ist Erich Letuha hier, selbst Jahrgang 1961.
Christian Fischer

Traumberuf: Teilzeit

Auch der Blick durch das Sichtfenster auf den renovierten Saal des Gartenbaukinos ist atemberaubend, noch ist das Kino leer. "Saallicht hell", "Saallicht dunkel" steht auf den Schaltern, aber der Sachverhalt ist komplexer: Die Halogenlampen im Saal konnte Letuha teils retten, der ganze Saal hätte mit LEDs ausgestattet werden sollen, aber theatertaugliche Dimmbarkeit ist da nicht drinnen. "Das wäre eine Katastrophe, wenn der ganze Saal so wäre, die LEDs werden ein bisschen dünkler, und dann klatschen sie weg, die Halogenlampen überstrahlen diesen Kippeffekt." An die 150 Lampen gibt es im Saal, Herr Letuha war beruflich auch viel auf Leitern unterwegs.

Berufswunsch Filmvorführer? Nein, so war das nicht. Gelernt hat Letuha Elektriker, "Starkstrommonteur" hieß das damals, bei der Gebäudetechnik Elin. 40 Jahre lang 40 Stunden auf der Baustelle – das wollte er nicht. Doch ein Teilzeitjob für Männer wurde Anfang der 1980er-Jahre noch als "völlig irreal" gesehen. Von der Elin aus hätte er nach Saudi-Arabien gehen können, "in der Wüste irgendwas zamzangeln". "Aber ich hab die kennengelernt, die das gemacht haben, die haben dann die Malaria gekriegt oder waren geschieden." Und er wollte doch nur mit der damaligen Freundin nach Spanien fahren.

Der einst verwendete Polyesterfilm war quasi unzerreißbar, weshalb Filmrollen sich verbogen.
Christian Fischer

Finanziell ist er immer durchgekommen, nicht weil er so gut bezahlt worden wäre, "es war mir das Wichtigste, dass mich weder Job noch Konsum fest im Griff haben". Die Freundin war es auch, die in Erfahrung brachte, dass Filmvorführer gesucht werden. Also besuchte er einen "Betriebsleiter"-Kurs am Wifi. Das erste Kino, in dem Letuha gearbeitet hat, war das damals noch junge Top-Kino. Später war er als Springer in den Kinos der Kiba, der stadteigenen Kinobetriebsanstalt Ges.m.b.H., im Einsatz.

2002 sperrte sein Stammkino zu, das Flottenkino auf der oberen Mariahilfer Straße, ein Supermarkt kam hinein, klassisches Kinoschicksal. Dann rief ein Kollege vom Gartenbaukino an, den er noch vom Elitekino in der Wollzeile vom Filmeabholen kannte. Wieder ein Zufall. "Dass sich dieses Kino so entwickelt hat, hat man 2002 auch nicht gewusst."

Es ist eine seltsame Tätigkeit, die des Filmvorführens: Nur wenn sie unsichtbar bleibt, niemand merkt, dass zwischen Film und Publikum ein Mensch den Job verbocken kann, dann ist die Arbeit gut gemacht. Doch das passt irgendwie gut zu Letuha. Und derweil für Kinofans ("Die sind meistens eh ganz liab") das Gartenbaukino eine Art Film-Mekka ist, hat Letuha auf andere Weise an der Erhaltung des Kinoerbes gearbeitet: "Künstlerisch bin ich schwach, was ich aber schon bin, ist ein verlässlicher Hackler. Das ist bei dem Job eigentlich des, wos ma braucht."

Neustart – und Strom ab

Auch den Beruf des Filmvorführers kennt man vorrangig aus dem Kino – und da reißt dann meistens spektakulär der Film. "In den letzten Jahren des Analogfilms war’s Polyesterfilm, und der ist so dermaßen nicht gerissen, dass es für die Maschinen gefährlich war", erzählt Letuha. Maschinen sind umgefallen, Teile gebrochen, Filmrollen waren verbogen. "Die schmutzige Seite von dem Job hab ich mir aber derspart", erklärt er lachend: Brennbaren Nitrofilm, freier Lichtbogen mit Kohlestäben, das war alles vor seiner Zeit. Was sind die Herausforderungen im Job seit der Digitalisierung? Der Code für den Film funktioniert nicht. Die Untertitel verschwinden. Man flucht über die Software. Ja, auch im Kino sind Runterfahren und Neustart sowie gnadenloses "Strom ab" ein Lösungsweg.

Blick in den Kinosaal des Gartenbaukinos.
Christian Fischer

Berührt ihn das, wenn er eine alte Kopie von, sagen wir, Lawrence of Arabia in Händen hält? "Nein, definitiv nicht. Dass das halbwegs vernünftig, so gut es geht, draußen auf der Leinwand ist, das schon." Ein altes Kino ist ein wahres Museum an Leitungen, Sicherungen und Schaltern, da hat es geholfen, gelernter Elektriker zu sein. Zwei Philips-DP-70-Projektoren stehen hier, sie sind Kombimaschinen für 35- und 70-Millimeter-Film. Mit der Digitalisierung "ist der Wert von Analogmaschinen in den Keller gerasselt, die sind damals auf den Schrottplatz geführt worden. Damals hat’s ja schon Multiplexkinos gegeben, da sind dann zwölf Stück Philips FP-30 auf dem Mist gelandet, weil jeder gesagt hat, nie wieder." Ersatzteile zu finden gestaltet sich schwierig, zumal sich ein gebrauchtes Ersatzteil erst mit dem gebrauchten Gegenteil aufeinander einlaufen muss – und das Spiel dabei immer größer wird. Erich Letuha kennt alle Schwächen der beiden Projektoren (vor allem die vom linken!) und hat sein Wissen bereits an den Nachfolger weitergegeben.

Ein Beamer wie ein Düsenjäger

Was bleibt sonst noch? Eineinhalb Jahre The Rocky Horror Picture Show, seinerzeit. Das Steckenpferd Maschinenbau – und eine entsprechende Werkstatt im Haus im Weinviertel, die mit der Begeisterung fürs Motorradfahren begonnen hat. "Ich sag Seniorentraining dazu, diese Kombination aus Bildverarbeitung, Motorik, Körperspannung."

Langsam wird es laut hier, bald ist Vorstellung. "Das ist der Beamer, wenn er rauffährt, klingt er wie ein Düsenjäger." Mit Ende des Jahres ist es aus, im Jänner wird er den Spind ausräumen. Sentimentalität ist seine Sache nicht. "Ich muss nix hinterlassen", meint er. Die Elektrik vom Gartenbaukino erzählt vermutlich eine andere Geschichte. (Julia Pühringer, 13.12.2022)


Weihnachtsgeschenke für Kino-Fans:

  • Filmarchiv Austria: "Die Wiener Kinos. Dokumentation 1896–2022", Band 1 und 2, von Florian Pauer und Thomas Jelinek mit Kinos der Bezirke eins bis drei bzw. vier bis neun, vom Grätzelkino bis zum Filmpalast.

  • Gartenbaukino: "Schnupperkurs zur analogen Filmvorführung" unter dem Titel "Analog ist Pop"