Anfang Dezember in Kitzbühel: Die Talabfahrten sind noch eher grün-braun als weiß.
Foto: Florian Obermoser

Einiges ist anders in diesem Dezember in Kitzbühel. Wer durch die Straßen streift, trifft auf Fußballfans, in den Lokalen flimmert die Weltmeisterschaft in Katar über die Flatscreens, Fangesänge vermischen sich mit Après-Ski-Hits. Draußen auf der Straße ist es dunkler als in anderen Jahren. Wo wenige Stunden zuvor ein Lichtermeer aus blinkenden Glühbirnen Weihnachtsstimmung verbreitet hat, ist es in der Nacht düster. Die Stadt dreht die Beleuchtung heuer spätestens um 23 Uhr ab, auch die berühmte rote Gams über Kitzbühel erstrahlt nicht wie gewohnt. Selbst der Nobelskiort hat sich einen Energiesparkurs verordnet. Wer in Kitzbühel diesen Winter Ski fährt, bekommt diesen sogar am eigenen Leib zu spüren: Die Sitzheizungen der Sessellifte bleiben kalt.

Anton Bodner, Vorstandsvorsitzender der Kitzbüheler Bergbahn, hofft auf einen schneereichen Winter.
Foto: APA/AFP/KERSTIN JOENSSON

Sparkurs auf Skiern

Beim Lokalaugenschein auf dem Hahnenkamm scheint das kaum jemanden zu stören – bei Kaiserwetter und dem lang ersehnten Neuschnee, der übers Wochenende gefallen ist, tummeln sich die ersten Gäste der Saison auf den Pisten. Anton Bodner, Vorstandsvorsitzender der Kitzbüheler Bergbahn, hofft, dass das so bleibt. Rund 150 Energiesparmaßnahmen werden heuer im Skigebiet umgesetzt. Die Eingriffe reichen laut Bodner von der Optimierung automatischer Türen bis zur Beleuchtung der Piste. Sein Ziel ist es, die Bergbahn Kitzbühel auf diesem Weg wirtschaftlich möglichst unbeschadet durch den Winter bringen – ohne dass die Gäste ausbleiben. "Unsere Energiekosten haben sich mehr als verdoppelt", beklagt er.

Angesichts der Energieknappheit infolge des Ukraine-Kriegs war im Sommer einige Zeit lang unklar, ob überhaupt genug Energie für den Betrieb zur Verfügung stehen würde. Nun haben Bodner und die Touristiker gebangt, ob sich die Menschen angesichts der Teuerung einen Skiurlaub in diesem Jahr leisten würden. Hier habe der Saisonauftakt ein Aufatmen bewirkt: Die Gäste kommen, die Buchungslage in Kitzbühel sei sehr gut.

Weißes Gold

Weniger Weihnachtsgeblinke, kein warmer Sessellift: All das scheint für die Gäste zweitrangig zu sein. Für sie ist vor allem eines wichtig: "Ohne Schnee würde ich im Winter nicht mehr herkommen", meint der junge Mann aus Deutschland, während er sich vor der Bergstation der Hahnenkammbahn die Skier anschnallt. Die Britin neben ihm stimmt ihm zu. Im Sommer käme sie vielleicht noch zum Wandern, aber im Dezember?

Kitzbühel ohne Schnee. An einem Tag wie diesem ist das schwer vorstellbar. Eine dicke Schicht Pulverschnee hat den Hahnenkamm übers Wochenende in ein Winterwunderland verwandelt, sogar die Anfänger am Übungshang direkt bei der Gondelstation purzeln mit strahlenden Gesichtern vom Förderband, das hier wie in vielen Skigebieten Teller- und Bügellifte abgelöst hat. Ein Bild, das nach Robert Steigers Berechnungen schon in wenigen Jahrzehnten so nicht mehr existieren könnte. Der Professor am Institut für Finanzwissenschaft der Uni Innsbruck forscht seit bald 20 Jahren zu den Themen Klimawandel und Tourismus.

Zu Beginn der Skisaison laufen die Beschneiungsanlagen in den Kitzbüheler Alpen auf Hochtouren. Das warme Wetter und steigende Energiekosten erhöhen den Druck auf die Bergbahnbetreiber.
DER STANDARD

"Nur wenig vom Worst-Case-Szenario entfernt"

Die Zukunft, die er Skigebieten wie Kitzbühel vorhersagt, sieht wenig rosig aus – oder eher wenig weiß. "In Tirol ist die Schneedecke seit den 1960er-Jahren um ungefähr 44 Tage zurückgegangen." Und diese Entwicklung wird sich laut Steiger fortsetzen: "In einem pessimistischen Szenario gehen wir davon aus, dass wir in den Hochlagen bis zum Ende des Jahrhunderts rund die Hälfte der bisher üblichen Schneehöhe verlieren werden." In den mittleren Lagen gibt es dann laut Steiger um etwa zwei Drittel weniger Schnee, in den niedrigen Lagen sogar bis zu 90 Prozent.

Dieses pessimistische Szenario rechnet damit, dass in den kommenden Jahren wenig bis gar nichts gegen den Klimawandel unternommen würde. "In der Realität liegen wir aktuell nur wenig von diesem Worst-Case-Szenario entfernt", sagt Steiger. Besonders für tiefer gelegene Skigebiete hätte das fatale Folgen. Schon jetzt ginge hier ohne Beschneiung nichts mehr. "Nur noch rund 18 Prozent der Skigebiete in Tirol könnten über einen längeren Zeitraum von mindestens 100 Tagen allein mit Naturschnee betrieben werden", rechnet Robert Steiger vor.

Mittlerweile hat das Wetter in Kitzbühel für perfekten Pulverschnee gesorgt, doch die Prognosen zeigen: Darauf wird in den nächsten Jahren immer weniger Verlass sein.
Foto: Florian Obermoser

Teurer Energieverbrauch

Das kommt die Seilbahnen gerade in diesem Jahr teuer zu stehen: Insgesamt verbrauchen die Skigebiete in Österreich jährlich etwa 250 Gigawattstunden für die Beschneiung – mit dieser Menge Strom könnte man 56.000 Haushalte versorgen. Das geht aus den Zahlen des Seilbahnverbands hervor. Auch in Kitzbühel fließen jeden Winter bis zu 45 Prozent der benötigten Energie in Schneeerzeugung.

Dennoch haben Touristiker und Politik sich lange gesträubt, die Klimakrise als Problem anzuerkennen. Auch jetzt noch beschwichtigt Kitzbühels Bürgermeister Klaus Winkler (ÖVP): "Wir haben oft grüne Weihnachten gehabt, wo wir im kurzen Leiberl draußen waren. Das ist bei uns nichts Besonderes." Er rechnet damit, dass der Tourismus noch für Jahrzehnte Kitzbühels Hauptwirtschaftsmotor bleiben wird.

Seilbahnchef Anton Bodner relativiert Prognosen wie jene von Robert Steiger ebenfalls: "Auch wir erheben Daten, diese beschränken sich aber eher aufs Regionale. Und die sehen nicht so extrem aus." Bodner geht davon aus, "dass Skifahren in Kitzbühel noch sehr lange möglich sein wird".

Langsames Umdenken

Trotzdem hat es in der sogenannten Gamsstadt ein Umdenken gegeben. 2019 machte das Skigebiet international Schlagzeilen mit seinem "weißen Band". Bereits im Oktober zog sich eine präparierte Skipiste durch die fast noch spätsommerliche Bergkulisse. Es hagelte Kritik ob der Wirkung solcher Aktionen vor dem Hintergrund der Erderwärmung. Bilder wie diese will Bodner nicht mehr liefern, auch "weil es eine Sensibilisierung bei den Gästen gegeben hat". Von den lange Zeit beworbenen 200 Skitagen im Jahr, die Kitzbühel zu bieten habe, gehen die Touristiker nun ebenfalls weg. "Für mich ist klar: Ohne meteorologischen Winter wird es keinen Skitourismus, wie wir ihn kennen, geben", sagt Bodner.

Die Sommersaison wird deshalb für Orte wie Kitzbühel wirtschaftlich immer wichtiger. Das erkennen auch die Hoteliers nach und nach. Lukas Scheiber ist Geschäftsführer im Bruggerhof, einem zertifizierten Bio-Hotel. Tourismus ja, aber nachhaltig, lautet sein Motto. Scheiber geht davon aus, dass das Skifahren nach und nach an Bedeutung verlieren wird. "Sehr viele unserer Gäste kommen aus Deutschland. Wenn wir uns vor Augen führen, dass dort nicht einmal mehr jeder Fünfte Ski fährt, allerdings 90 Prozent Rad fahren, wird klar, wohin die Reise geht." Diese Entwicklung wurde mitunter zu spät erkannt. Das zeigt sich allein an der Statistik der Bergbahn Kitzbühel: Von 1,8 Millionen beförderten Gästen entfallen nur 300.000 auf die Sommermonate.


Skitourismus als Auslaufmodell: Das prophezeien die Tourismusexperten Oliver Fritz (siehe Bild) und Anna Burton vom Wirtschaftsforschungsinstitut.
Foto: WIFO

Anna Burton und Oliver Fritz vom Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo kritisieren zudem, dass eine Einstellung auf den Klimawandel im Wintertourismus nicht ausreiche. "Ohne Klimaschutz und nachhaltige Konzepte hat der alpine Wintertourismus in Österreich keine Zukunft", kritisierten die beiden in einem STANDARD-Gastkommentar. Und hier gibt es vor allem abseits der Skipiste Verbesserungspotenzial. "Die An- und Abreise der Gäste und die Mobilität am Urlaubsort sind für mehr als 90 Prozent des CO2-Fußabdrucks des österreichischen Tourismus verantwortlich."

In diesem Punkt ist Kitzbühel tatsächlich Vorreiter: Der Bahnhof Hahnenkamm ist nur wenige Meter von der Skipiste entfernt, es gibt ein kostenloses Skibussystem. Trotzdem: Burton und Fritz gehen davon aus, dass der Skitourismus, wie wir ihn kennen, ein Auslaufmodell ist. In Kitzbühel scheint das noch immer nicht ganz durchgedrungen zu sein. Weil der Reichtum hier auf Schnee gebaut ist.
(Antonia Rauth aus Kitzbühel, 16.12.2022)