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Ach, wie schön ist doch Weihnachten. Alle glücklich, alle froh. Oder so ...

Foto: Getty Images/H. Armstrong Roberts

Sitzen alle bei Glühwein in der Leseecke? Gemütliches Blättern in einem schönen Bildband über Winterlandschaften? Wird den Enkerln die Geschichte vorgelesen, warum das Jesuskind lächeln musste? Duftet es aus der Küche? Die Kinder, glucksen sie glücklich? Schön.

Diesmal war der Plan: eine Mischung aus den Weihnachtsfesten meiner Kindheit, mit dem großen Baum bei meinen Eltern und den vielen Geschenken. Dann wurde Karten gespielt, gemeinsam aus einer Pfanne gegessen, der Ellbogen lag dabei auf dem Tisch. So saugemütlich sollte es werden.

Tatsächlich wurden vor dem ersten Adventsonntag selbstgebackene Kekse geliefert, von jemandem mit Talent und Zeit. Kein schlechter Start in die Saison. Ich war dann aber leider die zwei Tage darauf ganz alleine daheim. Heuer gibt es also eher keine Kekse.

Den Adventkranz aus Moos habe ich von der Oma der Kinder mitgenommen. Er ist mir am dritten Adventsonntag abgefackelt, brannte wirklich lichterloh, und ich habe jetzt eine neue Brandnarbe. Das war der Moment, in dem die Kinder anmerkten, dass bei uns immer irgendwas sei, was so nicht gehöre.

Dann halt mit allen

Woche zwei. Ich habe schon Lammfelleinlegesohlen für die Kinder besorgt. Immerhin. Opi rief an. Man erwarte sich, dass am Heiligen Abend alle zu ihnen kommen. Nach Niederösterreich. Kinder, Schwestern, Ex-Männer und auch neue, Enkel, Urenkel. Okay. Großes Weihnachten also.

Die Kinder überreichten mir den Wunschzettel an das Christkind, so viel Tradition musste sein. Das Guinness-Buch der Rekorde. Sammelfiguren, z. B. Dwight Schrute von "The Office" und Eliot am Fahrrad mit E.T. im Korb. Ach, und ein Gaming-Computer wäre super. Äh, nein. Der Kleine war so nett, sich was Immaterielles zu wünschen, nämlich eine Reise nach Hawaii. Ich bot im Gegenzug eine neue Skijacke an. Mir wurde erklärt, die bräuchten sie ja sowieso, das könne doch kein Geschenk sein.

Woche drei. Meine Schwester rief an: Alles okay, wir teilen uns auf die Feiertage auf, das ist für alle relaxter. Wow, das gab’s noch nie. Feiern in kleiner Runde, nur wir. Und eine Weihnachtsente. Das vegetarische Kind will Dim Sums von unserem Chinesen. Kurz waren sehr schöne zehn Minuten.

Dann läutete das Telefon. Meine Mutter. Sie hat Probleme mit den Stimmbändern und spricht daher sehr leise. "Weißt du", sie räusperte sich, "der Heilige Abend ist am 24.12. Am vierundzwanzigsten Dezember." Noch leiser: "Die ganze Familie feiert am 24.12. Da ist der Heilige Abend." Kurze Verabschiedung. Die Patin hat aufgelegt. Nach ein paar Minuten legt sich die Gänsehaut.

Putzen oder Packerln?

Okay, Feier mit Großfamilie oder Verdammnis. Dazu ein Leben abseits von Weihnachten. Wäsche waschen oder Baum einkaufen? Putzen oder Packerln machen? Geschenke besorgen oder durcharbeiten, weil man so viele Aufträge annehmen musste. Es ist ja die Zeit der neuen Vorschreibungen, was die Lebenshaltungskosten betrifft. Ich schenkte aus Verzweiflung die neuen Eislaufschuhe her, damit sie beschäftigt sind, die Kinder. Jetzt hatte ich wieder nix.

Woche vier. Endphase. Man war brav. Hat Listen erstellt, Pläne gemacht, was es wo zu erwerben gilt. Tagsüber Erledigungen, letzte Meetings. Mit den Kindern für die Schularbeiten gelernt, und ja, es musste auch noch ein Musiktest sein, am 23.12., über den Stoff der letzten drei Monate. In den Nächten arbeiten. Anders ging es nicht mehr.

Dann ist er plötzlich da, der Heilige Abend. Man stellt fest, dass die Enkel der Schwester keine Babys mehr sind, der eine wird nächstes Jahr eingeschult. Schneller Umtausch von Geschenken. Irgendwann wird losgefahren. Der Hund hat ein Mascherl um, um von den dreckigen Blazern der Kinder abzulenken. Wir haben eine Kiste Wein mit.

Und dann sind wir da. Ein schön gedeckter Tisch, mit Brötchentellern und Schüsselchen mit Perlzwiebeln, Oliven und sonst Allerlei, was viel Altglas produziert. Weihnachtstorte. Die Vorhänge sind zu, der Christbaum ist verstellt mit einer abenteuerlichen Konstruktion aus Möbeln und Decken. Die Kinder müssen ins Nebenzimmer, sie kreischen dort. Geschenke werden aufgebaut. Ich habe meine AirPods daheim vergessen. Sie hätten Noise-Cancelling. Überlege, sie zu holen, die Stunde Fahrt ist es wert.

Der Baum wird befreit. Bimmelim, die Kerzen erleuchten. Es wird gesungen, schöner als gedacht. Ich schiele auf die Krippe, das Jesuskind ist verlorengegangen. Der Hund jagt die Katze und muss an die Leine (plus Vortrag über Hundeerziehung).

Nun das Packerl aufmachen. Freude überall, auch ohne Hawaii. Skijacken von den Großeltern. Die Kleinste legt mein Geschenk auf die Seite und spielt eine halbe Stunde mit der goldenen Verpackung. Meine Schwester hat für alle gehäkelt. Handytaschen, aber eher für die alten Nokia-Modelle. Ich bewundere sie, es sind perfekte Geschenke, die haben sie beschäftigt am Abend beim Fernsehen, sie sind günstig, und es ist ihr völlig egal, was wir damit machen. Ich verteile Verzweiflungsbücher, die ich eventuell wieder mitnehmen kann, weil sie kein Schwein liest. Die Lammfelleinlegesohlen passen nicht mehr. An einer kaut der Hund.

Für mich Gutscheine, mit lieb gemeinten Ideen. Ich werde sie in eine Lade legen, zu den anderen. Aber ich freue mich, dass ich sie bekommen habe. Ein bunter Strauß von Möglichkeiten. Auf meinem Grabstein wird stehen: "Hier ruht Heidi List mit ihren 1.346 uneingelösten Coupons." Meine Eltern sitzen abseits und schauen sich das Enkelspektakel wie einen Film an. Die anderen essen Brötchen um Brötchen um Brötchen. Ich bringe nichts runter. Meine Kinder versuchen, einander die Gesichter in die Torte zu drücken. Alle schauen mich an, als hätte ich’s diktiert. Zwei Stunden, dann ist der Spuk vorbei. Zum Schluss noch Aufruhr, der Großneffe hat den Jesus aus der Krippe gefunden und in sein Nasenloch gesteckt.

Danke an alle!

Bei der Rückfahrt ist merkwürdig unklar, ob man jetzt so glücklich ist, weil es vorbei ist oder weil es so schön war. Weil die Kleinen waren schon sehr süß. Zu Hause zünden wir noch einmal die Kerzen an. Unser Baum ist zu groß, ich war zu schwach, um das abzuwenden. Wir lassen uns die Dim Sums schmecken. Die Kinder tauschen Geschenke untereinander aus. Der Gaming-Computer steht plötzlich da, das Christkind stottert ihn halt irgendwie ab die nächsten Monate.

Was den Kindern wohl an Erinnerungen bleibt, wie das Weihnachten war, früher? Chinesisches Essen, ein Jesuskind im Nasenloch, die Mama, chaotisch, aber willens?

Vielleicht brechen wir wirklich aus, im nächsten Jahr. Weihnachten in Thailand. Oder Hawaii, falls irgendwo ein Erbonkel daherkommt. Mit Massagen und Cocktails unter Palmen. Aber dann wird meine Mutter anrufen, und sie wird flüstern: "Der Heilige Abend, der ist am 24. Dezember." Und das ist er einfach. (Heidi List, 24.12.2022)