Gärtner Wolfgang Palme hat in den vergangenen 15 Jahren 77 Gemüsesorten entdeckt, die auch im Winter wachsen.

Foto: Robert Newald Photo

In ein paar Tagen erleben wir das Wunder des Wintergartens", sagt Wolfgang Palme. Dann nämlich tauen Zierkohl, Asiasalate und Roter Grünkohl wieder auf. In den vergangenen Nächten hat das Gemüse in der City Farm Augarten im zweiten Wiener Gemeindebezirk minus acht Grad Celsius ausgehalten. An diesem Vormittag pendelt sich das Thermometer in den Beeten bei null Grad ein.

Diese Temperaturen sind der Grund, dass Landwirtinnen und Landwirte ihr Gemüse hierzulande eigentlich im beheizten Gewächshaus anbauen. Damit es beliebte Kulturen wie Tomaten, Gurken und Paprika darin fein warm haben, benötigen sie vor allem im Winter viel fossile Energie – und die ist bekanntlich teuer. Die Folge: Produzenten in Exportländern wie den Niederlanden, aber auch in Österreich drosseln teilweise den Anbau.

Agrarexperte Franz Sinabell vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) geht davon aus, dass der Verkauf von Erdgas für Gemüselieferanten in den Niederlanden im Frühjahr rentabler war, als es selbst zu nutzen. Sie haben das Gas zunächst günstig eingekauft und dann deutlich teurer weiterverkauft.

Sinabell ist überzeugt, dass das Gemüse diesen Winter in Österreich knapper wird. Er geht aber auch davon aus, dass südliche Länder wie Spanien eingestellte Produktionen teilweise kompensieren könnten.

Tomaten brauchen Heizung und Licht

Dass es im Winter überhaupt Sorten wie Paprika und Tomaten geben muss, ist für Gärtner Wolfgang Palme nicht nachvollziehbar. "Kein Gemüse hat das ganze Jahr Saison", sagt er. "Es gibt Sommer- sowie Wintergemüse, und keines der beiden hat etwas in der jeweils anderen Jahreszeit verloren." Sommergemüse könne man nur mit großem Ressourceneinsatz in den Winter "zerren". Neben einer Heizung bräuchten Tomaten in Gewächshäusern nämlich auch Belichtung, "wenn sie nach was schmecken sollen".

Beim Winterfrischgemüse in der City Farm Augarten verzichtet Palme auf all das. In seinen Frühbeetkästen gedeiht derzeit Lollo-, Batavia- und Eichblattsalat – ohne Heizung, dafür mit Dach. Das sei nicht wegen des Frosts nötig, sondern um die Pflanzen vor Feuchtigkeit in Luft, Boden und Blattnässe zu schützen. Daneben wächst Freilandgemüse wie Zierkohl, Zuckerhut und Radicchio. "Das sind die wahren Winterhelden", sagt Palme.

Minus acht Grad Celsius haben die Salate schon ausgehalten.
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Der Gärtner spaziert zwischen den kreisförmig angelegten Beeten. Er kostet sich durch ein paar der insgesamt 50 Kulturen, die hier trotz eisiger Kälte aus der Erde sprießen. Allein den Winterpostelein, der wie Spinat als Salat oder gekocht gegessen wird, kann Palme viermal pro Winter ernten.

Die Entdeckung des Winters

Wolfgang Palme ist hauptberuflich Abteilungsleiter für Gemüsebau an der Gartenbauschule Schönbrunn. Seit Jahren experimentiert er mit Gemüse und versucht, Lösungen für "zukunftsfähigen Gemüseanbau" zu finden. "Wir haben uns an eine agrarindustrielle Maschinerie der Produktion und Vermarktung unserer Lebensmittel gewöhnt, die sehr ressourcenfressend und energieaufwendig ist", kritisiert Palme. "Mit diesem Konzept können wir nicht in die Zukunft gehen."

Sein Winterfrischgemüse hat er trotzdem zufällig entdeckt. Am Ende einer Testreihe hat er Asiasalate im Herbst nicht ausgegraben und "als tot abgeschrieben". In den Lehrbüchern stehe immerhin, dass sie nur bis zu minus drei Grad aushalten. Einige Wochen später hat Palme bemerkt, dass sie "frisch, saftig und völlig gesund" weiterwachsen.

Das habe die Frage aufgeworfen, wie frosthart unsere gängigen Kulturpflanzen eigentlich sind. In den letzten 15 Jahren hat Palme 77 derartige Gemüsearten ausfindig gemacht.

Rund 50 Gemüsesorten wachsen in der City Farm im Winter
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Auf Bestehendes zurückgreifen, diese Idee verfolgt Palme auch auf der Suche nach Feldern und Beeten für Winterfrischgemüse. In Österreich gebe es hektargroße Folientunnelflächen etwa im Seewinkel im Burgenland, in der Oststeiermark und im Eferdinger Becken in Oberösterreich. Im Sommer wachsen darin vor allem Tomaten. Im Winter sind sie leer und könnten laut Palme für den Anbau von Winterfrischgemüse genutzt werden.

"Wir bauen hektargroße Gewächshäuser, und daneben stehen die Folientunnel leer, das ist unser Verschwendungszugang", sagt der Gärtner.

Bereits bestehende Ressourcen zu nutzen, darauf setzt auch das österreichische Start-up Greenwell. Die Idee: alte Öl- und Gasbohrungen zu Geothermiesonden umrüsten, um damit Erdwärme zu fördern, und Gewächshäuser mit erneuerbarer Energie heizen.

Laut Robert Philipp, Umwelttechniker und Mitgründer von Greenwell, gibt es Schätzungen zufolge 1200 Öl- und Erdgasbohrungen in Österreich. Stillgelegte Sonden könne das Start-up meist gratis haben. Die Umrüstung koste dann je nach Größe zwischen 100.000 und 500.000 Euro – verglichen mit Neubohrungen seien die Kosten marginal.

Grüne Energie im Gewächshaus

Die Ölsonde ist meist 3000 Meter tief und nach unten hin offen. Zunächst wird sie unten zuzementiert und in der Mitte ein Stahlrohr verlegt. Das wirkt wie ein 3000 Meter langer Strohhalm, sagt Philipp. Außerhalb dieses "Strohhalms" wird Wasser nach unten gepumpt und dabei erhitzt. Unten angekommen, sprudelt es innerhalb des Strohhalms nach oben. "Technisch ist das keine Rocket-Science", sagt Philipp. Die Herausforderung sei vor allem, die Isolierung des Stahlrohrs kostengünstig hinzukriegen. Das testet Greenwell derzeit bei einem Pilotprojekt in Tschechien. In Oberösterreich soll im kommenden Jahr ein geothermisch beheiztes Glashaus mit rund 5000 Quadratmetern in Betrieb gehen.

Damit weitere Projekte umgesetzt werden könnten, brauche es aber eine Gesetzesänderung. Aktuell unterliegen auch stillgelegte Ölsonden dem Bergrecht. Da Greenwell statt Öl Wärme fördern will, wird laut Philipp aktuell keine Genehmigung erteilt. "Das versuchen wir seit fünf Jahren zu ändern", sagt er. Das Projekt in Oberösterreich könne nur umgesetzt werden, weil aktuell Öl und dabei – wie immer – auch 90 Prozent Wasser gefördert würden. Das werde derzeit in die Luft und künftig eben ins Gewächshaus geblasen. (Julia Beirer, XX.12.2022)