Sichere und von Schnee geräumte Radfahrspuren motivieren mehr Menschen dazu, klimaschonend aufs Fahrrad statt ins Auto zu steigen.

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In die Arbeit radeln oder mit dem Auto fahren? Zu Mittag die Fertigpizza ins Backrohr schieben oder doch die Gemüsepfanne kochen? Für die Dienstreise von Wien nach Hamburg den Zug oder den Flieger buchen? Vieles davon entscheiden wir nicht täglich aufs Neue, weiß Alfred Posch vom Institut für Umweltsystemwissenschaften an der Uni Graz. Vielmehr seien es klimaschädliche oder eben klimafreundliche Verhaltensmuster, die stark von äußeren Faktoren wie sicheren Fahrradwegen oder genügend Zeit abhängig sind.

Zu diesem Schluss kommt ein neuer Bericht, den Posch mit sechs Kollegen und Kolleginnen herausgegeben hat. Die Kernbotschaft: Strukturen für ein klimafreundliches Leben müssen ins Zentrum der Klimapolitik gestellt werden. Rund 80 Autorinnen und Autoren haben drei Jahre lang über 2000 Literaturquellen ausgewertet. Sie haben nahezu alle Bereiche des täglichen Lebens untersucht: Wohnen, Ernährung, Mobilität, Arbeit, Haushalt und Familie sowie Urlaub und Reisen. Entscheidungsträgern soll der Bericht Handlungsmöglichkeiten aufzeigen.

Laut Co-Herausgeber Andreas Muhar vom Department Raum, Landschaft und Infrastruktur an der Boku Wien macht es wenig Sinn, an einzelne Personen zu appellieren, sich klimafreundlich zu verhalten, wenn die Rahmenbedingungen ihres Alltagslebens ganz anders ausgerichtet sind.

Ein typischer Tagesbeginn in ländlichen Gebieten zeigt das deutlich. Nach dem Frühstück steigen viele für den Weg zum Kindergarten, zur Schule und Arbeit ins Auto. Laut Bericht nimmt die tägliche Pkw-Nutzung in ländlichen Gebieten sogar weiter zu. Damit mehr Menschen in den Bus oder aufs Fahrrad steigen, empfehlen die Fachleute, die Infrastruktur auszubauen. Ein Umstieg auf E-Mobilität oder alternative Treibstoffe reiche nämlich nicht aus, um die Klimaziele im Verkehrssektor zu erreichen.

Weniger Arbeit, weniger Emissionen

"In der Arbeit angekommen, ist die Freiheit des Einzelnen sehr beschränkt", sagt Karl Steininger vom Wegener Center für Klima und Globalen Wandel, ebenfalls Co-Herausgeber. Das fange schon mit der Frage an, ob überhaupt Arbeitsplätze in Unternehmen frei sind, die klimaneutral produzieren.

Auf dem Weg zu einer klimaneutralen Wirtschaft empfiehlt der Bericht Unternehmen, nachhaltige Geschäftsmodelle und Ausbildungsmöglichkeiten für Green Jobs zu entwickeln. Mehr Arbeitskräfte werden zukünftig im Rahmen einer Kreislaufwirtschaft auch für Reparaturen nötig sein, weiß Steininger.

Auch die Arbeitszeit zu verkürzen wäre gut fürs Klima. In den vergangenen 30 Jahren hätten sich Verhandlungen nicht mehr um Arbeitsverkürzungen, sondern um Lohnsteigerungen gedreht, so Steininger. Ein weniger dichtes Arbeitsprogramm führe aber auch zu weniger Emissionen. Ein Beispiel sei etwa die Ernährung: Wer keine Zeit hat zu kochen, isst mehr klimaschädliches Fastfood.

Generell spielt die Ernährung eine entscheidende Rolle für ein klimaschonendes Leben. Das beginnt beim landwirtschaftlichen Anbau, führt weiter zum Handel und endet beim Gericht auf dem Teller. Steininger hält dabei nichts von Consumer-Blaming. Die Kaufentscheidung liege zwar beim Konsumenten, der Handel nehme Fleisch aber als Lockangebot. 40 Prozent des österreichischen Lebensmittelumsatzes werden mit Billigangeboten umgesetzt – insbesondere auch mit Fleisch, so der Forscher.

Notwendige Veränderungen sieht der Bericht auch im Bereich Wohnen. Bodenversiegelung und Zersiedelung werden ebenso als Problem erkannt wie die dadurch "ausufernde Verkehrsentwicklung".

Gestaltungsoptionen liegen etwa in der Wohnbauförderung. Diese könne gezielt für gemeinnützige Wohnbauprojekte oder Sanierungen vergeben und Umbauten gegenüber Neubauten priorisiert werden. Eine Zweckwidmung der Wohnbaufördermittel könnte dabei unterstützen.

Gemeinsame Lösungen

Alleine was die Bereiche Mobilität, Arbeit, Ernährung und Wohnen betrifft, sind verschiedenste Akteure aus Wirtschaft, Verkehrsbetrieben, Landwirtschaft und Politik gefragt. Daher schließt der Sachbericht auch alle mit ein. "Das muss eine gemeinsame Geschichte sein", sagt Muhar. Die Politik könne die Strukturen allein nicht aufbrechen, genauso wenig Wirtschaftstreibende – Erfolg gäbe es nur, wenn alle an einem Strang ziehen.

Ist etwa ein Industriebetrieb nicht mit den Öffis zu erreichen, muss die Infrastruktur verbessert werden. Liegt das Industriegebiet aber bereits neben einem Bahnhof, müssen die Zugintervalle auf den Schichtbetrieb abgestimmt werden. Dazu brauche es keine neuen Gesetze, sondern der Industrie- und der Verkehrsbetrieb müssen miteinander reden.

"In den vielen Krisen, die wir derzeit erleben, begegnet uns der Klimawandel auf vielen Ebenen", sagt Muhar. In Österreich bestehe aber immer die Gefahr, dass die Lösungssuche in einen Bund-Bundesländer-Konflikt mündet. Das kann der Sachbericht zwar nicht verhindern. Verschiedene Handlungsoptionen sind darin aber zumindest nachzulesen. (Julia Beirer, 18.12.2022)