Ein Glaserl Sekt oder ein Mineral, oder soll ich ein Kerzerl anzünden? Gabi Gabriel bittet in ihrer kleinen Bar in der Wiener Innenstadt zum Interview, als diese noch geschlossen hat. Durch einen dicken Samtvorhang taucht man ein in plüschiges Flair. Abends sorgen Barpianisten für passende Töne.

STANDARD: Fast 85 Jahre gibt es die Bonbonniere. Sie sind Ihr ganzes Leben dabei. Haben Sie als Kind schon Gefallen an der Barluft gefunden?

Gabriel: Mit Unterbrechungen bin ich hier in der Bonbonniere. Ich habe die Gastgewerbeschule am Judenplatz gemacht, war da 18 Jahre alt. Meine Mutter war damals hier schon voll im Einsatz. Es war eine Tagesbar. Ich durfte zu Mittag den Gästen Aperitifs und Cocktails servieren, bin hier reingewachsen.

STANDARD: Die Bar wurde in den 1940ern von Ihrem Vater gegründet. Das war sicher keine leichte Zeit.

"Als das Rauchverbot gekommen ist, haben manche Gäste richtig rebelliert", sagt Gabi Gabriel (74). Sie herrscht über die Bonbonniere – eine der ältesten Bars Wiensl. Ihr Vater hat sie gegründet.
Regine Hendrich

Gabriel: Nein, nach dem Krieg kamen die Alliierten. Da war ich noch sehr, sehr klein. Mein Vater hat meine Mutter 1945 kennengelernt, drei Jahre später bin ich gekommen, dann mein Bruder. Leider ist mein Vater 1956 an Leukämie gestorben, meine Mutter war zu dieser Zeit 36 Jahre alt, mit zwei kleinen Kindern, und hat das mit Bravour gemeistert.

STANDARD: Sie hatten nie andere Pläne, als die Bonbonniere zu übernehmen?

Gabriel: Ich war als Kind im Lycée Français und hab im Laufe der Zeit die französische Sprache vergessen. Das war meiner Mutter nicht recht, deswegen hat sie mich jedes Jahr im Sommer zu einer Französischprofessorin nach Nizza geschickt. Ich habe auch in Frankreich und in Deutschland gearbeitet. Aber wenn mich meine Mutter gebraucht hat, war ich immer zur Stelle. Es waren manchmal auch harte Zeiten. Meine Mutter war eine sehr strenge Chefin. Aber ich hab alles, was ich kann, von meiner Mutter gelernt.

STANDARD: Die Bar ist "eine alte Wiener Institution mit einem Schuss Plüsch und einem Schuss Weltuntergangsstimmung …", so hat es einmal ein Kollege formuliert. Wir sitzen zwischen Putti, Kristalllüstern und roten Tapeten, irgendwie aus der Zeit gefallen. Wollte Ihnen schon einmal jemand etwas vom Inventar abkaufen?

Gabriel: Einmal kommt ein Gast, ich war ganz alleine in der Bar. Er setzt sich an die Bar, lädt mich auf einen Drink ein und schaut dauernd diesen Barschrank an. Auf einmal schaut er mich an und sagt: Sogn S’, was kost’ die chinesische Kredenz? Hab ich gesagt: Entschuldigen Sie, das ist weder ein Museum noch ein Antiquitätengeschäft, hier sitzen Sie in einer Bar. (lacht laut)

STANDARD: Sie sitzen nicht, aber stehen hier wohl bis spät in die Nacht oder auch bis zum Morgengrauen. Es heißt oft, dass sich die Menschen vor allem in der Gastronomie nicht mehr die viele Arbeit antun wollen. Stimmt das?

Manchmal singt Gabi Gabriel begleitet von einem ihrer Musiker auch selbst. "Ein Chanson, und dann fühle ich mich sehr gut", sagt sie.
Regine Hendrich

Gabriel: Das ist richtig. Diese Art wird langsam aussterben. Die Menschen, die eigentlich ihr Lebenswerk an Arbeit und Erfolg reingesteckt haben, merken ab einem gewissen Zeitpunkt eigentlich gar nicht mehr, was sie schaffen. Sie sind so im Getriebe drinnen, dass alles selbstverständlich ist, was für andere vielleicht bewundernswert ist. Ich glaube, die Jugend tut sich das nicht mehr an.

STANDARD: Sie schon, und das seit Jahrzehnten. Die Zeiten sind wieder einmal kompliziert, viele sagen, trist. Merken Sie das am Publikum?

Gabriel: Interessanterweise sind die Gäste viel einfühlsamer und viel höflicher geworden. Früher, vor Covid, waren sie nicht so dankbar in der Gastronomie. Das beobachte ich zumindest hier bei mir. Sie sind liebenswerter und auch großzügiger geworden.

STANDARD: Und das auch jetzt – trotz der eklatanten Teuerung?

Gabriel: Meine Stammgäste schon. Die sind so dankbar und fühlen sich hier so wohl, für die ist das wie ein kleines Zuhause, wie ein verlängertes Wohnzimmer. Manches Mal, wenn sie Kummer oder Sorgen haben, dann sitzen sie einfach hier und vergessen für ein paar Stunden ihre Verpflichtungen und Engagements, die manchmal sehr aufwendig sind. Diese paar Stunden hier, in denen sie sich gut fühlen, möchten sie auch nicht missen.

STANDARD: Und geben dann auch gutes Trinkgeld?

Gabriel: Ja, schon, aber es hält sich in Grenzen. Wir haben auch junge Studenten, die bei einem Achterl Wein drei, vier Stunden sitzen, wo ich dann schon ein bisserl ungehalten werde. Oft lassen sie sich bis auf den Cent rausgeben, und oft zahlen sie ein Achterl mit der Karte. Aber es gleicht sich irgendwie aus zwischen den Gästen, die weniger konsumieren und den guten Gästen. Aber und zu ist einer dabei, der meinen Mitarbeiterinnen ein ganz gutes Trinkgeld gibt. Aber die Zeiten, dass Gäste nur so mit dem Trinkgeld um sich werfen, sind vorbei. Leider. Früher sind manches Mal die Hunderter herumgeflogen, auch zu den Musikern. Das gibt es nicht mehr.

Zahlreiche illustre Gäste haben die Bonbonniere besucht. So manches Stück des Inventars hätte Gabi Gabriel schon verkaufen können.
Regine Hendrich

STANDARD: Früher durfte man rauchen, und Trinken war weniger verpönt. Heute wollen wir ewig jung bleiben und halten uns fit. Ist da nicht eine Bar wie Ihre eine aussterbende Institution?

Gabriel: Früher wurden viel mehr Schnäpse pur getrunken. Und die Gäste waren dann oft sehr, sehr unangenehm. Das beobachte ich nur noch ganz, ganz selten.

STANDARD: Und das Rauchverbot war kein Problem?

Gabriel: Als das Rauchverbot gekommen ist, haben manche Gäste richtig rebelliert. Die wollten unbedingt rauchen, die musste ich praktisch rausschmeißen. Die haben dafür überhaupt kein Verständnis gehabt.

STANDARD: Wie schmeißt man Gäste am besten raus?

Gabriel: Wenn ich merke, dass ein Gast zu viel hat, dann wird er von mir schon gerügt, und entweder rufe ich dann ein Taxi oder schmeiß ihn mit einem höflichen, aber sehr bestimmten Ton raus.

STANDARD: Werden Sie dann so streng wie Ihre Mutter?

Gabriel: Meine Mutter war da manches Mal mit sehr harten Ausdrücken unterwegs. Nach ihrem dritten Whiskey lag ihr das Herz immer auf der Zunge. Wenn ein Gast unangenehm war, ist sie zu ihm hin und hat ihm einen Stoß mit dem Busen gegeben und hat gesagt: Putz di, drah di, putz di, drah di. (lacht schallend)

STANDARD:Und Sie?

Gabriel: Bei mir klingt so etwas nicht so gut. Ich sag: Bitte gehen Sie, Sie haben genug getrunken, guten Abend. Aber das kommt auch sehr selten vor, dass einer wirklich zu betrunken ist. Ich seh sofort, wenn Gäste in der Früh um eins, zwei kommen und zu viel haben. Die lasse ich nicht mehr rein.

Der Abschied vom Lebenswerk ihrer Eltern und ihrem eigenen wird ihr schwerfallen, das weiß Gabriel jetzt schon. Wann es so weit sein wird, hingegen nicht.
Regine Hendrich

STANDARD: Ihre Mutter scheint eine schillernde Person gewesen zu sein.

Gabriel: Ja, wie die Zirkusprinzessin ist sie immer hier aufgetreten und mit Herz und Seele. Sie hat auch wunderschön gesungen, wunderschön – wenn sie in Stimmung war. Ich hab überhaupt nicht singen können. Einmal sitzt sie an der Bar, ich stehe hinter der Bar, und es sind nur wenige Gäste da, der Pianist hat wunderschön gespielt, auf einmal sagt meine Mutter: Gabi, sing. Du singst so falsch, dass es schon wieder gut klingt. Als meine Mutter viele Jahre später gestorben ist, sind sehr viele Stammgäste ausgeblieben aus Trauer. Ich habe damals drei Jahre wirklich einen langen Atem gebraucht und tatsächlich überlegt, ob ich nicht die Bar zusperre. Aber ich habe es dann doch geschafft.

STANDARD: Sie gelten auch als sehr trinkfeste Barchefin. Was muss man vertragen?

Gabriel: Ich muss gestehen, ich bin eine Gesellschaftstrinkerin. Ich trinke zu Hause keinen Schluck, nichts. Vielleicht manchmal ein kleines Bier. Aber auch nur zum Essen. Ich trinke sehr gerne, wenn ich eingeladen werde, einen Whiskey, aber der ist mit viel Soda und Eis verdünnt. Und ich bemühe mich, dass das nicht zu viel wird, weil meine Leber ist mir heilig.

STANDARD: Während Covid mussten Sie ganz zusperren, wie alle anderen auch. Ans Aufgeben haben Sie nicht noch einmal gedacht?

Gabriel: Acht Monate, das war furchtbar. Ich hatte furchtbaren Stress mit Anwalt und Steuerberatung, damit alles irgendwie unter Dach und Fach bleibt. Ich hab Gott sei Dank Unterstützungen bekommen, aber es war schwierig und kompliziert. Aber aufgeben? Nein, meine Mutter hat mich so erzogen: Aufgeben im Leben tut man nur einen Brief. Das war halt früher doch eine andere Zeit. (Regina Bruckner, 17.12.2022)