Ein letzter öffentlicher Blick in das private Schlafzimmer der im April 90-jährig verstorbenen Kammersängerin Renate Holms.

Foto: Aurena

"Frau Kammersängerin wohnt hier nicht mehr" – unter diesem Titel berichtete der STANDARD jüngst von einem posthumen Hausbesuch der im April 90-jährig verstorbenen deutsch-österreichischen Opernsängerin Renate Holm. Den Anlass dafür gab ein Besichtigungstermin im Vorfeld der Versteigerung des gesamten Hausrats ihrer im Cottageviertel im 19. Bezirk gelegenen Altbauwohnung. Durch die flanierten im November wildfremde Schnäppchenjäger und potenzielle Käuferinnen, die Sofas und das Bett im Schlafzimmer auf Tauglichkeit prüften, Nachtkastl, Badezimmerschränkchen und all jene Objekte genauer inspizierten, auf die sie bei der Auktionsplattform Aurena später bieten sollten.

Dazu gehörten nebst zahlreichen Fotos, Plakaten und Auszeichnungen auch Gebrauchsgegenstände wie Wasserkocher, Toaster, Brotdose und angebrochene Spirituosen zum Inventar, weiters Bücher, CDs, ein Stutzflügel, ein paar Bilder, Porzellanservice, Krimskrams und Heerscharen von Stofftieren. Alles, was sich eben so im Laufe eines Lebens und einer Künstlerkarriere ansammelt und in solchen Fällen dann auf eine für Erben effiziente Weise verhökert werden soll.

Intime Inszenierung

Das einstige Privatrefugium Prominenter temporär als öffentlichen Flohmarkt zu inszenieren ist allerdings ein Geschäftsmodell, an dem sich die Geister scheiden. Denn die Verwerter setzen dabei gezielt auf eine Atmosphäre, die eine gewisse Intimität suggeriert, um den Verkauf zu befeuern. Ein Unterfangen, das auch als geschmacklos, ja unwürdig empfunden wird. Ganz so, als ob Verstorbene jedweden Anspruch auf Privatsphäre verwirkt hätten.

Diese Verwertungsform sei ja nicht verwerflich, argumentiert Jürgen Blematl, technischer Leiter der Auktionsplattform Aurena, die sich hierzulande auf diese Nische spezialisiert hat. Den Auftakt gab Elfriede Ott und die im Auftrag ihres Adoptivsohns Goran David Ott in aller Öffentlichkeit zelebrierte Entrümpelung ihres Domizils in der Wiener Innenstadt. Bei diesem Kehraus ein gutes Jahr nach dem Tod der Schauspielerin wurden auch Otts Krücken, ihr Rollstuhl und Reinigungsmittel versteigert, wie der STANDARD im August 2020 berichtete.

Positivbeispiel Gruberová

Im Dezember desselben Jahres war Senta Wengraf 96-jährig verstorben. Auch ihr Nachlass wurde heuer über Aurena versteigert. Allerdings: Die ursprünglich in ihrer Wohnung im sechsten Wiener Bezirk Ende März vorgesehene Besichtigung entfiel dann doch. Stattdessen hatten Interessenten in das Depot am Aurena-Firmenstandort im steirischen Niklasdorf zu pilgern, um die mehr als 600 Positionen in Augenschein zu nehmen.

So geläufig die Verwertung von Nachlässen Prominenter in der Branche auch ist, bislang entschieden sich Erben dabei mehrheitlich für ein neutrales Umfeld: sei es über den darauf spezialisierten Handel oder über klassische Auktionshäuser wie "im Kinsky" oder das Dorotheum hierzulande. Bei Letzterem kamen im September beispielsweise Teile der Verlassenschaft der vergangenen Herbst verstorbenen Sopranistin Editha Gruberová unter den Hammer. Mit stattlichem Erfolg: Die Verkaufsquote belief sich auf 94 Prozent, der Umsatz auf rund 616.000 Euro.

Aurena bezahlte Erben 35.000 Euro

Um einen solchen Erlös ging es im Falle Renate Holms nicht. Aurena will den für insgesamt 1033 Posten erwirtschafteten Umsatz auf Anfrage nicht nennen. Die Schätzgutachten des Sachverständigen Christof Stein waren geringfügig ausgefallen, wie Holms Privatsekretärin erzählt: auf knapp 8000 Euro für das Inventar der Wohnung und rund 8100 für jenes ihres Zweitwohnsitzes, der kurz vor ihrem Tod verkauften Mühle in Altenmarkt im Thale, wie auch Holms Rechtsanwalt Nikolaus Rosenauer bestätigt.

Die Erben, zu denen neben dem Wiener Tierschutzverein auch Vier Pfoten, die Gewerkschaft der Tiere (München) sowie das Kinderhospiz Sternthalerhof und der Verein Künstler helfen Künstlern gehören, traten Holms mobile Güter für einen Pauschalbetrag von 35.000 Euro an Aurena ab. Der Vorschlag zu dieser Verwertungsform sei, laut Anwalt Rosenauer, vom Verein Künstler helfen Künstlern gekommen, der in Baden das Hilde-Wagner-Künstlerheim betreibt. Auf Empfehlung eines Geschäftsmannes, der vom Erfolg der Ott- und Wengraf-Auktionen erzählt habe, wie Geschäftsführerin Anneliese Fritthum erklärt.

Beim Besichtigungstermin im November stöberten Schnäppchenjäger in Renate Holms Habseligkeiten.
Foto: Christian Fischer

Irritation wegen Tagebuch

Einige Teile des künstlerischen Nachlasses Holms wurden der Wien-Bibliothek und dem Theatermuseum überlassen, der Rest wurde verscherbelt. Darunter auch eine goldene Schallplatte und andere Auszeichnungen, die die Karriere der Opernsängerin dokumentierten. Darüber, wie Holms Tagebuch aus dem Jahr 1964 im Auktionsangebot landen konnte, herrschen allerdings unterschiedliche Auffassungen. Es sei zusammen mit anderem Persönlichen der Sängerin in Schachteln separat vom Wohnungsinventar verwahrt gewesen und nicht zeitgerecht abgeholt worden, sagen die einen. Es sei "im Zuge des Ankaufs in das Eigentum der Aurena GmbH übergegangen", betont dagegen Jürgen Blematl. Kulanterweise habe man es dann auf Ersuchen der Privatsekretärin aus der Auktion genommen.

Laut Blematl überlege man nun, dieses Dokument einer gemeinnützigen Institution oder einem Museum zu spenden. Das Theatermuseum hätte großes Interesse, wie der STANDARD in Erfahrung brachte. Dass diese privaten Aufzeichnungen überhaupt im Auftrag der Erben an irgendeinen anonymen Bestbieter verscherbelt werden sollten, ist vielen nicht nachvollziehbar. Auch Holms Biografin Christine Dobretsberger nicht.

Was die erfolgreiche Sopranistin von alledem gehalten hätte? Definitiv nichts, ist Dobretsberger überzeugt. Mehrmals habe sie von einem ähnlichen Fall einer befreundeten Künstlerin erzählt, nach deren Tod ein privater Flohmarkt veranstaltet worden sei. Wie die Raben seien die Anwesenden über alles hergefallen, habe Holm angewidert berichtet.

Allein, so oft Frau Kammersängerin ihr Testament geändert haben soll, eine entsprechende Verfügung zu treffen hatte sie verabsäumt. Den Umgang mit ihrer posthumen Privatsphäre hatte sie vertrauensvoll ihren Erben überlassen. (Olga Kronsteiner, 16.12.2022)