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Vor allem Personen im Vetrieb, aber natürlich auch Entwicklerinnen und Entwickler werden für Start-ups benötigt.
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Junge Unternehmen gelten oft als Hoffnungsträger: Mit Technologien dämpfen sie die Folgen des Klimawandels ab oder erfinden effiziente Lernkonzepte für Kinder. Auch einige österreichische Start-ups, wie Go Student oder Bitpanda, sind bereits "Unicorns", also Firmen, die mit einer Milliarde US-Dollar bewertet werden. Die letzten Jahre mit Corona, Inflation und Krieg gingen aber auch an ihnen nicht spurlos vorbei.

Kürzlich veröffentlichte die Investorengesellschaft Atomico seinen Start-up-Report für Europa, eine der bekanntesten jährlichen Start-up-Studien. Die Ergebnisse sind – wie in Krisenzeiten erwartbar – ernüchternd. Seit Anfang 2022 verloren europäische Technologieunternehmen sowohl auf dem öffentlichen als auch dem privaten Markt rund 400 Milliarden US-Dollar an Wert, berechnet Atomico. Demnach sank der Wert des gesamten europäischen Tech-Ökosystems von seinem Höchststand von 3,1 Billionen Dollar Ende 2021 auf 2,7 Billionen Dollar.

Dynamische Zeit für Tech-Personal

Das Jahr hat vor allem für Angestellte in der Technologiebranche schwierige Entscheidungen mit sich gebracht. Eine besondere große Auswirkung ist die Kündigungswelle. In 2022 verloren bisher mehr als 14.000 Tech-Mitarbeiter europäischer Unternehmen ihren Arbeitsplatz, sieben Prozent aller Jobverluste von Tech-Mitarbeitern weltweit. Ernüchternd bleibt auch die Genderparität in der Szene. 87 Prozent des Risikokapitals in Europa geht nach wie vor an rein männliche Gründerteams, während der Anteil von Frauenteams eingesammelten Geldern seit 2018 von drei auf ein Prozent gesunken ist.

Maria Baumgartner und Lukas Rippitsch leiten Speedinvest Heroes.
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Maria Baumgartner und Lukas Rippitsch sehen das "Down" der Start-up-Szene nur als vorübergehende Flaute. Sie sind Geschäftsführer des HR-Tech-Unternehmens Speedinvest Heroes und entwickelten vor zwei Jahren eine künstliche Intelligenz, die passende Talente für Start-ups sucht. Zwar seien die Technologievermögenswerte der Start-ups in Europa gefallen, trotzdem gehe die Kurve insgesamt nach oben. Vor allem sei beim Anstellen der Fachkräfte noch genug Luft nach oben. Denn diese bestimmen wesentlich den Erfolg einer Firma. Im Interview mit dem STANDARD sprechen die beiden über Personalmangel, das holprige Jahr 2022 und wie es mit jungen Unternehmen weitergeht.

STANDARD: Was hat der Absturz der Tech-Unternehmen in den USA mit den österreichischen Start-ups zu tun?

Rippitsch: Als Absturz bezeichne ich das nicht. Nachholeffekte, inflationsbedingte Effekte, der Kryptoeinbruch letztes Jahr beeinflusste einen Abwärtstrend. Da viele Gründer durch Diversifizierung des Portfolios auch Krypto-Assets halten, haben sie natürlich Geld verloren. Hauptsächlich wurden aber einfach Investitionstätigkeiten eingeschränkt.

Baumgartner: Dadurch müssen die Start-ups sparen. Ihre Investoren sagen, sie müssen den Runway verlängern, das heißt, 20 Prozent der Belegschaft muss gehen, denn an sie geht das meiste Geld. Andererseits geht neues Geld auch wieder direkt in neue Angestellte.

STANDARD: Entwickelt sich eine Krise im Arbeitsmarkt der Start-ups?

Rippitsch: Nein. Der Talentmarkt ist von der Krise nicht betroffen. Natürlich gibt es Kündigungswellen bei Tech-Firmen, aber die Personen finden schnell einen neuen Job. Ein bekanntes Start-up hat gerade 400 Mitarbeiter entlassen, die haben keine Woche gebraucht, um eine neue Stelle zu finden. Wir sind fernab von einer Krise im Arbeitsmarkt bei Start-ups, es gibt genug offene Stellen.

Baumgartner: Wir haben viel mehr offene Stellen als Arbeitssuchende in unserer Branche. Da gibt es große Chancen. Zum ersten Mal wird gleich viel Geld in frühphasige Start-ups in Europa investiert wie in Amerika.

STANDARD: Mit welchen Mitarbeitenden wird ein junges Unternehmen denn erfolgreich?

Rippitsch: Jemand mit einem flexiblen Denkstil passt gut. Sie verarbeiten viele Informationen schnell. Strukturierte Denker hingegen brauchen Zusammenhänge.

Baumgartner: Es braucht einen Mix aus beiden. Und die Sturheit ist wichtig. Wer sich nur regelkonform bewegt, wird nicht erfolgreich.

STANDARD: Wer wird dringend gebraucht?

Baumgartner: Die schwierigste zu besetzende Stelle ist Sales. In Europa sehen sich mehr Menschen als Produktexperten, nicht als Vertriebler.

STANDARD: Frauen gründen immer noch deutlich weniger als Männer. Tut sich da nichts?

Baumgartner: Die Zahlen sind tragisch. Noch immer bekommen reine Männerteams 80 Prozent aller Gelder. Wir wollen in Österreich alles tun, damit sich das bessert, etwa mit Female Factors und Female Founders.

Rippitsch: Jedem Team, welches wir betreuen, sagen wir, dass sie divers sein müssen. Drei Männer brauchen etwa mindestens eine Frau. Gemischte Teams sollten dann auf 90 Prozent steigen. Deshalb gehen wir auch frühphasig zu Unternehmen und sagen ihnen, was sie für den Erfolg brauchen.

STANDARD: Mit welchen Hürden kämpfen Gründer hierzulande noch im Personalaufbau?

Rippitsch: Bei frühen Start-ups ist die Belegschaft meist zu 70 Prozent nicht aus Österreich. Wir rekrutieren aus ganz Europa. Das ist schwierig für heimische Start-ups, die Gesetze sind auf lokale Beschäftigung ausgelegt. Wenn Mitarbeiter laufend wechseln, aus Deutschland oder Portugal, während man jemandem aus Serbien ein Visum beantragen muss, ist es ein großer Aufwand, einen Betrieb mit 50 Leuten am Laufenden zu halten.

Baumgartner: Das muss sich ändern. Da muss die EU nachziehen. Start-ups müssen leichter anstellen können. Es gibt Personen, die dürfen lange nicht arbeiten, denn das AMS benötigt erst ihren Stempel. Damit können sich nur reichere Personen die Mobilität leisten. Es gibt viel Raum für Änderungen. Man könnte nur die Start-ups anmelden, und wenn die geprüft sind, braucht nicht jeder neue Mitarbeiter einen Stempel. (Melanie Raidl, 22.12.2022)