Ein japanischer Laubfrosch spuckt eine Wespe aus, nachdem er von ihr gestochen wurde. Die Überraschung: Es handelt sich um eine männliche Wespe.
Foto: Current Biology/Sugiura et al. 2022

Nur weibliche Wespen sind gefährlich und stechen zu – so eine verbreitete Annahme. Immerhin besitzen nur sie das entsprechende "Gerät", den Giftstachel, der sich aus einem Körperteil zur Eiablage heraus entwickelt hat. Ist man gegen das Gift allergisch, kann ihr Stich mitunter lebensgefährlich werden. Doch auch die Männchen können bei Bedrohung für schmerzhafte Stiche sorgen, zumindest manche Wespenarten. Das macht eine aktuelle Studie eines japanischen Forschungsduos im Fachmagazin "Current Biology" deutlich.

Die Grundlage für diese Erkenntnis war ein Unfall – in den Naturwissenschaften keine Seltenheit. Die Agrarwissenschafterin Misaki Tsujii von der Universität Kobe bei Osaka wurde gestochen. Sie war dabei, den Lebenszyklus einer Faltenwespenspezies mit der Bezeichnung Anterhynchium gibbifrons zu erforschen. Dass auch die männlichen Exemplare einen stechenden Schmerz hervorrufen können, war eine Überraschung.

Eine männliche Wespe der Spezies Anterhynchium gibbifrons beim Besuch einer Kletterpflanze der Gattung Cayratia.
Foto: Current Biology/Sugiura et al. 2022

"Basierend auf ihrer Erfahrung und den Beobachtungen stellte ich die Hypothese auf, dass die männlichen Genitalien von A. gibbifrons als Abwehr gegen Räuber fungieren", sagt Co-Autor Shinji Sugiura. Um die Vermutung zu testen, wurden die Wespen gemeinsam mit Fressfeinden – Laubfröschen – eingesperrt. Sie versuchten, alle 17 männlichen Wespen, die in ihre Nähe kamen, zu verzehren.

Auch Männchen stechen zu

Doch mehr als ein Drittel der Insekten wurde wieder ausgespuckt. Ein deutlicher Unterschied im Vergleich zu den 17 Männchen, deren Genitalien entfernt worden waren: Diese konnten offenbar nicht mehr zustechen und wurden daher verzehrt. Diese Wespen versuchten zwar mitunter, sich mit ihren Beißwerkzeugen zu wehren, was die Frösche aber nicht beeindruckte. Die Größe der Frösche und Insekten spielte dabei übrigens keine Rolle.

Der Stechversuch im Video, Slow Motion inklusive.
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Bemerkenswert war auch, dass weibliche Wespen seltener von den Fröschen angegriffen und verspeist wurden. Nur die Hälfte landete im Mund der räuberischen Laubfrösche, und die meisten Weibchen wurden wieder ausgespuckt. Ihr Abwehrinstrument ist also wesentlich effektiver als das der Männchen.

Andere Fressfeinde scheinen generell eine viel höhere Stechtoleranz zu haben, wie das Team herausfand, als ähnliche Tests mit Wasserfröschen durchgeführt wurden. Diese unterschieden auch nicht zwischen weiblichen und männlichen Wespen und fraßen letztendlich alle.

Bedeutung des Stachels

Dennoch lässt sich aus den Versuchen an den Laubfröschen darauf schließen, dass sich die männlichen Stechwerkzeuge an den Genitalien befinden. Der Giftstachel der weiblichen Wespen hat sich wie auch bei den Bienen evolutionär aus dem sogenannten Ovipositor heraus entwickelt. Mit diesem Apparat, der auch als Legebohrer bezeichnet wird, werden üblicherweise Eier abgelegt. Ist er zum Stachel umfunktioniert, transportiert er Gift aus einer Giftblase in die Wunde des Angreifers.

Damit sind die Geschlechtsteile der Männchen variabler einsetzbar als bisher gedacht, wie Studienautor Sugiura deutlich macht – immerhin wurden sie meist in Interaktionen zwischen Weibchen und Männchen untersucht, aber nie angesichts von Fressfeinden. "Diese Studie unterstreicht die Bedeutung der männlichen Genitalien als Abwehrmittel gegen Raubtiere und eröffnet eine neue Perspektive für das Verständnis der ökologischen Rolle der männlichen Genitalien bei Tieren", sagt der Wissenschafter.

Und was bedeutet dies für die Stechfähigkeiten von Wespen im Allgemeinen? Der Verteidigungsmechanismus dürfte auch bei anderen Wespenarten zum Zug kommen, schreiben die Forschenden. Die "Pseudostachel" der Männchen kommen immerhin in mehreren Wespenfamilien vor. Womöglich werden Tiere, die für die Wespen eine Bedrohung darstellen – also potenziell auch Menschen –, aber seltener von männlichen Wespen gestochen. Und womöglich ist ihr Stich auch weniger schmerzhaft. (Julia Sica, 28.12.2022)