Am 21. Dezember ist Welt-Orgasmus-Tag. Nicht jede Person kommt automatisch. Aber den Höhepunkt kann man üben.

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Am 21. Dezember geht es um die schönste Sache der Welt: Es ist Welt-Orgasmus-Tag. Dieser Höhepunkt beim Liebesspiel – allein oder mit einem Gegenüber – wird meistens automatisch mitgedacht, wenn man über Sex spricht. Doch leider ist er für viele nicht selbstverständlich. Dass man ab und zu nicht kommt, kennen wohl fast alle, Männer genauso wie Frauen. Doch vor allem für Frauen ist die Klimax oft keine Selbstverständlichkeit.

Dafür gibt es viele Gründe, sagt Ingrid Mack, diplomierte Sexualpädagogin und Betreiberin des ersten österreichischen Erotikfachgeschäfts für Frauen, dem "Liebenswert". Einer der wichtigsten ist die Beteiligung des Gehirns am Höhepunkt – und der Umstand, dass es sich oft nicht abschalten lässt. Dabei ist das Gehirn unser wichtigstes Sexualorgan, betont Mack. Im Interview erklärt sie, was ein Orgasmus eigentlich ist, wie man ihn "trainieren" kann und warum Zeit dabei das Allerwichtigste ist.

STANDARD: Was genau passiert eigentlich beim Orgasmus?

Mack: Rein anatomisch gesehen ist das eine unwillkürliche, rhythmische Muskelkontraktion, in der sich die zuvor aufgebaute sexuelle Erregung über den Körper entlädt. Das kann fast wie ein elektrischer Schlag sein. Auf diese Klimax folgt dann im Idealfall eine tiefe Entspannung, das Hormon Oxytocin wird ausgeschüttet. Das sorgt dafür, dass man sich wohl und geborgen fühlt und positiv gestimmt ist.

STANDARD: Und wie kommt man dorthin?

Mack: Das baut sich langsam auf. Am Anfang ist die Phase der Erregung, da baut sich die Lust auf. Der Körper und die Sexualorgane sind dann schon besser durchblutet, der Penis wird steif, aber auch die Vulva schwillt an und rötet sich. Auf die Erregung folgt die sogenannte Plateauphase, es kommt zum Sexflush, Gesicht und Dekolletee röten sich, manche Frauen bekommen rote Flecken. Die Erregung spitzt sich dann zu, es wird sozusagen immer enger, und dann entlädt sich die Spannung.

STANDARD: Das klingt recht simpel. Aber für viele Menschen ist es nicht so einfach, diesen Höhepunkt zu erreichen. Woran liegt das?

Mack: Das stimmt, und dafür gibt es viele Gründe, physische und psychische. Bereits am Zustand der Erregung sind mehrere Hormone beteiligt. Wenn der Hormonhaushalt nicht im Gleichgewicht ist, etwa durch Medikamente oder bei Frauen auch durch den Wechsel, kann es passieren, dass gar keine Lust aufkommt. Man sollte bei Lustproblemen deshalb auf jeden Fall einen Hormonstatus machen. Die Psyche spielt aber eine mindestens ebenso wichtige Rolle. Depressionen sind bei vielen ein absoluter Lustkiller. Aber auch wenn man sich nicht geliebt fühlt oder der Bezug zu sich selbst nicht so gut ist, fällt es schwer, sich auf ein Liebesspiel einzulassen, egal ob mit sich selbst oder mit einem Gegenüber.

STANDARD: Man hört immer wieder, das wichtigste Sexualorgan sei das Gehirn. Warum ist das so?

Mack: Das stimmt tatsächlich. Denn nur, wenn das Gehirn beteiligt ist, wenn man sich auch im Kopf, im Geist einlässt darauf, den Alltag loszulassen, Kontrolle abzugeben und zu entspannen, gelingt es, in diese andere, orgastische, freudvolle Welt einzutauchen. Es geht darum, wegzudriften, wo ich gerade bin, die Alltagsgedanken loszulassen, etwa dass die Wäsche noch gewaschen werden muss oder was man den Kindern zum Essen kocht. Darum nennt man den Orgasmus im Französischen auch La petite morte, den kleinen Tod. Denn dieses Loslassen ist die absolute Befreiung.

STANDARD: Orgasmusschwierigkeiten haben beide Geschlechter, Frauen sind aber wesentlich häufiger betroffen. Woran liegt das?

Mack: Da spielt viel gesellschaftliche Konditionierung mit. Frauen sind gewohnt, zu funktionieren, Dinge abzuarbeiten und dabei mehrere Rollen gleichzeitig zu erfüllen. Sie sollen eine gute Mutter sein, in Job und Haushalt performen, eine sexy Partnerin sein und auch noch lustvoll im Bett. Aber dieser Erbringungsdruck stresst natürlich. Dazu kommt, dass die hormonelle Situation, allein schon durch Zyklusschwankungen, wesentlich komplexer ist als beim Mann. Und Frauen merken oft gar nicht, wenn sie erregt sind, sie erkennen diesen Zustand nicht.

STANDARD: Wie meinen Sie das?

Mack: Beim Mann ist der Zustand der Erregung sehr offensichtlich, einen steifen Penis sieht man. Bei Frauen passiert das subtiler, weil die Sexualorgane innen liegen. Ihre Erregung zeigt sich, indem die Vagina feucht wird und die Vulva anschwillt. Das merken viele aber gar nicht. Man hat bereits vor vielen Jahren Messungen durchgeführt zur Erregung der Frau. Probandinnen haben sich einen Sexfilm angeschaut, dabei wurde in die Scheide eine Sonde eingeführt. Die hat ganz klar die Zeichen für Erregung gemessen. Aber bei der Befragung haben die Frauen mehrheitlich gesagt, die Bilder hätten sie nicht erregt. Das heißt, sie haben ihre eigene Erregung nicht registriert.

STANDARD: Wenn man da besser aufklärt, kommt man dann leichter zum Orgasmus?

Mack: Mehr Wissen ist auf jeden Fall gut. Aber einen Orgasmus bekommen die allerwenigsten einfach so. Er ist aber konditionierbar, speziell für Frauen. Dafür muss frau sich aber wirklich mit dem Thema beschäftigen, herausfinden, welche Bilder oder Fantasien sie braucht, um in Laune zu kommen. welche Körperhaltung und Spannung gefällt, wie man am besten atmet, um die Erregung zu spüren, wo man berührt werden will, welche Stellung die tiefste Erregung bringt, was man tun muss, um von der Plateauphase tatsächlich in die Orgasmusphase zu kommen. Dafür heißt es üben, üben, üben, dann kann man den Orgasmus tatsächlich lernen.

STANDARD: Sie haben eine Orgasmusschule gegründet. Unterrichten Sie das dort?

Mack: Unter anderem. Aber da geht es auch viel um das Drumherum. Es ist eine Art Reise zu sich selbst, was die Anforderungen an einen selbst sind, welche tradierten Vorstellungen und Erwartungshaltungen man in sich trägt und wie man auch bei sich bleibt und auf die eigenen Bedürfnisse achtet. Viele Frauen verlieren sich ja im Gegenüber beim Liebesspiel, achten nur auf die Bedürfnisse der anderen Person. Da sitzen dann junge und ältere Frauen gemeinsam in einem Kurs und stellen fest, dass sie alle die gleichen Themen mit sich herumtragen. Das sind wichtige Aha-Momente, dass man damit nicht allein dasteht.

STANDARD: Wie kann ein guter Orgasmus gelingen?

Mack: Dafür sollte man sich Zeit nehmen. Männer kommen oft schnell in Fahrt, bei Frauen dauert es etwas länger, etwa zehn bis 15 Minuten. Klar kann zwischendurch auch einmal ein Quickie gut sein, aber prinzipiell macht Eile Stress. Das ist aber ein großer Lustkiller, und man beschneidet sich damit selbst um eine sehr schöne Zeit. (Pia Kruckenhauser, 21.12.2022)