Alev Irmak ist Schauspielerin und coacht bei Sexszenen.

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Malaya Stern Takeda spielt in "Love Addicts" die freizügige Zoe und wurde von Intimitätskoordinatorin Alev Irmak beraten.

Foto: Prime Studios

Die Serie "Love Addicts" ist bei Amazon Prime abrufbar.

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Malaya Stern Takedas erster Auftritt als Zoe in der Serie Love Addicts ist rollig und rollend zugleich. Bei einem Geschäftstermin glänzt sie durch Abwesenheit und vergnügt sich stattdessen nebenan mit Handschellen und einem Menschen in gebückter Haltung. Die Szene endet abrupt und im öffentlichen Raum. Ein bestimmtes Requisit spielt dabei eine Rolle, und wie das abläuft, ist ziemlich komisch anzusehen. Danach applaudieren sogar die ahnungslosen Kunden.

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Um Sex, Freundschaft und Liebe unter jungen Leuten geht es in der Amazon-Prime-Serie. Und zwar genau in der Reihenfolge. Das heißt: Die acht Folgen enthalten eine Reihe an freizügigen Erotikszenen. #MeToo hat für neue Regeln beim Film gesorgt, weshalb Produktionen mittlerweile Intimitätskoordinatorinnen und -betreuer beschäftigen, die bei der Umsetzung intimer Szenen einen respektvollen und sicheren Umgang unter den Beteiligten sicherstellen sollen. Im Fall von Love Addicts war das Alev Irmak.. Die in Berlin lebende Schauspielerin begleitete die Folgen fünf bis acht. *Die ersten vier Folgen betreute Intimitätskoordinatorin Julia Effertz.

Frage: Wie läuft so ein Coaching ab?

Antwort: Kurz gesagt: Man tastet sich heran. Zunächst werden in Vorbesprechungen mit Regie, Kostüm, Schauspielerinnen und Schauspielern Vorstellungen und Möglichkeiten erörtert: Wie soll die Szene aussehen, was soll sie erzählen? "Und nachdem das klar ist, kann ich Vorschläge machen", sagt Irmak. Teil zwei des Coachings beinhaltet Fragen der Nacktheit: Sind für die Szenen notwendige Intimbedeckungen, sogenannte "Modesty Garments", vorhanden? Danach tritt Irmak in näheren Kontakt zu den Schauspielern, den Darstellerinnen und bespricht Szenen. Gibt es Bedenken, werden diese besprochen.

Frage: Was ist "Body-Mapping"?

Antwort: Eine Methode, um noch während der Proben Konsens herzustellen. Zoe-Darstellerin Takeda erklärt, was dabei passiert: "Mein Partner oder meine Partnerin und ich stehen voreinander, und ich ertaste mit meinen Händen meinen Körper von Kopf bis Fuß und gebe meinem Gegenüber zu verstehen: Hier kannst du mich anfassen, hier nicht. Die Person beobachtet und macht anschließend genau das Gleiche an sich. Und dann nehme ich seine Hände und taste mich mit ihnen ab. Dabei finden wir heraus, wo Konsens herrscht, also was geht. Ich kann alles sagen, mein Gegenüber ebenso, zum Beispiel: Ich möchte deine Brüste anfassen oder nicht. Niemand ist gezwungen, irgendwo hinzufassen. Anschließend wird das Ganze umgekehrt gemacht. Das ist die Grundlage für alles Weitere."

Frage: Was ist ein "Closed Set"?

Antwort: Erst wenn noch einmal sichergestellt ist, dass sich alle Schauspieler wirklich wohlfühlen und das, was sie vorschlagen, auch spielen wollen, geht es an den Set. Die Szene selbst findet mittlerweile so gut wie immer in einem "Closed Set" statt: Nur Personen, die da sein müssen, sind da. Und selbst hier können Spielende jederzeit Nein sagen, wenn sie etwas doch nicht spielen wollen. "Es ist ganz wichtig, zu sagen: Ihr könnt euch am Set jederzeit anders entscheiden", sagt Irmak. "Das heißt, ihr müsst nie Angst haben, dass ihr etwas machen müsst, was ihr nicht wollt. Manchmal geht es einfach nur um eine kurze Pause."

Frage: Wie fühlt sich eine so vorbereitete Sexszene während der Aufnahme an?

Antwort: "In Wahrheit gibt es kaum etwas, das weniger sexy ist, als eine Sexszene zu drehen", sagt Irmak. "Trotz des 'Closed Set' stehen viele Menschen um einen herum, und dann geht es einfach darum, wie man die Szene spielt." Deswegen sei die Intimitätskoordinatorin so wichtig, sagt Irmak: "Damit man beim Spielen nicht mehr darüber nachdenken muss, ob ich da gerade über irgendwelche Grenzen gehe." Zoe-Darstellerin Takeda: "Man ist vorsichtiger. Alle wollen, dass es allen gutgeht. Dank der Leute am Set hatte ich nie das Gefühl, dass mir etwas zu nahe kommt." Ihre Figur beschreibt sie als freizügig, das zu zeigen sei für sie kein Problem gewesen: "Sex ist Zoes A und O, ist Teil ihres Alltags, und da bin ich in der Rolle genauso und schmeiß mich hinein mit allem, was ich habe. Wir drehen hier eine Serie, in der Sex eine große Rolle spielt, und dann kann es nicht sein, dass wir diskutieren, ob wir einen weiblichen Nippel zeigen oder nicht."

"Es gibt nichts, das nicht vorher abgemacht ist", sagt Irmak. "Wenn noch am Set eine Änderung passiert, wird von den Schauspielern und Darstellerinnen eine Einwilligung eingeholt."

Frage: Wie geht Küssen beim Film?

Antwort: "Der klassische Filmkuss kann beides sein", erklärt Takeda: "Ohne Zunge oder mit. Mit Zunge muss man vorher absprechen, was wir auch taten. Für uns war das aber keine Frage: Wenn es darum geht, einen leidenschaftlichen Kuss zu zeigen, kann ich mir das bei Zoe ohne Zunge nicht vorstellen."

Frage: Wie verändert das die erotische Szene, wenn sie von einer Intimitätskoordinatorin begleitet wird?

Antwort: Man sehe es den Szenen an, sagt Irmak: "Ja, ich finde schon, dass man das merkt. Weil wir die Chance bekommen, Intimität ganz anders zu zeigen, als wir gewöhnt sind. Schnell mal eine Nummer, und dann schwenken wir zum Kamin, spielt es dann nicht mehr. Die Sexszene soll ins Storytelling einfließen, und man soll erkennen, in welcher Form die Intimität stattfindet: Ist das Liebe oder einfach Triebbefriedigung? Wie entwickelt sich die Körperlichkeit? Was erzählt das über die Figur? Wie sehr lasse ich etwas zu oder nicht?"

Frage: Jahrelang wurden Sexszenen in Filmen so gedreht, wie Männer sich das vorstellen. Wird das jetzt anders?

Antwort: Davon ist auszugehen. Die großen Streamer in den USA setzen mittlerweile allesamt auf Intimberatung. Das Filmgeschäft sei sensibler geworden, sagt Irmak. Nicht nur, was Intimität betreffe, sondern auch gegenüber Themen wie Rassismus und Diversität. "Die Branche verändert sich", sagt Irmak. Bei Love Addicts war zum Beispiel von Anfang an klar, dass es keine Glanz-und-Glamour-Sexszene geben wird, die einer Männerfantasie entspringen könnte. "Wir wollten auch die komischen Momente zeigen, die manchmal passieren, und dass es eben sehr oft nicht so cool abläuft. Wir wollten unbedingt aus diesem männlichen Blick raus", sagt Takeda.

"Schnell mal eine Nummer, und dann schwenken wir zum Kamin, spielt es dann nicht mehr."

Letzten Endes gehe es um Kreativität, sagt Irmak: "Wir signalisieren: Wir schaffen dir diesen Raum, in dem du kreativ sein kannst. Und dank der gründlichen Vorbereitung wissen alle ganz genau, wo die Grenzen des Gegenübers sind. Sie sollen sich in der Situation keine Gedanken darüber machen müssen, ob eigene oder andere Grenzen überschritten werden." Fühlen sich die Darstellerinnen und Darsteller gut begleitet, könnten sie sich so richtig auf die Szene einstellen: "Wenn sie sich wirklich auf das Gegenüber und den Kontakt einlassen, dann kann etwas Magisches entstehen", sagt Irmak. (Doris Priesching, 15.12.2022)