DER STANDARD hat im Jahr 2022 zahlreiche Games-Neuerscheinungen getestet und über aktuelle Entwicklungen aus der Szene berichtet – doch womit vertreiben wir uns eigentlich die Zeit, wenn gerade einmal kein neuer Test ansteht? Hier gehen die Geschmäcker stark auseinander, die Bandbreite reicht von Neuerscheinungen des Jahres 2022 bis zu Klassikern in neuem Gewand, von grafisch beeindruckenden Rollenspielen über Shooter bis hin zu Handygames. An dieser Stelle beschreiben Mitglieder der Redaktion, was nach Dienstschluss über ihre Bildschirme flackert.

"Elden Ring"

Wie kein anderes Erlebnis weckt "Elden Ring" den Entdecker im Spieler.
Foto: From Software/Bandai Namco

Ein Spiel epischen Ausmaßes ist bereits Ende Februar erschienen – und doch wird es vielen mit Leichtigkeit als Spiel des Jahres in Erinnerung bleiben. Die Abenteuer in "The Lands Between" – auf Deutsch lieblos mit "Zwischenland" übersetzt – warten mit einer Unmenge an schaurig-pittoresken Landstrichen, fantastischen Begegnungen und nicht zuletzt spannenden Bosskämpfen auf. Selbst nach dutzenden Spielstunden wird "Elden Ring" nicht müde, Spielerinnen und Spieler mit neuen Erlebnissen und Herausforderungen zu bewerfen.

Die Errungenschaften des Spiels sind Entwickler From Software hoch anzurechnen. Das "Soulslike"-Spielprinzip, das aufgrund zahlreicher Nachahmer ein eigenes Genre begründet hat, wurde erstmals vom Erfinder selbst auf eine komplett offen erkundbare Spielwelt umgelegt. "Elden Ring" ist dabei vor allem gelungen, was viele Open-World-Vertreter zuletzt schmerzlich vermissen ließen: Es gibt Spielern bis zum Schluss das unverwechselbare Gefühl, auf eigene Faust etwas Geheimnisvolles und Unerforschtes zu erkunden. Wie ins kalte Wasser geworfen zu werden, ist es herrlich erfrischend, keinen empfohlenen Weg vorgekaut zu bekommen.

Es gibt keine leuchtenden Punkte, blinkenden Pfeile oder überfrachteten Landkarten, die regelmäßig auf die nächsten fünfzehn Möglichkeiten hinweisen, wie man seine Odyssee mit einem geheimnislosen Geheimnis schmücken könnte. Die Highlights kommen von selbst, etwa wenn man nachts zum ersten Mal einem dunklen Reiter begegnet. Groß ist der Aha-Effekt, wenn man überreißt, dass es sogar eine Unterwelt in "Elden Ring" zu erkunden gibt. Oder die Freude, wenn vermeintlich übermächtige und unbesiegbare Feinde mit einer neu entdeckten oder verbesserten Waffe endlich erlegt werden können. So muss sich Abenteuer anfühlen, ganz großes Kino. (Benjamin Brandtner)

"The Witcher 3" (Nextgen-Update)

"The Witcher 3" erstrahlt in neuer Aufmachung. Aber auch sonst zahlt sich ein Besuch (wieder) aus.
Foto: CDPR/Screenshot/bbr

So hat man die verwinkelten Gassen Novigrads noch nicht gesehen. Oder die stürmische See von Skellige. Oder den Sonnenuntergang auf den Weinbergen von Toussaint. Man weiß gar nicht, wohin man zuerst reisen soll: "The Witcher 3" hat ein kostenloses Grafik-Update bekommen und erstrahlt für Playstation 5, Xbox Series X/S und vor allem für den PC in neuem Glanz. Mehr als sieben Jahre nach dem Release ist das ein wunderbarer Grund für ein Wiedersehen mit alten Freunden.

Aber nicht nur die verbesserte Grafik lädt dank Update dazu ein, "The Witcher 3" in neuem Anstrich zu genießen. Über die visuelle Aufwertung hinaus gibt es eine neue Quest, neue Skins, aber vor allem zahlreiche "Quality of Life"-Verbesserungen, mit denen das Rollenspiel aufwartet: Reduzierter Fallschaden oder die Möglichkeit, Zauber im Kampf schneller wirken lassen zu können, wird auch Veteranen zu gefallen wissen. Ein Kartenfilter sorgt dafür, nicht mehr länger von ungewollten Symbolen auf der Landkarte genervt zu werden. Auch eine Kameraführung, die den Spieler näher an das Geschehen um Geralt heranrückt, lädt zum Spielen aus "neuer" Perspektive ein.

Und wer das Spiel über die Jahre schon in- und auswendig gelernt hat, kann mit einem Fotomodus auf Safari gehen. Hat man die legendären Abenteuer Geralts noch gar nicht erlebt, ist jetzt ohnedies die beste Gelegenheit, diesen Meilenstein unter den Action-RPGs nachzuholen. (Benjamin Brandtner)

"Mass Effect: Legendary Edition"

"Mass Effect: Legendary Edition" wird dem Namen gerecht.
Foto: Bioware

Wir bleiben bei den Rollenspielklassikern, begeben uns nun aber in eine ferne Zukunft: Die ersten drei "Mass Effect"-Spiele haben bereits vergangenes Jahr mit der "Legendary Edition" ein Update bekommen – aufgrund des gewaltigen Umfangs aus drei großen Spielen und etlichen Zusatzinhalten ziehen sich die rund 200 Stunden Gesamtspielzeit aber auch noch in dieses und ins kommende Jahr – vor allem wenn man sich vornimmt, neben den eigentlichen Heldentaten auch über stundenlange Dialoge die einzelnen Mitglieder der Crew besser kennenzulernen.

Denn zwar mögen die "Mass Effect"-Spiele auch nach dem grafischen Update optisch nicht mehr mit aktuellen Titeln mithalten können – das ändert aber nichts daran, dass kaum ein anderes Sci-Fi-Franchise so viel Tiefgang in puncto Charaktere, Setting und Story beweist wie die ursprüngliche Trilogie rund um die mysteriösen Maschinen, die das Leben in der Galaxis auslöschen wollen, während die einzelnen Völker um die Vorherrschaft streiten. In dieser Welt aus Mystik und Intrigen die eigene Spielfigur von Spiel zu Spiel mitzunehmen, sich zig Stunden mit den schrulligen Figuren und den Streitereien im Team auseinanderzusetzen, schwierige Entscheidungen zu treffen und über so manchen Insider-Witz zu lachen – das sind die Gründe, weshalb ich zwischen kürzeren Games-Tests auch 2022 immer wieder auf die Kommandobrücke der Normandy zurückgekehrt bin. (Stefan Mey)

"Gloomhaven"

Fast besser als das Brettspiel: "Gloomhaven".
Foto: Flaming Fowl Studios

Auch die digitale Umsetzung des Brettspiels "Gloomhaven" ist eigentlich ein Relikt aus dem Vorjahr – aber manchmal ist halt nicht der Releasetermin entscheidend, sondern die Frage, wann ein Game gratis im Epic-Store verschleudert wird. Das ist hier der Fall. "Gloomhaven" lässt die Herzen jener Menschen höherschlagen, die gerne kooperative Fantasy-Brettspiele mit viel Tiefgang spielen, aber nicht mehr die Zeit haben, sich regelmäßig bei einem Freund zu treffen, um dort stundenlang Anleitungen zu lesen und Spielpläne aufzubauen.

So trifft man die Freunde halt im virtuellen Raum, stopft am eigenen Schreibtisch Chips und Cola in sich hinein und kämpft gemeinsam in rundenbasierten Kämpfen gegen allerlei Ungeheuer. Ein netter, unaufgeregter abendlicher Zeitvertreib, dessen Story immer wieder zum Weiterspielen einlädt. Und dessen düstere Atmosphäre auch gut zur kalten Winterzeit passt. (Stefan Mey)

"Marvel Snap"

"Marvel Snap": auch nach 100 Stunden keine Ermüdungserscheinungen.
Foto: IDC Games

Mit "Marvel Snap" erschien Ende des Jahres ein absoluter Topknaller. Nach geschätzten 100 Stunden im Spiel sind keinerlei Ermüdungserscheinungen zu spüren. Das simple Kartenspiel – ehemalige "Hearthstone"-Entwickler waren hier am Werk – ist schnell erlernt, ermöglicht mit neuen Karten aber immer variablere Strategien.

Hinzu kommt eine unglaubliche optische Präsentation – etwa wenn der Sandman seinen Sand auf beide Spieler wirft, weil er damit verhindert, dass mehrere Karten in einer Runde gespielt werden, oder auch Storm, die den ganzen Bildschirm kurz in ein Donnerwetter verwandelt, um damit das anvisierte Areal für andere Karten abzuschirmen.

Tatsächlich ist das Spiel kostenlos, bietet aber natürlich zahlreiche Möglichkeiten, Geld einzuwerfen. Mit dem rund zwölf Euro teuren Monatspass schaltet man schneller neue Karten und Verstärkungen frei, immer wieder werden zudem alternative Heldendesigns angeboten, etwa im Pixellook. Sammler können hier wirklich viel Geld lassen, alle anderen müssen das aber nicht tun, um "Marvel Snap" als perfekten Snack für zwischendurch genießen zu können. (Alexander Amon)

"Cozy Grove"

Die hier ansässige Bärin ist offensichtlich ein Fan von Sonnenblumen. Vielleicht trösten sie sie über eine schwierige Familienbeziehung hinweg.
Bild: Screenshot, The Quantum Astrophysicists Guild, Spry Fox

Abseits aufregender und stressiger Spiele ist dieses schon 2021 erschienene Life-Sim-Game eines, bei dem Spielerinnen und Spieler sich wahrlich zurücklehnen können. Gestrandet auf einer Insel versucht man in Pfadfinder-Manier, seiner Gemeinschaft zu helfen. Bei dieser speziellen Gemeinschaft handelt es sich um anthropomorphe Geisterbären – was hätte man auch anderes erwartet vom US-Entwicklerstudio Spry Fox, das ansonsten Spiele wie "Alphabear" und "Bushido Bear" hervorgebracht hat.

Auch bei "Cozy Grove" ist die Optik bestechend niedlich. Die Geschichte hat aber einen durchaus düsteren Twist: Die Bären (und andere Tiere) können oder wollen sich nicht mehr daran erinnern, auf welche Weise sie verstorben sind. Durch regelmäßige Erledigungen werden die schrulligen Charaktere an die Hand genommen und dabei unterstützt, sich auch den Schattenseiten ihres vergangenen Lebens zu stellen.

Die tägliche Spielzeit ist eingeschränkt: Nach ein paar Aufgaben, die die Story vorantreiben, kann man bestenfalls fischen und Insekten fangen (Animal Crossing lässt grüßen). Doch das fantasievolle Design, das auch in humoristischen bis zeitgeistigen Artbezeichnungen wie "fleischpositiver Käfer" und "Arbeiterklasse-Made" deutlich wird, und nicht zuletzt der Soundtrack, der sich wie eine melancholische Kuscheldecke um einen legt, sorgen dafür, dass man gerne regelmäßig zurückkommt. Es gibt schließlich immer wieder neue kauzige Bären kennenzulernen. (Julia Sica)

"Vampire Survivors"

"Vampire Survivors": der heimliche Kandidat für das Spiel des Jahres.
Foto: poncle/Screenshot/pez

"Vampire Survivors" ist auf den ersten Blick nicht gerade schön anzusehen, es gibt nicht einmal einen gescheiten Vollbildmodus – doch wie sehr kann ein erster Eindruck täuschen! Das Spielprinzip und die minimalistische Steuerung machen den Einstieg zuerst einfach: Per WASD-Tasten kontrolliert man die Spielfigur, die in regelmäßigen Abständen mit ihrer Peitsche zuschlägt. Trifft man einen Gegner wie eine Fledermaus, lässt die einen kleinen Kristall fallen, der mehr Erfahrungspunkt gibt. Ziel ist es, 30 Minuten zu überleben.

Doch hat man nach vielen gescheiterten Versuchen zum ersten Mal ein Level überstanden, offenbart sich ein ganz anderes Phänomen, denn man hat das Spiel nicht durchgespielt, sondern es geht jetzt erst richtig los. Neue Waffen wollen freigeschaltet, und mehr Artefakte können gefunden werden. Man kann weitere Charaktere befreien und am Ende sogar den Tod selbst besiegen. Nach 50 Stunden im Spiel hat man noch längst nicht alles gesehen. "Vampire Survivors" entfaltet seine innere Schönheit nach und nach – und ist dadurch zu Recht eines der meistgespielten Spiele auf Steam. (Peter Zellinger)

"Hunt: Showdown"

"Hunt: Showdown" beeindruckt immer noch durch seine Spielwelt und ein nervenzerreißendes Spielprinzip.
Foto: Crytek

Der Extraction-Shooter aus dem Hause Crytek ist nach fünf Jahren noch immer der beste Vertreter seines Genres. Das liegt einerseits an der großartigen Stimmung: Das Bayou der südöstlichen USA kann man mit seinen stehenden Gewässern und den Fliegenschwärmen förmlich riechen, während man als Cowboy durch die verfallenen Orte schleicht. Die Jagd auf die Bossgegner und ihre Trophäen ist aber nur das halbe Vergnügen. Der asymmetrische Kampf gegen andere Spieler gehört zum spannendsten und schweißtreibendsten, was das Medium Games gerade hergibt.

Das liegt am zweiten Punkt, in dem "Hunt: Showdown" richtig brilliert: dem Gunplay. Durch das Wildwest-Setting geht man mit klassischen Repetiergewehren und Single-Action-Revolvern aufeinander los. Das bedeutet: Jeder Schuss muss wohlüberlegt sein und sollte sitzen. Dieses reduzierte Gunplay belohnt leises und methodisches Vorgehen gegenüber Haudraufaktionen Stetson tragender Freizeitrambos. Dazu kommt ein Sounddesign, das als eigenes Spielelement durchgeht, weil man Gegner meist hört, bevor man sie im dichten Buschwerk sehen kann. "Hunt: Showdown" war auch im Jahr 2022 noch ein Meisterwerk. (Peter Zellinger)

"Darktide"

"Darktide" sieht wunderschön aus und bietet in seinen besten Momenten Atmosphäre zum Schneiden.
Foto: Fatshark/Screenshot/pez

"Für den Imperator", brüllt der wahnsinnige Priester, bevor er in die Masse aus Gegnern stürmt und mit seinem Thunderhammer zuschlägt. Noch nie hat ein First-Person-Spiel die dystopische Stimmung von "Warhammer 40.000" so gut eingefangen wie das Ende November erschienene "Darktide". In seinen besten Momenten zwingt das Spiel die Vierergruppe dazu, sich in einer Ecke zu verschanzen, mit Flammenwerfern und Kettenschwertern harren die Spieler bis zu einem Last Stand, dem letzten Gefecht, aus. Als der Ruf "Poxwalker!" ertönt, laden alle noch einmal ihre Waffen nach, denn jeder weiß: Dafür wird es in den nächsten Minuten zu spät sein. Atmosphäre zum Schneiden eben.

In seinen schlechtesten Momenten nervt "Darktide" mit der Technik. Zum Release war das Game nahezu unspielbar, aber binnen einer Woche hat Entwickler Fatshark mit einer Vielzahl von Patches das Game zumindest auf den meisten Systemen zum Laufen gebracht. Dass noch immer zentrale Spielinhalte wie das Craftingsystem fehlen, ist allerdings unbegreiflich. Dennoch: "Darktide" gelingt trotz aller Schwächen, dass man gerne in den Underhive von Tertium zurückkehrt und dem Warpgezücht zeigt, wo der Hammer des Imperators hängt. (Peter Zellinger)

(Alexander Amon, Benjamin Brandtner, Stefan Mey, Julia Sica, Peter Zellinger, 26.12.2022)