Bei den Kongresswahlen 2022 war Abtreibung ein zentrales Thema. Ungewollt schwangeren Frauen hat das bis dato nichts genützt: In 13 US-Bundesstaaten ist Abtreibung nicht legal, in mehreren anderen stark reglementiert.

Foto: AP / Ryan C. Hermens

Ihr Ex-Freund hat heimlich das Kondom abgezogen. Jetzt ist Brenda, 27, in der elften Wochen ungewollt schwanger, dabei hat sie "alles richtig gemacht". Sie vereinbart einen Termin in einer Klinik für eine Abtreibung in Ohio. Kurz vor dem geplanten Abbruch verbietet der US-Bundesstaat Abtreibungen nach der sechsten Schwangerschaftswoche.

Möglich ist das, weil der Oberste Gerichtshof der USA im Juni 2022 die Grundsatzentscheidung Roe v Wade und damit das Grundrecht auf Schwangerschaftsabbrüche aufgehoben hat. Monate nachdem das Verbot in Kraft getreten ist, im Oktober, blockiert ein Gericht in Ohio das Abtreibungsverbot bis auf weiteres. Für Brenda kommt das zu spät. Sie muss nach Illinois reisen, um die ungewollte Schwangerschaft abzubrechen. 1.000 Dollar braucht sie, um die Reise und den Eingriff zu bezahlen. All das teilt ihre Freundin Quinn E. auf der Crowdfunding-Website gofundme.com mit der Welt.

Immer mehr Menschen in den USA versuchen über Crowdfunding Medikamente und medizinische Behandlungen zu finanzieren. Das lückenhafte US-Gesundheitssystem lässt Krebskranke ebenso im Stich wie ungewollt Schwangere. Frauen starten deswegen eigene Gofundme-Kampagnen, um ihre Abtreibungen zu finanzieren – meist erfolglos.

Zehn-Stunden-Fahrten

Mittlerweile ist Abtreibung in 13 US-Bundesstaaten verboten. Ungewollt Schwangere in Alabama, Texas, Oklahoma und Co müssen entweder heimlich mit Medikamenten selbst abtreiben oder für einen Abbruch reisen.

Nach dem Abtreibungsverbot verlängerte sich die Reisezeit zur nächsten Abtreibungsklinik für Frauen aus Texas um mehr als acht Stunden, berechneten Forscher:innen. Texas ist der Bundesstaat mit der höchsten Rate an unversicherten Personen. Insgesamt zeigte sich in der Analyse, dass Frauen mit weniger Einkommen schlechteren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen hatten.

In Oklahoma ist die Situation ähnlich schwierig. "Die nächste Klinik ist zehneinhalb Stunden mit dem Auto entfernt", sagt Susan Braselton von Roe Fund, einer Non-Profit-Organisation, die ungewollt Schwangere über ihre Möglichkeiten informiert und Abbrüche für jene finanziert, die sich den Eingriff nicht leisten können. Die Kosten für den Abbruch selbst seien gleich geblieben. "Aber Geld für Benzin, Hotel, Kinderbetreuung und Verpflegung unterwegs kommt jetzt noch dazu", sagt Braselton.

Auch in Bundesstaaten, in denen Abbrüche weiter legal sind, übernimmt die Krankenversicherung oft nichts. Betroffene suchen nach Alternativen, um an Geld zu kommen. "In den USA wird gewitzelt, Gofundme sei unsere Krankenversicherung", sagt Nora Kenworthy, die an der University of Washington zum Thema Crowdfunding für medizinische Versorgung forscht.

Ziel nicht erreicht

Die Plattform Gofundme preist "Medical Fundraising", also Geldsammeln für medizinische Zwecke, explizit an. Über 250.000 Kampagnen gebe es jedes Jahr, die über 650 Millionen Dollar an Spenden einbrächten. Doch Kenworthys Studien zeigen: Crowdfunding-Plattformen sind ein schlechter Ersatz für ein funktionierendes Gesundheitssystem. Die überwältigende Mehrheit der Kampagnen scheitert. 2020 gingen fast 34 Prozent der Kampagnen leer aus. Nur acht Prozent erreichten ihr Ziel.

Die Crowdfunding-Kampagne für Brenda ist seit Juli online. Ihr Ziel hat sie nicht erreicht. Nur 224 Dollar wurden gespendet, weit weniger als die veranschlagten 1.000 Dollar. Bei anderen Kampagnen sieht es ähnlich aus. Die 24 Jahre alte Brooklyn etwa, die schreibt, dass sie in einem Bundesstaat lebt, wo Abtreibung verboten ist, konnte nur 270 Dollar sammeln. 700 waren ihr Ziel gewesen.

"Wenn überhaupt, ist Crowdfunding ein effektiver Mechanismus, um finanzielle und soziale Ungleichheit in den USA zu verstärken", sagt Kenworthy. Wer wenig Geld und eine geringe formale Bildung hat, dafür aber mehr Schulden aufgrund teurer medizinischer Versorgung, hat weniger Chancen, das Kampagnenziel zu erreichen. Grund dafür könnte laut Kenworthy sein, dass die Kampagnen vor allem das eigene soziale Umfeld erreichen, und dieses gleiche oft den Frauen, die sie starten.

Geld für eine Abtreibung als "Story"

Kampagnen für Abtreibungen laufen besonders schlecht, wie eine Studie aus dem Jahr 2020 zeigt, die 92 Kampagnen untersucht hat. Eher wurde für eine Abtreibung noch gespendet, wenn die Texte in der dritten Person geschrieben oder medizinische Probleme der Schwangeren oder des Fötus beschrieben wurden. Das liegt nicht daran, dass US-Amerikaner:innen Schwangerschaftsabbrüche ablehnen. Im Sommer 2022 antworteten immerhin 61 Prozent in einer Umfrage des Thinktanks Pew Research Center, dass Abtreibung in den meisten oder sogar in allen Fällen legal sein sollte.

"Wie auf anderen Social-Media-Plattformen produzieren die Menschen eine Story", sagt Kenworthy. Wie gut diese Geschichten ankommen, habe damit zu tun, wer in der Gesellschaft für würdig erachtet werde, Hilfe zu bekommen. "Du musst hart gearbeitet haben, die Krankheit muss tragisch und unvorhersehbar sein", sagt sie.

Viele US-Amerikaner:innen sehen Armut als persönliches Problem der Betroffenen, das sie selbst lösen müssen. In einer Umfrage gaben etwa 66 Prozent an, die Armen selbst seien dafür verantwortlich, der Armut zu entkommen, nicht der Staat. Mehr als die Hälfte findet, dass Sozialleistungen eher dazu führen, dass arme Menschen auch arm bleiben. Auch Gesundheit liegt in den Augen vieler in der persönlichen Verantwortung der Einzelnen. Eine weitere Umfrage zeigt, dass 37 Prozent finden, es sei nicht die Aufgabe des Staates, eine Krankenversicherung für alle zu schaffen. Wer am eigenen Leid "selbst schuld" ist, dem wird tendenziell weniger gerne geholfen.

Wer bleibt also auf der Strecke? Menschen mit Lungenkrebs, weil dieser mit Rauchen verbunden wird. Suchtkranke. Und ungewollt Schwangere. Kein Wunder also, dass sich Frauen auf Gofundme für ihre geplanten Schwangerschaftsabbrüche rechtfertigen. Etwa Brenda, deren Ex-Freund heimlich das Kondom abgezogen hat. Oder Brooklyn, die erklärt, sie wäre verschleppt worden und habe deswegen die Frist für einen medizinischen Abbruch verpasst.

NGOs als Alternative

Ob die Geschichte bei Spender:innen Anklang findet, hängt auch damit zusammen, wie gut die Betroffenen schreiben, ob sie einen emotionalen Titel wählen und sie ein konkretes Problem haben, das sich mit der genannten Summe lösen lässt. Kenworthy fand in ihrer Studie heraus, dass jene, die bedürftiger erscheinen, sogar weniger Chancen auf Spenden haben könnten. Verzweiflung, komplexe Probleme und generelle Not kämen nicht gut an.

"Menschen fühlen Scham dabei, Kampagnen online zu stellen. Gerade dann, wenn sie nicht genug Geld haben, um über die Runden zu kommen", sagt Kenworthy.

Ihre Geschichten sind dann nicht nur öffentlich, sie können auch gefährlich sein, wenn die Hilfesuchenden in Bundesstaaten leben, die Abtreibung unter Strafe stellen. "Ich mache mir Sorgen über mögliche rechtliche Folgen", sagt Forscherin Kenworthy. Was passiert mit Frauen in Staaten, die Abtreibung verfolgen, wenn sie ihre Geschichte auf Gofundme teilen? Gibt die Plattform Daten an Behörden weiter? Gofundme antwortete bis Redaktionsschluss nicht auf die Anfrage des STANDARD.

Es gibt Alternativen zu Gofundme. In den meisten US-Bundesstaaten helfen NGOs dabei, Schwangerschaftsabbrüche zu finanzieren. "Es gibt Hilfe", sagt Susan Braselton vom Roe Fund in Oklahoma. "Aber man muss wissen, wo man Hilfe finden kann."

Unterstützung über die sogenannten Abortion Funds ist für ungewollt Schwangere ein besserer Weg, um an das nötige Geld zu kommen. Sie müssen dafür keine intimen Details im Internet breittreten. Ihre Identität wird geschützt, und sie müssen nicht darauf warten, genügend Geld über eine Spendenkampagne zu sammeln.

Doch das Problem liegt tiefer. "Wir sehen Gofundme-Kampagnen, in denen es heißt, wenn die Betroffenen nicht bezahlen können, dann sterben sie", sagt Kenworthy. "Es ist dringend nötig, in den USA ein besseres Recht auf bezahlbare medizinische Behandlungen zu schaffen." (Lisa Wölfl, 15.12.2022)