Wo ein Weihnachtsbaum steht, ist Musik nie weit. Weihnachten ist für die Musikindustrie ein traditionell günstiger Marktplatz.

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Serienmord und aus dem Herzen kommende Gewalt, in beiden Themenbereichen trieb sich Chris Isaak in seiner Karriere schon um. Als Schauspieler im Klassiker Das Schweigen der Lämmer, als Sänger in David Lynchs besessener Liebesgeschichte Wild at Heart, in dem er zuckersüß das Lied vom Wicked Game sang.

Von dort mag es ein weiter Weg zum Christkind sein, aber selbst einer wie Chris Isaak kommt irgendwann beim Weihnachtsbaum an. Der Sänger, der mit einem ernsthaften Elvis-Revival in den 1980ern Weltkarriere gemacht hat, zu einer Zeit, in der der King nicht allzu hoch angeschrieben war, produzierte 2004 ein erstes Weihnachtsalbum. Heuer jinglebellt er erneut. Eben hat er Everybody Knows It’s Christmas veröffentlicht: Es ro-ho-ho-ho-ckt, wie Santa sagen würde.

Chris Isaak heult den Weihnachtsbaum an, so schön.
Foto: MACFLY CORP; Sun Records

Erschienen ist es bei Sun Records, dem alten Elvis-Label. Isaak croont, schmachtet und rockt durch rollende und rollige Weihnachtslieder, Hüftschwung inklusive: Chris, the Pelvis. Ein schönes Album, wenn man das Fach mag. Die Songs heißen Jingle Bell Rock, Dogs Love Christmas Too oder Holiday Blues, sie sind also nicht frei von weltlichen Sujets.

Dicke Dinger ...

Es ist nur eine von vielen Veröffentlichungen, die die stille Zeit des Jahres zum jährlichen Konsumrausch entstellen. Das liegt nicht an der Musik, es ist der Markt drumherum. Die Musikindustrie veröffentlicht für das Weihnachtsgeschäft traditionell dicke Dinger aus ihrem Katalog. Und zwar physisch, nicht als Datenstrom. Traum und Albtraum für die Fans zugleich.

Es ist eine Strategie, die sich mittlerweile schon im Frühherbst ankündigt. Kaum hängt die Badehose am Saisonende zum Trocknen, tauchen in den Supermärkten die ersten Nikoläuse auf – und mit ihnen Neuauflagen.

Weihnachten ist ein verlässlicher Markt. Wenn sich der Musikindustrie ein Jubiläum anbietet oder man eines hinbiegen kann, wird es tunlichst zu der Zeit gemacht. Aktuell steht etwa die Superduper-Deluxe-Box Use Your Illusion I & II von Guns N’ Roses als Ziegel für die Zielgruppe im Laden.

... für locker sitzendes Geld

Bis zu knapp tausend Euro kann man dafür ablegen, je nach gewünschtem Format. Die beständige Neuverwertung des Beatles-Katalogs legt das Album Revolver als Bescherung nahe. Die Neusichtung des Materials des 1966 erschienenen Werkes erstreckt sich über mehrere LPs oder CDs. Auch dabei kokettiert die Preisgestaltung deutlich mit dem locker sitzenden Weihnachtsgeld, bietet für fast jedes Einkommen die dazu passende Version.

Neben derlei Gelddruckmaschinen gibt es die tatsächlich den Weihnachtsliedmarkt bedienenden Veröffentlichungen. Da vermischen sich Neuerscheinungen mit Evergreens zu einem fast unübersichtlichen Gabentisch. Cyndi Laupers Merry Christmas wurde neu aufgelegt, Cee Lo Greens Cee Lo’s Magic Moment ebenso, Klassiker wie A Christmas Gift for You from Philles Records gibt es schon in 110 Versionen, aktuell steht eine Picture-Disc davon in den Läden.

Von Norah bis Satchmo

Norah Jones hat ihr erst letztes Jahr erschienenes I Dream of Christmas zum runden einjährigen Jubiläum sicherheitshalber als Deluxe-Version mit zusätzlichen Songs erneut veröffentlicht; und auch Louis Armstrong, der mit What a Wonderful World und mit Ella Fitzgerald Weihnachtsklassiker geschaffen hat, ist 51 Jahre nach seinem Tod bestens im Weihnachtsgeschäft: aktuell mit der Kompilation Louis Wishes You a Cool Yule.

Wie treu das Weihnachtspublikum ist, offenbart sich in der Wiederkehr des Immergleichen: Last Christmas von Wham! muss nicht jedes Jahr erneut besprochen werden, aber natürlich läuft es in den Einkaufshäusern und den Formatradios der Welt in nicht nur den Teig mürbemachender Penetranz.

Traditionell Nummer eins

Drüben in den USA ist derweil wieder Mariah Carey auf Platz eins der Billboard-Charts: All I Want for Christmas Is You aus ihrem 1994 erschienenen Album Merry Christmas ist ein saisonaler Dauerbrenner.

Mariah Carey im jährlich wiederkehrenden Weihnachtsrausch: Zurzeit die Nummer eins in den US-Billboard-Charts.
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Das musste sogar Superstar Taylor Swift zur Kenntnis nehmen, deren Song Anti-Hero nach sechs Wochen an der Spitze vom Weihnachtsbedürfnis des Publikums verdrängt wurde, das sich wertkonservativ einstimmt. Selbst das Lied offenbart, wie traditionell das Fach ist.

Schließlich orientiert sich der bald 30 Jahre alte Song Careys deutlich an Phil Spectors Weihnachtspop, der um noch 30 Jahre älter ist. Die stillste Zeit des Jahres? Das Gegenteil ist der Fall.

Chris Isaak, um zum Anfang zurückzukehren, ist in dieser Kakofonie aus Kirchenglocken und Münzscheppern eine Wohltat. Seine Weihnachtslieder wirken nachgerade familiär. Zwar spielt er streng genommen die Musik des Teufels – Huch! –, aber das mit großer Zärtlichkeit. Karl Fluch, 17.12.2022)