Wie seit dem ersten Verhandlungstag im Prozess um mutmaßliche Unterstützer des Wiener Attentäters herrscht in und vor dem Großen Schwurgerichtssaal strenges Fotografierverbot.

Foto: Robert Newald

Wien – "Im Nachhinein finde ich es komisch, dass er nicht komisch war", sagt Ismail B., der zweite von sechs Angeklagten im Prozess um den Terroranschlag vom 2. November 2020 in Wien, dem Geschworenengericht. Der 22-jährige B. hat den Terroristen, wenige Stunden bevor er in der Wiener Innenstadt vier Menschen tötete und 23 weitere verletzte, noch getroffen. Aus Sicht der Staatsanwältin, um ihn in seinem Plan zu bestärken. Um seinem Freund ein Buch zurückzugeben, sagt dagegen der von Manfred Arbacher-Stöger verteidigte Österreicher.

B. sieht sich als Opfer vieler unglücklicher Zufälle. Nicht nur, dass der Attentäter just am Tattag von ihm ein religiöses Buch zurückforderte, das K. F. dann beim Anschlag mithatte. Auch die Kündigung seiner Mitgliedschaft im Fitnessstudio am 2. November sei bereits länger geplant gewesen, beteuert der Zweitangeklagte. Und dass er fünf Stunden vor den Morden aus der Whatsapp-Gruppe "Muslime", in der man beim Beitritt die Warnung "Inshallah, schreibt in dieser Gruppe nichts, was irgendeinen von uns gefährden kann, Inshallah" erhielt, austrat, habe ebenso wenig mit den Morden zu tun, erklärt er dem Gericht.

Desinteressierter enger Freund

Obwohl er zugibt, ein Freund von K. F. gewesen zu sein, will der Zweitangeklagte sich mit dem Attentäter nie über seine Vergangenheit und seine Pläne unterhalten haben. Und das, obwohl B. 2019 im Gerichtssaal saß, als F. und der Drittangeklagte Burak K. wegen Terrorunterstützung verurteilt wurden. "Ich kenn mich ja bei diesen Sachen nicht aus", bietet er als Erklärung, warum ihm die Gerichtsentscheidung nicht zu denken gegeben hat. Ob er F. je gefragt habe, warum er nach seiner Haft Bewährungshilfe bekam und den Deradikalisierungsverein Derad besuchen musste, will der Beisitzer vom Zweitangeklagten wissen. Der antwortet, dass er das nicht mehr wisse.

Als er mit dem Drittangeklagten am Vormittag des 2. Novembers F. besuchte, um das geliehene Buch zurückzugeben, sei man nur im Stiegenhaus gestanden und habe "Belangloses" gesprochen, beteuert der Zweitangeklagte. Dann sei die Gebetszeit gekommen, F. wollte seine beiden Freunde aber nicht in die Wohnung lassen, daher hätten sie ihre religiöse Pflicht im Freien verrichtet. Seltsam sei ihm das aber nicht vorgekommen.

"Was haben Sie vom Anschlag mitbekommen?", interessiert den Vorsitzenden. "Ich wollte mit Freunden essen gehen, dann rief mich meine Mutter an, da die Mutter von F. bei ihr gefragt hat, wo ich bin", will B. erst dadurch auf das Attentat aufmerksam geworden sein. Warum am Tattag die elektronische Kommunikation mit F. ab 30. Oktober gelöscht wurde, ist eine Frage, die die Staatsanwältin hat. Der Zweitangeklagte versucht zu erklären, dass F. das gemacht habe – warum aber auch seine Antworten verschwunden sind, bleibt offen. Eine Instagram-Nachricht, die er wenige Stunden vor dem Anschlag erhielt, habe er nicht verstanden, da er kein Arabisch spreche.

Einschlägige Lieder und Videos

"Wie war damals Ihre religiöse Einstellung?", versucht der Vorsitzende zu ergründen. "Ich würde sie schon – streng –, ich hatte eine radikale Meinung, würde ich es beschreiben", gesteht B. zu. Aber: "Ich bin ein Mensch, dem bewusst ist, dass Gewalt keine Lösung ist", sagt er im Brustton der Überzeugung. "Finde ich hinterfragenswert", kommentiert der Vorsitzende diese Aussage – schließlich wurden auf B.s Mobiltelefon einschlägige Lieder und IS-Videos entdeckt.

Als Letzter der Angeklagten nimmt Burak K., die Nummer drei, auf dem Anklagestuhl Platz. Auch er will am 2. November keine Hinweise auf die bevorstehende Tat bei F. registriert haben. "Wie war der Attentäter?", fragt ihn der Vorsitzende. "Ruhig. Im Nachhinein wundere ich mich, wie er so ruhig sein konnte", antwortet der Drittangeklagte. "Haben Sie sich gewundert, dass er Sie nicht in die Wohnung ließ?", lautet die nächste Frage. "Das muss man akzeptieren", erfährt der Vorsitzende. Der daraufhin ein Problem anspricht, das auch dem Verfasser durchaus geläufig ist: "Ich werde zu alt. Wenn ich einen Freund besuche, rede ich nicht 15 Minuten im Stiegenhaus, sondern werde in die Wohnung eingeladen. Ich verstehe die jungen Menschen nicht. Was ist das für eine Freundschaft?", wundert er sich.

Hashtag "Islamischer Staat"

Nur um vom 23 Jahre alten K. kurz darauf in weitere Geheimnisse der Lebenswelt junger Menschen eingeweiht zu werden. Denn auch dem Drittangeklagten schickte F. um 17.44, also rund zwei Stunden vor dem Anschlag, eine Nachricht samt Video. Die dazugehörenden Hashtags lauteten unter anderem #islamischerstaat, #kalifatislamischerstaat und #frankreich. K. kommentierte die Nachricht mit "ye, ye", was in der Generation Z "ja, ja", bedeutet, wie er erklärt.

Alleine: Auch er will die Botschaft nicht verstanden haben, da der Mann im übermittelten Video Arabisch gesprochen habe. Was den Vorsitzenden zu einer logischen und daher altersunabhängigen Frage führt: "Wieso antworten Sie mit 'ja, ja', wenn Sie angeblich nicht verstehen, um was es in dem Video ging? Was wäre gewesen, wenn der Mann gesagt hätte: 'Fallt ab vom Islam und werdet Christen'?" Der Drittangeklagte versucht zu erklären, dass ein positives Feedback in seiner Alterskohorte normal sei.

Gehörig ins Schwimmen kommt K. dann aber bei einem anderen Themenkomplex. Attentäter F. rief nämlich am Tattag im französischen Restaurant "Le Salzgries" in der Nähe des späteren Tatorts an. Das müsse vor seiner Ankunft gewesen sein, sagt der Drittangeklagte, er kenne das Lokal nicht. Allerdings wurde auf seinem Mobiltelefon nachgewiesen, dass er viermal "Le", viermal "Salzgries" und einmal die Adresse eingetippt hatte. "Das ist ganz normal, wenn man essen gehen will", versucht er diesen Umstand zu erklären. "Sie haben gerade gesagt, Sie kennen das Restaurant nicht?", hält ihm der Vorsitzende vor.

Interesse für französisches Lokal

K. versucht abzulenken und weist darauf hin, dass in der Anklageschrift inkorrekterweise steht, es habe sich um eine Google-Suche gehandelt. "Die Begriffe wurden in Ihrem Wörterbuch gefunden", gesteht ihm der Vorsitzende zu, würde aber dennoch gerne wissen, wieso der Drittangeklagte viermal den Namen des Lokals, für das sich auch der Attentäter interessiert, eingetippt hat. Antwort erhält er keine.

Wird fortgesetzt, ein Urteil fällt frühestens im Februar. (Michael Möseneder, 13.12.2020)