Insgesamt 387 Bewerbungen hat Abdolreza Ghaemi geschrieben. Genauso viele Absagen hat der aus dem Iran geflüchtete Softwareprogrammierer in Österreich bekommen. "Fast alle Bewerbungen waren im IT-Bereich, es war bitter", erzählt der heute 38-Jährige dem STANDARD. Ende 2015 kam Ghaemi nach Kärnten, lebte dort bis Mitte 2018 in einem Flüchtlingsheim und hielt mitunter IT-Kurse ab. Mit politischer Hilfe bekam er eine Rot-Weiß-Rot-Karte, um arbeiten und im Land bleiben zu können.

Frustriert von der Absagenflut, gründete Ghaemi 2019 ein eigenes Unternehmen namens Redev. Auf einer KI-basierten Plattform bringt er IT-Fachkräfte mit Unternehmen zusammen. "Im Personalbereich fehlt vielen Verantwortlichen das Wissen, um die richtigen Leute für entsprechende Positionen zu finden", sagt Ghaemi. Mit Redev liege die Treffergenauigkeit bei 93 Prozent, und mehr als 2200 IT-Spezialisten hätten sich bereits angemeldet, dazu rund 70 Betriebe.

Akuter Fachkräftemangel

Die große Nachfrage nach der Dienstleistung ist verständlich. In Österreich fehlen laut einer Studie der Wirtschaftskammer rund 24.000 Fachkräfte im Techniksektor – 2018 waren es noch 10.000.

Im Jahr 2015 kam Abdolreza Ghaemi nach Österreich. Job fand er auch mit Rot-Weiß-Rot-Karte keinen, deswegen machte er sich selbstständig.
Foto: Studio F6

Mit Sorge beobachtet die IT-Recruiterin Kathrin Teigl diese Entwicklung: "Österreich kann es sich nicht leisten, wegen Befindlichkeiten qualifizierte Arbeitskräfte kategorisch abzulehnen." Sie habe es öfters erlebt, dass Lebensläufe nur wegen einer Nationalität abgelehnt worden seien, auch wenn sonst alles gepasst habe.

Auch Ghaemi kann sich viele Absagen nicht anders erklären als mit kategorischer Aussortierung wegen seiner Herkunft: "Ich bekam Absagen um drei in der Früh oder nach zwei Minuten. Das kann so nur durch eine Software passieren."

Integrationsfaktor Arbeit

Praktisch alle Prognosen gehen davon aus, dass Österreich künftig mehr Arbeitskräfte aus dem Ausland brauchen wird. Aber wer sie ins Land holen will und sicherstellen möchte, dass sich der Integrationsprozess möglichst friktionslos gestaltet, muss sicherstellen, dass die Angebote am Arbeitsmarkt attraktiv sind. Diskriminierungen wie im Fall Ghaemi sind da alles andere als förderlich.

Wie weit verbreitet sind solche Probleme? Dieser Frage ging das Sora-Institut gemeinsam mit der Universität Wien im Auftrag der Arbeiterkammer in einer aktuellen Erhebung nach. Am Mittwoch wurden die Ergebnisse präsentiert. Fazit: "Migrantinnen und Migranten arbeiten deutlich öfter als Österreicher unter prekären Arbeitsbedingungen. Sehr viele haben befristete Dienstverhältnisse, höhere Gesundheitsbelastung und unregelmäßige Arbeitszeiten. 13 Prozent verdienen so wenig, dass sie trotz Arbeit nicht vom Einkommen leben können", sagt Daniel Schönherr vom Sora-Institut.

Vor allem in systemrelevanten Berufen ist Österreich auf Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen. Integrativ wirkt der Arbeitsmarkt aber nur teilweise.
Foto: imago images/PA Images

In den durch Corona bekannt gewordenen systemrelevanten Berufen seien ausländische Arbeitskräfte überrepräsentiert, etwa in der Pflege, im Supermarkt, bei der Gebäudereinigung oder als Erntehelfer. Dass Migranten in schlechter bezahlten Jobs landen, lässt sich nicht nur mit schlechterer Ausbildung, Sprachkenntnissen oder Branchen begründen. "Als einzige Erklärung bleibt, dass ausländische Arbeitskräfte strukturell diskriminiert werden", meint Schönherr.

Auch die Arbeitssuche gestaltet sich für Migranten oft schwierig, wie aus der kürzlichen Mikrozensus-Arbeitskräfteerhebung der Statistik Austria für das Jahr 2021 hervorgeht. Demnach war ein Viertel der im Ausland geborenen 15- bis 64-Jährigen bei der Suche nach einer passenden Arbeit mit Hindernissen konfrontiert, und rund acht Prozent der im Ausland geborenen Erwerbstätigen fühlen sich bei ihrer derzeitigen Arbeit diskriminiert.

Österreich als Einwanderungsland

Das kreiert eine komplexe Situation, denn sieht man sich das Bevölkerungswachstum der vergangenen 50 Jahre an, geht dieses laut Sora fast nur auf den Zuzug aus anderen Ländern zurück. Derzeit leben rund 1,6 Millionen Menschen mit einer ausländischen Staatsbürgerschaft in Österreich. Die Einbürgerungsrate aber sei niedrig, von 100 ausländischen Bürgern erhalte nicht einmal eine Person pro Jahr die österreichische Staatsbürgerschaft.

Ein Mitgrund dafür seien hohe finanzielle Anforderungen, die eine soziale Hürde darstellen. Eine zentrale Voraussetzung für die Einbürgerung ist etwa ein Einkommen von mindestens 1200 Euro monatlich.

Ausgrenzung statt Eindliederung

Yvonne Franz von der Uni Wien hat in verschiedenen europäischen Ländern den Arbeitsmarkt für Geflüchtete untersucht. "Wenn der Arbeitsmarkt in seiner integrativen Funktion klappt, kann er zur Informationsdrehscheibe für so vieles werden: Sprache, soziale Interaktion, gesellschaftlicher Anschluss." In der Realität komme es häufig zu Mobbing, Ausgrenzung und übler Nachrede, dadurch werde die Arbeit zur Belastung und die Hoffnung, dass Arbeit inkludiert, zerstört. Sie fordert bessere Aus- und Weiterbildungsprogramme und eine klarere, unbürokratischere Sprache in Asylbescheiden. (Andreas Danzer, 15.12.2022)