Mit dem Edge 30 Ultra ist Motorola eine Überraschung in der Android-Oberklasse gelungen.

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Eigentlich ist die Marke Motorola nahezu jedem ein Begriff und fest in der Tradition der Mobiltelefonie verankert. Dennoch fristeten die Smartphones des Herstellers zuletzt eher ein Schattendasein, wenn es um High-End-Geräte und nicht zuletzt auch deren Innovationscharakter ging. Mit dem Edge 30 Ultra will die Lenovo-Tochter aber wieder ganz vorne mitmischen. Der STANDARD hat das neue Flaggschiff von Motorola einem Praxistest unterzogen.

Aber was bedeutet Flaggschiff in diesem Fall eigentlich? Das Edge 30 Ultra verspricht hinsichtlich Hardware als eines der ersten Smartphones eine 200-Megapixel-Kamera, einen der stärksten Prozessoren am Markt und mit fix verbauten 256 GB jede Menge Speicherplatz. Das Display unterstützt eine Bildwiederholrate von bis zu 144 Hz für flüssiges Scrollen, und mit einem besonders starken Netzteil soll man das Gerät von null auf 100 Prozent in weniger als einer halben Stunde aufladen können.

Als Betriebssystem kommt Android 12 zum Einsatz, und auch in diesem Zusammenhang verspricht Motorola mehr, als man es von dem Unternehmen in den letzten Jahren gewohnt war: Das Edge 30 Ultra soll Android bis Version 15 unterstützen, der Support mit Sicherheitsupdates wird auf vier Jahre ausgedehnt. Mit einer unverbindlichen Preisempfehlung von 900 Euro ist man auf Augenhöhe mit dem Google Pixel 7 Pro, womit auch gleich der größte Konkurrent im Segment der Oberklasse festgelegt ist.

Die ungute Seite der Kante

Rein äußerlich wirkt das Edge 30 Ultra gerade im Vergleich zum Google Pixel 7 Pro unauffällig und etwas schmal. Tatsächlich ist es mit Abmessungen von rund 161 x 73 x 8 Millimetern und einem Gewicht von knapp unter 200 Gramm kleiner und leichter als der Google-Rivale. Bei näherer Betrachtung fällt auf, dass Vorder- und Rückseite ähnlich konvex gewölbt und mit einem wenige Millimeter starken Metallrahmen voneinander getrennt sind. Dieser Rahmen ragt an den Längsseiten des Geräts ungefähr einen Millimeter heraus. Das resultierte beim Test in ein subjektiv recht unangenehm "scharfes" Griffgefühl, das sich nur mit der Verwendung einer Hülle vermeiden lässt.

Geschmackssache: der Glitzereffekt auf der Rückseite.
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Die Rückseite ist im Fall des Testgeräts aus mattschwarzem Glas, das sich äußerst angenehm, aber auch ein wenig rutschig anfühlt. Recht ungewöhnlich und weitgehend Geschmackssache ist eine Art Glitzereffekt, der sich vor allem bei künstlichem Licht bemerkbar macht. Immerhin sind Fingerabdrücke nicht zu sehen. Unschön macht sich an dieser Stelle auch zum ersten Mal die Kamera bemerkbar, die so stark aus der Rückseite herausragt, dass das Edge 30 Ultra selbst mit Hülle stark wackelt, wenn man es auf eine Tischfläche legt.

An der schmalen Unterseite des Geräts befinden sich der SIM-Karten-Einschub, die Aussparungen für einen der beiden Stereolautsprecher und ein USB-Anschluss für Stromversorgung und Datenaustausch. Powertaste und darüberliegende Lautstärkewippe sind etwas schmal ausgefallen und verschärfen das kantige Gefühl ohne Hülle, verfügen aber über einen angenehmen Druckpunkt. Nur am Datenblatt ersichtlich ist der Umstand, dass das Gehäuse lediglich IP52-zertifiziert ist. Das Edge 30 Ultra ist somit nur staub- und spritzwassergeschützt, aber nicht wasserdicht. Das ist für diese Preisklasse eigentlich zu wenig.

Das Edge 30 Ultra ist spritzwasserfest, aber nicht wasserdicht. Das Display ist stark gewölbt.
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Erst auf den zweiten Blick zu erkennen ist der dünne Schlitz an der Oberkante des Geräts: Dahinter befindet sich der zweite Stereolautsprecher, der gleichzeitig auch als Lautsprecher zum Telefonieren dient. Für Smartphoneverhältnisse klingen die "Dolby Atmos"-zertifizierten Lautsprecher übrigens überraschend gut. Das gilt nicht nur für die selbst bei hoher Lautstärke kraftvolle Wiedergabe von Inhalten, auch beim Telefonieren gibt es keinerlei Probleme mit der Verständlichkeit des Gegenübers. Umgekehrt gilt übrigens das Gleiche.

200 Megapixel, kaum ein Vorteil

Eines der herausragenden Merkmale – in doppeltem Sinne – ist die 200-Megapixel-Hauptkamera. Mittlerweile sollte sich aber selbst bis zu den unerfahrensten Nutzern durchgesprochen haben, dass mehr Megapixel nicht automatisch eine bessere Bildqualität bedeuten. Das trifft in gewisser Weise auch auf das Edge 30 Ultra zu. Die Hauptlinse löst zwar tatsächlich so hoch auf, in der Regel wird dank Pixel Binning aber aus 16 Pixeln eines gemacht. Das Resultat ist also auch bei diesem Smartphone in der Regel ein Foto mit einer Auflösung von 12 Megapixel. Was hinter dieser Technologie steckt, ist in diesem Bericht sehr ausführlich nachzulesen.

Wirkliche Vorteile kann die extrem hohe Auflösung unter schwierigen Lichtbedingungen bringen, in der Praxis wirken die Bilder bei herkömmlichem Tages- oder Kunstlicht aber nicht besser als von einer Smartphonekamera, die "nur" mit 50 Megapixel Auflösung binnt. Überraschend gut hingegen zeigt sich der Pixel-Bonus bei detaillierten Nachtaufnahmen, die mit dem Edge 30 Ultra über einen automatischen Nachtmodus sehr einfach gelingen. Zwar lassen sich auch Fotos mit einer "reinen" Auflösung von 200 Megapixeln im manuell auswählbaren "Ultra Res"-Modus schießen. Für die meisten Anwender dürfte sich der größte Unterschied im Alltag aber lediglich in der Vergrößerung der Bilddatei bemerkbar machen.

Ergänzt wird die Hauptkamera von einem Weitwinkelobjektiv mit einer Auflösung von 50 Megapixel, bei dem ebenfalls Pixel-Binning im Verhältnis von 4:1 zum Einsatz kommt. Für Makroaufnahmen greift das Gerät auch auf das Weitwinkelobjektiv zurück. Dabei kann man mit der Referenz der aktuellen iPhone-Pro-Modelle nicht ganz mithalten, liefert aber dennoch sehr gute Ergebnisse. Abgerundet wird das rückwärtige Kameramodul von einem 12-Megapixel-Teleobjektiv.

Für Motorola ist das Kameramodul mit 200-Megapixel-Hauptkamera ein Highlight. Ein wirklicher Vorteil ist nicht zu erkennen.
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Die Frontkamera für Selfies hinter dem Punchhole sorgt für keine Überraschungen: Sie greift zwar auch auf nominell stattliche 60 Megapixel Auflösung zurück, allerdings lassen die Resultate keinesfalls darauf schließen. Videos lassen sich mit dem Edge 30 Ultra bis zu 8K und 30 Bildern pro Sekunde aufnehmen, praktikabler und vor allem flüssiger erscheint aber der Videomodus mit 4K und 60 Bildern pro Sekunde.

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Kameraqualitäten des Edge 30 Ultra definitiv alltagstauglich und herzeigbar sind. Auch die Bedienung der Kamera-App geht leicht von der Hand, erfordert aber manchmal ein manuelles Nachfokussieren. Die beworbene hohe Auflösung bietet, wenn überhaupt, nur bei schwierigen Lichtverhältnissen leichte Vorteile gegenüber der Konkurrenz.

Helles Display, starkes Innenleben

Das OLED-Display des Smartphones hat eine Bildschirmdiagonale von knapp 17 Zentimeter und eine Auflösung von 2.400 x 1.080 Pixel. Das scheint für ein Gerät der Oberklasse wenig, allerdings zieht die daraus resultierende Pixeldichte keine nennenswerten Nachteile nach sich. Das Bild ist klar, und auch die Helligkeit ist hoch genug, um Inhalte über einen längeren Zeitraum auf dem Bildschirm zu genießen.

Die Aktualisierungsrate des Bildschirms läuft ab Werk im Automatikmodus und beträgt je nach Anwendung 30 bis 120 Hz. Besonders für Gamerinnen und Gamer interessant ist die Möglichkeit, die Rate manuell auf fixe 144 Hz anzuheben, was allerdings auch den Akkuverbrauch ein wenig erhöhen soll. Ein deutlicher Unterschied konnte im Test aber nicht festgestellt werden.

Das Display macht trotz Full HD+ eine gute Figur. Die Bildwiederholrate von 144 Hz ist ein kleiner Bonus für Gamer.
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Das Herzstück des Edge 30 Ultra ist eine der stärksten Chipkonstellationen, die es auf dem Markt gibt. In Kombination mit 12 GB Arbeitsspeicher fliegt der Snapdragon 8+ Gen 1 von Qualcomm dementsprechend durch die Benchmarks: Im Geekbench 5 erreicht das Smartphone einen Single-Core-Score von 1.317 Punkten und einen Multi-Core-Score von 4.315 Punkten. Bei Wildlife Extreme wurden 2.797 Punkte erzielt. Ein Google Pixel 7 Pro oder ein Samsung Galaxy S22 Ultra kann mit diesen Werten nicht mithalten. Lediglich das Xiaomi 12T Pro, das mit dem gleichen Chipsatz ausgerüstet ist, kommt auf ähnliche Resultate.

Zuverlässiger Androide

In der Praxis bedeutet das, dass Android 12 auf dem Edge 30 Ultra leichtes Spiel hat. Die Bedienung des Geräts ist leichtgängig und flott und vor allem auch sehr nahe an der Standardversion von Android orientiert. Überflüssige Apps findet man auf dem Gerät nicht. Motorola nimmt es sich allerdings heraus, in einer eigenen Moto-App sehr übersichtlich auf besondere Features hinzuweisen. Dazu zählen auf Wunsch individuelle Gestensteuerung oder die Personalisierung der Darstellung, aber auch nur einfache Tipps, wie sich bestimmte Besonderheiten des Geräts aktivieren lassen.

Einen Update-Termin für Android 13 gibt es zum vorliegenden Modell noch nicht, fest steht allerdings, dass das Edge 30 Ultra noch weitere drei Android-Generationen unterstützen wird. Das mag ein Fortschritt sein, aber im Vergleich zur Konkurrenz fällt man um eine Generation um: Das Google Pixel 7 Pro wird auch noch Android 16 bekommen. Hinsichtlich Sicherheitsupdates verspricht Motorola, dass man das Gerät vier Jahre lang unterstützen werde. Auf Anfrage heißt es, dass man dabei den zuletzt monatlich eingehaltenen Rhythmus beibehalten möchte.

Ein starkes Argument: Je nach Nutzer kann die Schnellladefunktion im Alltag unheimlich praktisch sein.
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Zuverlässig ist ist in jedem Fall die Akkulaufzeit des Smartphones. Mit dem 4.610-mAh-Akku kommt man locker einen Tag über die Runden. Besonders beeindruckt hat im Test allerdings das etwas unglücklich und retrofuturistisch bezeichnete "Turbo Power"-Charging. Dank Unterstützung des USB-C-2.1-Standards wird das Smartphone zwar nicht mit 240, aber immerhin mit 125 Watt extrem schnell geladen: Im Test brauchte das Edge 30 Ultra nicht ganz 15 Minuten, um von 62 Prozent voll aufgeladen zu sein. Von drei auf 50 Prozent dauerte es sogar nur wenig mehr als zehn Minuten. Alternativ dazu lässt sich das Smartphone auch kabellos mit bis zu 50 Watt aufladen. Davon könnte sich manch anderer Hersteller ein Stück abschneiden.

Fazit

Wenn es um Innovationscharakter geht, dann will das Motorola Edge 30 Ultra auf dem Datenblatt mit einer 200-Megapixel-Kamera punkten. Und mit einer hohen Aktualisierungsrate, die man sonst nur von Smartphones für Gamer kennt. In der Praxis zeigt das Gerät aber ganz andere Stärken: Die besonders leistungsfähige Hardware erweckt vielmehr den Eindruck einer zuverlässigen Plattform, die für jahrelangen und unaufgeregten Android-Support ausgelegt ist. Obendrein ist das Smartphone innerhalb kürzester Zeit aufgeladen, wenn der Akku leer ist und man es dennoch eilig haben sollte.

Wirkliche Schwächen lassen sich bei dem Smartphone schwer ausmachen, sie sind aber vorhanden: So dürfte die scharfkantige Haptik des Edge 30 Ultra nicht jeden Geschmack treffen, sofern man eine Nutzung ohne Hülle bevorzugt. Auch eine fehlende IP68-Zertifizierung kann in dieser Preisklasse als Nachteil empfunden werden. Dennoch: Je nach individuellen Präferenzen der Interessenten als ernsthafte Alternative zu einem Google Pixel 7 Pro oder auch einem Samsung Galaxy S22 Ultra in Erwägung gezogen werden zu können ist für ein Smartphone von Motorola an sich schon eine beachtliche Überraschung. In dem Fall eben eine kantige. (Benjamin Brandtner, 14.12.2022)

Beispielfotos

Tageslicht, Standard
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Tageslicht, zweifache Vergrößerung
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Tageslicht, achtfache Vergrößerung
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Tageslicht, maximale Vergrößerung (16x)
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Makroaufnahme
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Nachtaufnahme
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Kunstlicht
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