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Verpackungen müssen reduziert werden, sagen Expertinnen und Experten. Doch ist verpackungsfreies Einkaufen auch bequem?
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Wer bei Der Greißler einkauft, der findet kaum Eingeschweißtes und kaum Plastik. In den Holzregalen stehen große Einmachgläser feinsäuberlich nebeneinander. Darin: Spiralnudeln, Haselnüsse, Haferflocken, Cashewkerne, Mandeln, Schokofrüchte und so einiges mehr. Eine Mitarbeiterin füllt mit einer Schaufel Haselnüsse nach, danach Müsli. Öl lagert in bauchigen Gläsern, Obst und Gemüse in Holzkisten. Eine junge Frau kauft eine Fairtrade-Schokolade, in Papier eingepackt. Eine ältere steht vor dem Bierregal, nimmt eine Flasche heraus und dreht sie in der Hand. "Kommen Sie zurecht?", fragt Alexander Obsieger, der das Geschäft im fünften Bezirk in Wien führt, gemeinsam mit seinem Partner Christoph Gamper.

Verkauft werden dort Lebensmittel, rund 500 davon "verpackungsfrei", ein Wort, das Obsieger lieber verwendet als "unverpackt", "weil die Produkte bei uns ja trotzdem irgendwo drinnen sind". Die Lieferanten liefern die Nudeln, Linsen, Haferflocken und Gewürze in großen Säcken. Im Geschäft werden sie dann umgefüllt, in ebenjene Einmachgläser. "Der Kunde oder die Kundin kommt mit seinem Gefäß des Vertrauens – einem Stoffsackerl oder einer Tupperware – und befüllt es mit dem gewünschten Produkt." Das Konzept: Was hier verkauft wird, muss möglichst bio, möglichst regional und fair produziert sein – und möglichst spärlich verpackt.

Das Geschäft lief gut

2016 hat Obsieger das Geschäft gegründet, ursprünglich im achten Bezirk. 2020 expandierte er in den fünften Bezirk in die Margaretenstraße – das war während der Pandemie. "Die Menschen waren viel zu Hause, haben viel gekocht. Einkaufen war in dieser Zeit spannend." Das Geschäft lief gut.

Doch seit Anfang dieses Jahres komme circa ein Viertel der Kundinnen und Kunden nicht mehr. Obsieger führt das darauf zurück, dass viele nun ihr Geld lieber in Reisen und Essengehen investieren. Aber auch andere Faktoren würden eine Rolle spielen: Die Lieferanten heben die Preise an, er müsse den Anstieg an seine Kundinnen und Kunden weitergeben. Viele würden sich hochpreisigere Produkte einfach nicht mehr leisten können und wollen. Vormals sei der Großteil seiner Kundschaft Studierende gewesen, denen Nachhaltigkeit ein besonderes Anliegen ist. Sie würden jetzt seltener kommen. Im Sommer verkaufte Obsieger die Hälfte seiner Firma, um frisches Kapital zu bekommen, aber auch, "um neue Konzepte umzusetzen und das Geschäft zur Blüte zu bringen". Sein zweites Geschäft musste er aufgeben.

Das Müllproblem

Österreichweit produzieren Haushalte insgesamt fast 1,5 Millionen Tonnen Restmüll pro Jahr, also durchschnittlich 165 Kilogramm pro Person. Das sei zu viel, mahnen Expertinnen und Experten. Ideal wären 80 Kilo, heißt es vom Verband Österreichische Entsorgungsbetriebe. Die Menschen müssten achtsamer einkaufen und konsequenter Verpackungsmüll vermeiden.

Neben Der Greißler gibt es noch circa drei andere Geschäfte in Wien, die sich auf unverpackte Produkte spezialisiert haben. Auch sie hätten mit wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen, weiß Obersieger. In Deutschland dürfte das Geschäft in den Unverpacktläden ebenfalls schleppend laufen. Viele würden derzeit zusperren, wie "Zeit Online" berichtet. Vom Verband der deutschen Unverpacktläden heißt es dazu: In einer Zeit, in der die Preise steigen, würden die Menschen weniger Geld ausgeben und auf bestimmte Produktklassen verzichteten. Ein Faktor ist aber sicherlich auch, dass es aufwendig ist, so einzukaufen: Man muss immer Tupperware oder ein Einmachglas dabei haben. Ein Spontaneinkauf auf dem Weg nach Hause ist fast unmöglich. Sind verpackungsfreie Geschäfte also wirklich die Lösung für das Müllproblem?

Ein Vorbild für Größere

Andrea Lunzer hat 2014 selbst ein Geschäft für unverpackte Lebensmittel eröffnet. Mittlerweile berät sie mit ihrer Agentur Futureproof zum Thema Einkaufen der Zukunft. Sie sagt: "Ein Unverpacktgeschäft wird nicht die Lösung sein, auch nicht fünf oder zehn." Es gehe vielmehr darum, ein Exempel zu statuieren, auf die Problematik von zu viel Verpackungen aufmerksam zu machen. Menschen wie Alexander Obersieger seien meist Idealisten und könnten für große Ketten Vorbilder sein. In Lunzers Beratungen geht es unter anderem darum, wie Supermärkte verpackungsfreie Abteilungen einrichten können. Viele seien dazu bereit, sagt sie.

Es gibt aber auch Supermärkte, die bereits solche Abteilungen haben. Bei manchen Filialen von Spar kann man sich etwa Bier selbst abfüllen oder auch Cerealien, Nüsse, Pasta und Reis. In einigen Drogerien von DM gibt es Nachfüllstationen für flüssiges Waschmittel.

Verpackungen einsparen

Manfred Tacker vom Institut Circular Analytics ist zwar ebenfalls dafür, Verpackungen einzusparen, gleichzeitig müsse aber auch dafür gesorgt werden, dass Lebensmittel nicht vorzeitig verderben. Er beschäftigt er sich seit Jahren mit Verpackungen und deren Optimierung. Sehr gut funktioniere "verpackungsfrei" bereits bei trockenen Lebensmitteln wie etwa Bohnen und Linsen. Auch Äpfel sind in Supermärkten häufig bereits unverpackt. "Das wird in Zukunft mehr werden", ist Tacker überzeugt.

Weil bei manchen Produkten jedoch eine Verpackung unerlässlich ist, gehe es auch um Recycling. Die EU macht diesbezüglich Druck: Ein Gesetzesentwurf der Europäischen Kommission schlägt vor, bis Ende 2025 65 Prozent des gesamten Verpackungsmülls zu recyceln. Konkret soll die Hälfte von Plastik- und Aluminiumverpackungen, 70 Prozent Glas und 75 Prozent Papier und Karton wieder aufbereitet werden. Zudem soll der Pro-Kopf-Verpackungsmüll bis 2030 um fünf Prozent sinken – ausgehend vom Jahr 2018.

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Der Müll reduziert sich – aber es braucht mehr als eine Handvoll verpackungsfreie Geschäfte.
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Gelingen soll das Recycling mit verschiedenen Mehrweglösungen, die Schrumpffolien, Einwegpapier- und Karton den Garaus machen könnten. Im Kühlregal wird sich für Wurst, Fleisch, Aufstriche und Milchprodukte einiges ändern. Mehrschichtfolien, die sich häufig um Süßigkeiten oder auch Käse wickeln, ersetzen recycelbare Kunststoffe wie Polyethylen oder Polypropylen. Auch Verpackungen mit Aluminium, in denen sich etwa Kaffeepulver findet, werden ersetzt. "Da wird gerade viel entwickelt", sagt Tacker.

Wichtige Schutzfunktion

Die Verpackungen sind aber nur ein Teil des Problems. Ihnen sei nur ein kleiner Teil der Umweltauswirkungen geschuldet, die ein Lebensmittel hat, betont Henry Jäger vom Institut für Lebensmitteltechnologie an der Boku Wien. Und in vielen Fällen erfülle die Verpackung eine wichtige Schutzfunktion. "Es ist viel problematischer, den Schinken wegzuschmeißen, für den Tiere gehalten, Futtermittel, Wasser und Boden verbraucht worden sind, als die Verpackung."

Trotzdem: Teilweise werde zu viel Verpackungsmaterial verwendet, sagt auch der Forscher. Eine Lösung zur Müllvermeidung sieht er in der Wiederverschließbarkeit. Dabei spiele das Schlagwort "Convenience" eine große Rolle. Das Öffnen, Wiederverschließen und Dosieren eines Produkts müssen bequem sein. Und diese Bequemlichkeit des Verbrauchers stellt laut Jäger eine Limitierung dar. Ein Mehrwegsystem bedeute auch einen Mehraufwand, zumal die Hüllen zusätzlich transportiert und gereinigt werden müssen. Jäger: "Das ist ebenfalls mit Energie- und Ressourcenaufwand verbunden."

Blickt Jäger in die Zukunft, könne auf Verpackungen weiterhin nicht verzichtet werden. Sie seien für die Lebensmittelsicherheit und die Qualität erforderlich. Er geht aber von viel geringerem Materialeinsatz aus. Eine clevere Alternative zeigt sich bereits bei Joghurtbechern: Der Kunststoffanteil ist stark reduziert, für Stabilität sorgt ein Mantel aus Pappe. Zudem werden die Hüllen smarter. Aktive Verpackungen können etwa die Luftatmosphäre im Inneren regulieren. Das gebe es bereits, sei aber noch teuer.

Keine Systemrelevanz

Gefragt, ob Unverpacktgeschäfte nun die Lösung für die Müllproblematik sind, zuckt Alexander Obsieger mit den Schultern. "Der Müll des Einzelnen reduziert sich", sagt der Gründer von Der Greißler. "Aber natürlich haben wir trotzdem Müll, wenn auch weniger als ein Supermarkt. Um systemrelevant zu sein, ist es natürlich viel zu wenig."

In Obsiegers Geschäft kommen täglich rund 150 Kundinnen und Kunden. Sie geben durchschnittlich 13 Euro aus, wie er ausgerechnet hat. Den meisten Umsatz macht er übrigens nicht mit unverpackten Lebensmitteln, sondern seinem restlichen Sortiment. Mit den Würsten, den Weinen, dem Käse, dem Kuchen. Um zu bestehen, müsse er sich "der Lebensrealität der Menschen stellen". Und für die sei Müsli eben nur ein kleiner Teil der Lebensmittel, die sie täglich brauchen. Seine Kundinnen und Kunden würden vor allem den persönlichen Kontakt schätzen, die Qualität der Produkte. "Dass viele davon unverpackt sind, ist für sie nur ein schöner Nebeneffekt." (Julia Beirer, Lisa Breit, 27.12.2022)