Roberta Metsola spricht am Beginn der Sitzung des Europäischen Parlaments in Straßburg über die Verteidigung der Demokratie.

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Das Europäische Parlament hat am Dienstag im Eilverfahren erste Konsequenzen aus der mutmaßlichen Korruptionsaffäre Affäre um Vizepräsidentin Eva Kaili gezogen. Die sozialdemokratische EU-Abgeordete aus Griechenland wurde im Plenum als eine von vierzehn Stellvertretern der EP-Präsidentin Roberta Metsola abgewählt.

625 Abgeordnete stimmten für den Antrag des Präsidiums, dem auch alle Fraktionschefs angehören. Nur ein fraktionsloser Mandatar aus Kroatien stimmte dagegen – bei zwei Enthaltungen. Er begründete dies mit seinem Respekt vor der Unschuldsvermutung.

Kaili bestreitet unterdessen alle Vorwürfe gegen sie. Über ihren Anwalt meldete sich die ehemalige Vizepräsidentin zu Wort. "Ihre Position ist, dass sie unschuldig ist. Sie hat nichts mit Geldflüssen aus Katar zu tun, überhaupt nichts", sagte Anwalt Michalis Dimitrakopoulos dem griechischen Fernsehsender Open. Zu Details dürfe er sich nicht äußern, er wisse auch nicht, ob bei den bisher insgesamt 20 Hausdurchsuchungen Gelder gefunden worden seien und welche Summen.

Das EU-Mandat behält die 44-Jährige bis auf weiteres. Es könnte ihr nur vom griechischen Parlament im Falle einer Verurteilung wegen einer schweren Straftat mit Mehrheitsbeschluss aberkannt werden.

Die Vorwürfe gegen Kaili und fünf weitere Personen sind schwerwiegend. Belgische Korruptionsermittler werfen ihnen, wie berichtet, die Bildung einer "kriminellen Vereinigung, Korruption, Geldwäsche, Bestechlichkeit" vor. Sie sollen hunderttausende Euro kassiert haben, um zugunsten Katars Politik zu machen und die Arbeits- und Menschenrechtslage in dem Land positiv darzustellen.

Aufarbeitung beginnt erst

Kaili sitzt deshalb seit Sonntag in U-Haft in Brüssel so wie ihr Lebensgefährte und ein ehemaliger EU-Abgeordneter aus Italien.

Nach dem Skandal war auch EU-Kommissionsvize Margaritis Schinas in die Kritik geraten, weil er sich als für Sport zuständiger Kommissar mehrfach mit katarischen Regierungsvertretern getroffen hatte. Nun hat er diese Treffen und seine positiven Aussagen zu Reformen des Golfstaats vor dem Hintergrund der Affäre im EU-Parlament verteidigt. "Alle meine öffentlichen Äußerungen zu Katar, jedes einzelne Wort, sind zu hundert Prozent mit der Politik der Kommission vereinbar", sagte der Grieche am Dienstag in Straßburg.

Für das EU-Parlament ist der Fall mit der Abwahl der Vizepräsidentin damit noch lange nicht zu Ende, ganz im Gegenteil. Die Aufarbeitung wie auch die weiteren Ermittlungen der Korruptionsfahnder scheinen erst so richtig begonnen zu haben. Montagabend wurden im Parlamentsgebäude in Brüssel Büros von mindestens zehn Mitarbeitern von Abgeordneten durchsucht. Die Polizei beschlagnahmte Computer und und Datenmaterial, wie die Staatsanwaltschaft bestätigte.

Es besteht der Verdacht, dass sich im Inneren des Parlaments "ein kriminelles Netzwerk" gebildet habe. Hauptbetroffen scheint bisher nur die Fraktion der Sozialdemokraten zu sein (S&D). Bei einem belgischen Abgeordneten wurde in Brüssel eine Hausdurchsuchung in Anwesenheit von Präsidentin Metsola gemacht, wie sie selbst in einer Erklärung im Plenum am Montag bestätigte. Mehrere SP-Mandatare legten vorsorglich ihre Funktionen in Ausschüssen zurück.

Bei den Abgeordneten herrscht große Verunsicherung, was noch alles an Missbräuchen zutage treten könnte. Dafür hatte nicht zuletzt Metsola mit ihrer Erklärung gesorgt. Sie sprach von einem "Angriff auf das Parlament, auf die Demokratie, die offene, freie Gesellschaft". Dieser Angriff sei von "bösartigen Akteuren" erfolgt, die mit autokratischen Drittländern in Verbindung stünden. Wörtlich sprach sie von einem "kriminellen Netzwerk".

Metsola ermittelte

Dies und Metsolas Aussage, dass sie selbst und "die Dienste" des Parlaments seit langem mit den belgischen Behörden zusammenarbeiteten, sorgte selbst bei den Abgeordneten für Überraschung. Es erklärt, warum der Schlag der belgischen Behörden gegen eine immune Abgeordnete perfekt organisiert war, seit Sommer wurde ermittelt.

Das Parlament will nun nicht nur mit den Behörden maximal kooperieren, sondern auch die internen Regeln zur Korruptionsvermeidung verschärfen. Das betonten Vertreter praktisch aller Fraktionen in einer Aussprache. "Wir werden das Parlament auf den Kopf stellen", sagte Metsola, es gehe um die Verteidigung der Demokratie. (Thomas Mayer, 13.12.2022)