Wenn es dunkel wird, mangelt es in der "Gamsstadt" nicht an Ausgehmöglichkeiten – sofern die finanziellen Mittel keine Rolle spielen.

"Magst auch einmal?" Hat man bislang auch eher selten von einem Krampus gehört, diese höfliche Frage, ob er zuschlagen darf. Aber wir sind hier in Kitzbühel, und im Tiroler Nobelskiort ist so manches anders. Die Landjugend legt sogar beim Ruteneinsatz des Krampus auf Consent wert. "No thanks, no spanking!", ruft die Italienerin und geht zum Rauchen nach draußen. Der junge Mann im verfilzten Pelzkostüm bleibt geknickt zurück.

In Kitzbühel gibt es heuer keinen offiziellen Krampuslauf, deshalb sind der wohlerzogene "Tuifl" und fünf seiner Freunde einfach so im Kostüm losgezogen. Ihr Höllentanz endet an der Bar eines Cafés in der Kitzbüheler Innenstadt, wo an diesem Abend in der Vorsaison nur einige Bedienstete aus den umliegenden Hotels bei einem Feierabendbier hocken. Das Ambiente ist hip, das Lokal könnte so auch in Berlin Mitte oder im siebten Bezirk in Wien reüssieren. Vintage-Sofas im Shabby Chic, auf der Karte stehen Bagel und Pulled Pork. Das Lokal wird von einem Einheimischen geführt, es kommen viele Kitzbüheler gerne her – trotzdem wirken die Krampusse ein wenig deplatziert zwischen der Jukebox und der Siebträgermaschine.

In Kitzbühel mussten die Krampusse heuer – anders als zum Beispiel in Braunau am Inn (Bild) – auf einen offiziellen Lauf verzichten.
Foto: imago/Daniel Scharinger

Fußball trifft Après-Ski

Wenige Minuten vom Café entfernt hat es ein junger blonder Mann in einem Pub auf einen freien Barhocker abgesehen. "Is deze plaats vrij?", brüllt er über den Lärm im Lokal hinweg. Er stellt seine Frage ganz automatisch auf Holländisch. Argentinien spielt gegen die Niederlande, und die Fankurve hat einen klaren Überhang in Richtung Oranjes. Eigentlich sind fast nur blonde Haarschopfe und rot-weiß-blau bemalte Backen zu sehen. Das Match wird sich zu einem Fußballkrimi der Sonderklasse entwickeln, bis zum Elfmeterschießen und einem späten Sieg für Argentinien.

Als Österreicherin mit begrenztem Interesse am Ballsport bleibt viel Zeit, sich die Gäste genauer anzusehen. Die Gesichter sind gerötet vom Mitfiebern und den zahllosen Bieren und Shots, die über die Theke wandern. Die meisten sind jung, und auf Urlaub ist kaum jemand von ihnen in Kitzbühel. Viele machen die Skilehrerausbildung und hoffen, hier die Zeit ihres Lebens zu haben. Viel Party, wenig an die Zukunft denken, Skilehrerhäuser als Sündenpfuhle … Auf die Frage, welche Klischees über die Skilehrer denn eigentlich stimmen, antwortet ein Deutscher, der hier bereits mehrere Saisonen verbracht hat: "Eigentlich alle. Außer dass wir viel Geld verdienen." 1.530 Euro brutto stehen einem staatlich geprüften Skilehrer laut Kollektivvertrag zu. Bei einem Anwärter sind es gerade einmal etwas über 1.000 Euro. Die Trinkgelder seien zwar in Ordnung – an den Abenden stehen trotzdem viele Skilehrer auch noch hinter der Bar, um sich das Leben in der "Gamsstadt" leisten zu können. Vielleicht ist das einer der Gründe, wieso nur noch wenige Tiroler den Job machen.

Zurück im Café mit den Krampussen. Auch wenn die Anwesenden fast alle im Tourismussektor arbeiten und in Kitzbühel leben – wirklich hier geboren ist kaum einer von ihnen. Bestellungen und Gespräche auf Kärntnerisch, Bundesdeutsch und Italienisch sind zu hören. Wo sind eigentlich die Einheimischen? "Die sind in Lokalen, von denen Auswärtige nicht einmal wissen, dass sie existieren", erklärt eine der Anwesenden. Es gibt sie offenbar, die inoffiziellen Kneipen für Einheimische, in die sich die Urkitzbüheler beim Ansturm der Touri-Massen zurückziehen und die sich in keinem Reiseführer und auch nicht auf Google Maps finden lassen.

Denn in den Szenebars, für die die Münchner High Society im Winter nach Kitzbühel tingelt, fühlen sich die "Locals" wenig zu Hause. Allein die Preise lassen vermuten, dass die heimische Mittelschicht eher nicht die Zielgruppe ist. Im einzigen Club im Ort kostet der Spritzer sechs Euro 90, das Bier zehn Euro 90. In anderen Lokalen kommt man den Ortsansässigen mit Spezialpreisen entgegen, unter der Hand. Auch wenn das Bier so noch leistbar ist – es bleibt ein fahler Beigeschmack.

Vereinslokal statt Club

"Wir können uns das Ausgehen in Clubs, in Lokale bei uns im Bezirk fast nicht mehr leisten", bestätigt die 17-jährige Julia. Sie und ihre Freundinnen und Kollegen gönnen sich "Weitergehen in Kitzbühel", wie sie es nennen, nur zu besonderen Anlässen. Wenn das Hahnenkammrennen stattfindet, zum Beispiel. An den vielen Urlaubern stören sie sich aber nicht, "auch wenn die schon ganz anders drauf sind als wir. Das ist manchmal aber eh lustig." Wobei die reichen "Zweitwohnsitzler", also Leute mit einem Zweitwohnsitz in Kitzbühel, auch unter den Jugendlichen nicht besonders beliebt sind. Allzu oft begegnen sie denen aber ohnehin nicht. "Meistens organisieren wir uns unsere Ausgehmöglichkeiten selbst. Über die Vereine", erklärt Julia. Das müssen sie also sein, die "geheimen" Einheimischen-Events. Julia ist bei vielen dieser Veranstaltungen, sie kommt aus einer kleinen Gemeinde in der Nähe von Kitzbühel und ist eine echte Multitaskerin. Sie ist Schulsprecherin in der HAK Kitzbühel, in der Musikkapelle und engagiert sich bei der Jungbauernschaft. Aus der Gegend wegzuziehen ist für sie – trotz Schickimicki-Szene und elitärer Gäste – keine Option. "Ich bin hier verwurzelt. Und über die Vereine ist man so eingebunden – ich könnte mir das anders gar nicht vorstellen."

Im KC750 finden auch Konzerte lokaler Bands und Künstlerinnen statt, hier spielte etwa die Kitzbüheler Band Lucky Hights.
Foto: Felix Obermoser

Und es gibt auch Lichtblicke für jene, die nicht bei "Musi" oder im "Tuifl-Verein" organisiert sind und dort ihre Feste feiern. Anlässlich des 750-Jahr-Stadtjubiläums hat die Gemeinde das KC750 eröffnet. In dem aufwendig renovierten und minimalistisch eingerichteten Lokal im ältesten Haus Kitzbühels tut der Blick auf die Karte gleich weniger weh – das große Bier kostet drei Euro 90, das kleine Soda Zitron nur einen Euro 50. Es finden regelmäßig Kulturveranstaltungen statt – von Konzerten bis zur Plattenbörse. Ein Prestigeprojekt für den Bürgermeister, der gern betont, dass Kitzbühel trotz seines Images als winterlicher Zufluchtsort der Schickeria eine ganz normale Stadt sei.

Zurück beim WM-Aus der Holländer. Die Stimmung ist im Keller – nichts verdirbt die Feierlaune wie ein verlorenes Elfmeterschießen nach einer fulminanten Aufholjagd. Der Heimweg vom Pub führt vorbei an mehreren Immobilienbüros mit Angeboten für Luxusvillen in den Fenstern, vor einem Hotel parkt ein Porsche neben einem Tesla. Einige Meter weiter gibt es einen Hundefriseur – eine ganz normale Stadt eben. Die Skilehrerinnen, Kellner und Teenager aus der Gegend treten einen anderen Heimweg an. Kaum jemand aus der Gegend wohnt in den Luxus-Appartements in der herausgeputzten Innenstadt. Die Skischulen haben Personalunterkünfte am Berg, die Hotels oft sogar in den umliegenden Gemeinden. Und auch Julia und ihre Freunde kommen großteils aus den "normalen" Ecken des Bezirks. Die, in denen mit dem Krampus und ohne Schampus gefeiert wird. (Antonia Rauth, 22.12.2022)