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Nach dem Gießkannenprinzip verteilte Staatshilfen sollen da ankommen, wo sie gebraucht werden. Daten könnten dabei helfen.
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Die Gießkanne hat gerade keinen guten Ruf. Statt als Instrument, das eigentlich Gärten zum Erblühen bringt, gilt sie seit einiger Zeit als Symbol für eine ziellose Verteilung von staatlichen Geldern. Aktuell etwa im Zusammenhang mit der Strompreisbremse: Immer wieder wurde gefordert, dass es mehr Daten zur präziseren Adressierung von jenen Konsumentinnen und Konsumenten brauche, die von der Strompreisbremse profitieren sollen.

Auch in der Corona-Pandemie vermissten Politik und Gesundheitsbehörden schmerzlich einen guten behördlichen Datenaustausch. Teils unkonventionelle Lösungen waren die Folge – etwa dass die Wirtschaftskammer den Härtefallfonds organisierte. Deutlich wurde auch Peter Lehner, Vorsitzender der Konferenz der österreichischen Sozialversicherungsträger, in der Pandemie. Er forderte den Zugang zum Epidemiologischen Meldesystem, das über detaillierte Informationen zu Corona-Erkrankungen in Österreich verfügt. Dabei ist die Verwendung dieser Daten nur der Gesundheitsagentur Ages gestattet. Lehner bezeichnete den Hinweis auf Datenschutz damals sinngemäß als Ausrede, um politische Interessen zu kaschieren.

Keine leichte Entscheidung

Was ist hier los? Und warum teilen im staatlichen und staatsnahen Bereich nicht einfach alle ihre Daten miteinander? Dass das nicht ganz so einfach ist, zeigte sich 2019. Damals wurde bekannt, dass die österreichische Post die Ergebnisse von Umfragen mit anderen Daten verknüpft hatte, um die politischen Präferenzen von Postempfängern zu ermitteln. Das Ziel: Parteiwerbung gezielter adressieren zu können. Gerade die politische Gesinnung ist aber eine besonders sensible Information, die etwa in autoritären Regimen zur Unterdrückung von Andersdenkenden benutzt wird. Im Zusammenhang mit der Strompreisbremse warnte Thomas Lohninger von der NGO Epicenter Works zudem davor, Daten einfach so mit Stromanbietern zu teilen, da es sich um privatwirtschaftliche Unternehmen handle.

Dennoch könnte man meinen, dass eine genauere Kenntnis von Bezieherinnen und Beziehern nützlich wäre, um staatliche Hilfsgelder nur an jene auszuzahlen, die sie wirklich brauchen. Ein aktuelles Beispiel hierfür bietet der Klima- und Antiteuerungsbonus. Um die Höhe der Auszahlung korrekt zu berechnen, braucht das zuständige Klimaschutzministerium persönliche Daten unterschiedlichster Institutionen.

In Österreich handelt es sich dabei um einen Präzedenzfall. Behörden werden zum ersten Mal gezwungen, ihre einst abgeschotteten Datenschätze miteinander zu teilen. Einerseits birgt das große Chancen für die Handhabung zukünftiger Krisen, andererseits birgt die Anhäufung sensibler Daten aber Risiken für den Datenschutz. Im Fall der Wissenschaft und Forschung soll diesen Bedenken mit der Pseudonymisierung entgegengewirkt werden. So könnten Daten keiner Person zugeordnet werden und wären gegen Missbrauch gesichert, sagt etwa Lehner im Fall der Sozialversicherungen.

Exklusive Kundschaft

An dieser Sichtweise gibt es Kritik. Pseudonymisierte Daten, bei denen der Name einzelner Personen unkenntlich gemacht wurde, können unter Umständen leicht entschlüsselt werden, wie eine Studie im Fachjournal Nature an einem Beispiel aus den USA zeigt. Bereits 15 demografische Attribute in einem anonymisierten Datensatz erlaubten es, über 99 Prozent der US-Bevölkerung eindeutig zu identifizieren. Das Ergebnis schließt an eine Reihe anderer Studien an, in denen Menschen anhand von Taxirouten in New York oder Mobilfunkdaten in Riga in anonymisierten Datensätzen identifiziert werden konnten.

Die Statistik Austria hat eine Lösung für dieses Problem entwickelt. Im Sommer wurde das Mikrodatenzentrum AMDC aus der Taufe gehoben, das sensible Daten aus dem öffentlichen Bereich der Wissenschaft zur Verfügung stellt. Nur akkreditierte Forschungsinstitute und Universitäten erhalten Zugang. Diese könnten dann einzelne Anträge stellen, sagt Tobias Thomas, Generaldirektor der Statistik Austria. Wer dafür infrage kommt, sei gesetzlich geregelt. Ein Missbrauch für wirtschaftliche Zwecke soll durch technische Maßnahmen verhindert werden.

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Für die Berechnung des Klima- und Antiteuerungsbonus sind Daten wichtig.
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Hat also die Statistik Austria Zugang zu privaten Informationen? Der Leiter des neuen AMDC, Tobias Göllner, verneint: Man verfüge nur über spezifische, bereits anonymisierte Personenkennzeichen. Darüber hinaus müssten alle Auswertungsprogramme auf den Rechnern der Statistik Austria laufen und auch die Forschungsergebnisse selbst vor der Herausgabe auf ihre Unbedenklichkeit überprüft werden. Dennoch gibt es Kritik von Datenschutzexperten, nicht nur Universitäten, sondern auch wirtschaftsnahe Institutionen hätten Zugang zu den Daten. Tatsächlich zeigt ein Blick auf die Liste der bis jetzt akkreditierten Einrichtungen, dass auch Thinktanks wie die Agenda Austria Zugang bekommen sollen. Ein Abgreifen der Daten über das genehmigte Maß hinaus sei jedoch illegal.

Auch die EU will die Verwendung von Daten fördern und regulieren, zum Beispiel mit dem Data Governance Act. Dieser dreht sich um die Forschung, für die ein Rechtsrahmen für die Weiterverwendung von Verwaltungsdaten geschaffen werden soll. Die Mitgliedsstaaten sollen demnach eine öffentliche Stelle einrichten, um "Anfragen von Forschenden entgegenzunehmen", erklärt Daniela Zimmer, Verbraucherschutzexpertin bei der Arbeiterkammer, im STANDARD-Gespräch.

Durch das Netz gerutscht

Diese für die Wissenschaft geschaffenen Lösungen werden in der Politik vorerst aber nicht eingesetzt. Klimaschutz- und Finanzministerium lassen zwar wissen, dass man an einer Verbesserung der Datenqualität arbeite. Ziel sei aber, jene Menschen zu erreichen, die noch keine Kontodaten hinterlegt haben. Zur Erinnerung: Nicht alle, denen der Klimabonus zustehen würde, haben diesen auch erhalten. Eine weitere Fokussierung auf Zielgruppen, zum Beispiel eine Staffelung anhand des Einkommens, ist nicht geplant – trotz der anhaltenden Kritik, dass wohlhabende Menschen einen Antiteuerungsbonus viel weniger bräuchten als Arbeitslose.

Doch wäre eine solche Fokussierung überhaupt zielführend? Nicht unbedingt, sagt Ben Wagner. Im Rahmen seiner Forschungstätigkeit als Associate Professor an der TU Delft hat er sich mit genau dieser Frage beschäftigt. Der Versuch, den Klimabonus gerechter zu gestalten, könnte die entgegengesetzte Wirkung haben, argumentiert Wagner. Eine anhand des Sozialstatus gestaffelte Auszahlung setze eine gesetzliche Definition dessen voraus, was überhaupt als gerecht gelte. Dabei würden gezwungenermaßen auch solche Menschen durchrutschen, die entsprechende Hilfen eigentlich benötigen würden – während derzeit alle den festgelegten Betrag erhalten.

Deutsches Modell als Vorbild

Eine mögliche Alternative zum österreichischen Modell bietet Deutschland. Auch dort gab es einen einmaligen Energiekostenzuschuss. Arbeitnehmerinnen und Rentner erhielten 300 Euro, Studierende und Auszubildende 200 Euro. Spannend ist das Konzept des Nachbarstaates deshalb, weil das Geld im Fall der Erstgenannten versteuert werden musste. Um möglichst wenig Aufwand zu verursachen, wurde die Auszahlung über Arbeitgeber und Pensionskassen abgewickelt, was zugleich die Staffelung anhand sozialer Parameter ermöglichte: je höher das Einkommen, desto niedriger der ausbezahlte Bonus.

Eine zentralisierte Zusammenführung sensibler Personendaten, die eine möglicherweise problematische staatliche Superdatenbank ergeben würde, hat es dafür nicht gebraucht. Stattdessen nutzten die deutschen Behörden bereits bestehende Strukturen, um ein möglichst faires System zu entwickeln. Damit bei diesem möglichst niemand zu kurz kommt, gab es Einmalzahlungen an Sozialhilfe- und Arbeitslosengeld-Empfänger. Die 200-Euro-Pauschale für Menschen in Ausbildung waren zudem steuerfrei. Eine solche Herangehensweise wäre auch in Österreich umsetzbar.

Ein Austausch von Daten staatlicher Stellen ist also insbesondere zum Zweck der Wissenschaft und Forschung sinnvoll. Wie aufwendig die Absicherung gegen Missbrauch technisch ist, zeigt das AMDC.

Im Kern scheint es beim Problem der mit der Gießkanne verteilten Staatshilfen aber ohnehin nicht rein um mangelnden Zugang zu Daten zu gehen. Das Beispiel aus Deutschland zeigt, es gibt alternative Lösungen, um genau jene Menschen zu erreichen, die auf den Staat angewiesen wären. Und das bei gleichzeitiger Sensibilität gegenüber dem Datenschutz. (Reinhard Kleindl, Mickey Manakas, 17.12.2022)