Bereits vor Prozessbeginn gab sich Raphael Ragucci alias RAF Camora siegessicher.

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Wien – Die Kunstfigur RAF Camora blieb am Freitag vor dem völlig überfüllten Verhandlungssaal 303 des Landesgerichts für Strafsachen Wien zurück, vor Richter Patrick Aulebauer nahm nur der Mann hinter dem coolen Rapper, Raphael Ragucci, als einer von zwei Angeklagten Platz. Dem 38-Jährigen wird Raufhandel vorgeworfen, er soll am 17. Juni an einem Würstelstand beim Prater in einen Angriff auf einen Bediensteten der Essensverabreichungsstelle verwickelt gewesen sein.

Wer sich einen Auftritt voll "Bitches", Prahlerei mit Vermögen und derben Kraftausdrücken erwartet hatte, wurde großteils enttäuscht. Zwar fuhr der Musiker und Produzent im schwarzen Lamborghini samt Chauffeur vor, Angaben zu Einkommen und Vermögen verweigerte er vor Gericht allerdings. Auch Raguccis Sprache hat weniger mit dem von Einwohnern wie dem Verfasser liebevoll Rudolfscrime-Fünfhaus genannten 15. Wiener Gemeindebezirk zu tun und mehr mit der Bundesrepublik Deutschland: "Ey", "ne" und "krass" sind zu hören.

Hungergefühl bei Videodreh

In der fraglichen Nacht waren er und sein 36 Jahre alter Mitangeklagter beim Dreh eines Videos für das Lied "Letztes Mal". Gegen Mitternacht erwachte der Hunger, die beiden Unbescholtenen und ein weiterer – wegen eines positiven Covid-19-Tests verhinderter – Mann wollten Essen holen, konkret Hotdogs. Der 36-jährige Würstelstandangestellte beschied dem Trio allerdings, dass es nichts mehr gebe, ab dann gehen die Aussagen auseinander.

Klar ist nur, dass zwischen dem erkrankten Verdächtigen und dem Angestellten ein Wortgefecht begann – auf nicht berauschendem intellektuellem Niveau. Ragucci schildert, dass der Erkrankte "Du Schwein!" sagte, der Angestellte habe mit "Du Nuttensohn" geantwortet, was dem Rapper in Erinnerung blieb, da es ein in Wien selten verwendeter Begriff sei.

Er habe dann seine Begleiter mit "Ey, lass jetzt gehen" zum Verlassen der Örtlichkeit aufgefordert und sei über die Straße zu einer Gruppe Cheerleaderinnen, Statistinnen des Videos, gegangen, berichtet der extrem breitbeinig auf dem Angeklagtenstuhl sitzende Ragucci weiter. Dort habe er bemerkt, dass der Angestellte mit einem langen Brotmesser aus dem Stand herauskam, stolperte und zu Boden fiel und dort in eine Rauferei mit dem erkrankten Angeklagten verwickelt wurde. Der Zweitangeklagte habe erfolglos versucht, den Erstangeklagten wegzuziehen. Also sei er zurückgegangen und habe versucht, die Beteiligten zu trennen. "Ein Fremder versuchte, mich zurückzuziehen", erinnert sich der 38-Jährige noch.

"Er war on fire"

Aus Raguccis Sicht ging die Eskalation aber eindeutig vom Angestellten aus. "Der war auf jeden Fall aggressiv, er war on fire." Der Mitangeklagte schildert noch, dass nach RAF Camoras Abgang der Dritte im Bunde zunächst seine E-Zigarette in den Würstelstand schmiss, worauf der Angestellte begonnen habe, mit einem langen Brotmesser in ihre Richtung zu fuchteln. Daraufhin habe der erkrankte Angeklagte noch einen Glasaschenbecher in die Hand genommen und gedroht, auch diesen zu schleudern, worauf der Angestellte samt Messer herauskam und stolperte.

Das Opfer, das Prellungen und Hämatome erlitt sowie einen dreieinhalb Monate dauernden Hörverlust wegen einer Blutung hinter dem Trommelfell, schildert die Situation etwas anders. Es seien fünf Männer zum Würstelstand gekommen, als der Streit entstand. Er habe nie mit einem Messer gedroht, behauptet der Zeuge. Die Gruppe sei nach wechselseitigen Beleidigungen gegangen; als er hinausging, um die Aschenbecher einzuräumen, sei er von hinten niedergeschlagen worden. Zumindest zwei Personen hätten auch auf ihn eingetreten, als er am Boden lag, behauptet er. Wer das war, könne er aber nicht sagen, die beiden Angeklagten kann er nicht als Angreifer identifizieren.

Zeuge berichtet von mehreren Involvierten

Auch ein unbeteiligter Zeuge, dessen Aussage verlesen wird, berichtet von fünf bis sieben Personen, die in den Streit verwickelt gewesen seien. Auf den Ruf "Wo ist dein Messer?" sei es zu einer Prügelei gekommen. Als der Angestellte dann auf dem Boden lag und von drei Männern getreten wurde, habe er die Polizei alarmiert. Wer konkret zugetreten habe, weiß aber auch dieser Zeuge nicht.

Einige der Cheerleaderinnen, die von den Verteidigern Klaus Ainedter und Philipp Wolm stellig gemacht wurden, bestätigen die Angaben Raguccis – er sei auf der anderen Straßenseite gestanden und habe nur deeskalierend eingreifen wollen.

Selbst die Staatsanwältin gesteht in ihrem Schlusswort zu, dass es erhebliche Zweifel gäbe, ob die beiden Angeklagten tatsächlich in den Raufhandel verwickelt gewesen seien, und fordert einen Freispruch. Den fällt Aulebauer rechtskräftig. "Es war schon das Vorverfahren ... Aus polizeilicher Sicht hätte man das gründlicher führen können", kritisiert der Richter in seiner Urteilsbegründung. Schließlich sei Ragucci nie befragt worden, auch andere Teilnehmer am Videodreh interessierten die Beamten nicht.

Ragucci nimmt die Entscheidung recht emotionslos zur Kenntnis, verlässt den Saal, in dem sicherheitshalber sogar Polizisten postiert wurden, durch das Beratungszimmer und steigt vor dem Gerichtsgebäude kommentarlos in seinen Luxuswagen. (Michael Möseneder, 16.12.2022)