Die praktischen Auswirkungen der Newton'schen Gesetze nutzten eine Familie und ihre Komplizen, um sich an Versicherungen zu bereichern.

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Wien – Der leider viel zu früh verstorbene britische Autor Terry Pratchett hat in einem seiner Bücher über die bizarre Scheibenwelt den Hintergrund des Infernos, das die Großstadt Ankh-Morpork einäscherte, dargelegt. Das Konzept von "Fähr-sicher-ungen", mit denen man sich mit einem geringen Beitrag gegen künftige Schadensfälle absichern konnte, verstand ein Gastronom irrtümlicherweise als Wette auf ein zukünftiges Ereignis. Also zündete er nach Abschluss einer "Fähr-sicher-ungs-Polließ" (da das Konzept aus einem anderen Land stammte, wurden die Fachbegriffe nur phonetisch transkribiert) sein Wirtshaus an – was ihn das Leben kostete und Ankh-Morpork niederbrennen ließ.

Zumindest ein Teil der acht Angeklagten, die sich vor einem Schöffensenat unter Vorsitz von Katharina Adegbite-Lewy verantworten müssen, dürfte die Idee einer Versicherung auch nicht letztgültig begriffen haben. "In seiner Wahrnehmung ist das als Kavaliersdelikt gelaufen. Ich habe ihm mittlerweile erklärt, dass nur weil jemand reich ist wie Versicherungen, man sich das Geld nicht nehmen darf", erläutert Verteidiger Johannes Samaan bezüglich eines seiner Mandanten.

37 Unfälle, über 300.000 Euro Schaden

Die Haupttäter sind laut Staatsanwältin ein unbescholtenes Vater-Sohn-Gespann, auch die Stieftochter beziehungsweise -schwester sitzt neben fünf weiteren Mittätern auf der vollen Anklagebank. Zwischen 2016 und Jänner 2022 sollen die Beteiligten mindestens 37 Autounfälle absichtlich produziert haben, um Versicherungen um mehr als 300.000 Euro zu betrügen. Die angeklagten Österreicher, Serben und Inder suchten sich abgelegene Straßen oder Parkplätze aus, um Zeugen zu vermeiden, verursachten einen Crash und kassierten von den Versicherungen Abfertigungen, die ein Drittel bis die Hälfte unter den tatsächlichen Reparaturkosten lagen.

Allerdings ließen sie die Fahrzeuge anschließend in Serbien zu viel günstigeren Konditionen wieder instand setzen und fuhren sie entweder weiter oder verkauften sie im Ausland. Erst im August 2021 wurde ein Schadensabwickler stutzig, da ihm immer wieder beinahe identische Unfallskizzen auffielen und sich auch Kontonummern deckten. Im Zuge der akribischen Ermittlungen der Kriminalpolizei stellte sich dann auch noch heraus, dass einige der angeblichen Unfallgegner nachweislich nicht in Österreich waren und Scheinanmeldungen für Wohnadressen durchgeführt wurden.

Spielleidenschaft als Schuldenfalle

Vor Gericht bekennen sich alle Angeklagten schuldig, entschuldigen sich und wollen keine weiteren Fragen beantworten. Die fünf Verteidiger und eine Verteidigerin versuchen daher, ein wenig den Hintergrund zu erklären. Der erstangeklagte Sohn habe beispielsweise in einem Krankenhaus gearbeitet und sich dann karenzieren lassen, um sich mit einem Abschleppunternehmen selbstständig zu machen. So verdiente er mehr, allerdings wuchs auch seine Spielleidenschaft – heute hat der geschiedene dreifache Vater 25.000 bis 30.000 Euro Schulden.

"Es dürfte genetisch veranlagt sein in der Familie", mutmaßt Philipp Wolm, Rechtsvertreter des Vaters. Der 58-Jährige hat ebenso einen Kredit über 30.000 Euro offen, da die Spielschulden immer höher wurden. "Das ist jetzt die Vergangenheit, die ihn einholt", ist sich der Verteidiger bewusst, der die "pfannenfertige Anklageschrift" lobt.

Auch bei den indischen Zustell- beziehungsweise Lkw-Fahrern liegt ein finanzielles Motiv auf der Hand. Die Familienväter verdienen zwischen 1.500 und 1.600 Euro im Monat, im Falle des Sechstangeklagten müssen aber 500 Euro Alimente und 380 Euro Kreditraten im Monat zurückgezahlt werden. Er war bei drei Unfällen der Fahrer, pro erfolgreichen Crash erhielt er laut Verteidiger Alexander Philipp 500 bis 600 Euro.

In zwei Fällen diversionelle Erledigung

Für zwei unbescholtene Angeklagte fordern die Verteidiger Samaan und Philipp aber eine Diversion: In einem Fall hat ein 34-Jähriger lediglich eine falsche Meldebestätigung unterschrieben, beim anderen handelt es sich um einen 25 Jahre alten Lieferfahrer, der den Titel eines Diplom-Bachelors im Bereich Maschinenbau erworben hat und der nur in einen der angeklagten Fälle verwickelt ist. Die beiden Anwälte sind damit erfolgreich: Das Gericht stellt die Verfahren vorläufig ein, wenn sie 150 Euro Pauschalkosten zahlen und 80 Stunden gemeinnützige Leistungen erbringen.

Die Staatsanwältin stellt in ihrem Schlussplädoyer ihren Standpunkt dar: "Es ist nicht zu verharmlosen, und es handelt sich keinesfalls um Kavaliersdelikte." Die Haupttäter seien daher entsprechend zu bestrafen, fordert sie. Offenbar sieht sie ihre Forderung erfüllt, sie akzeptiert nämlich die Haftstrafen zwischen acht Monaten bedingt und drei Jahren teilbedingt (für Vater und Sohn, wobei der unbedingte Teil zehn Monate beträgt) ebenso wie die Angeklagten, die Entscheidung ist daher rechtskräftig. (Michael Möseneder, 19.12.2022)