Früher galt er als "Titan" der US-Filmindustrie – doch er fiel 2020 nach einer ersten Verurteilung sehr tief. Und nun wurde Harvey Weinstein zum zweiten Mal der Vergewaltigung und des sexuellen Übergriffs für schuldig gefunden – in drei Anklagepunkten. In einem Punkt wurde der ehemalige Filmproduzent allerdings freigesprochen, in drei weiteren Punkten gab es keine Einigung: Die Geschworenen – vier Frauen und acht Männer – konnten sich auch nach zehn Tagen und über 40 Stunden in diesen drei Aspekten nicht auf ein einstimmiges Votum einigen.

Harvey Weinstein – heute 70 Jahre alt – stehen mehrere Jahrzehnte in Haft bevor.
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Das neue Urteil vom Montag (Ortszeit) in Los Angeles ist bereits die zweite Verurteilung wegen Sexualverbrechen für den nunmehr 70-jährigen Weinstein: Schon vor knapp drei Jahren wurde er in New York der sexuellen Nötigung und Vergewaltigung für schuldig befunden. Die Staatsanwaltschaft sieht dieses weitere Urteil als wichtigen Rückhalt: Denn das Höchstgericht in New York hatte bereits zugestimmt, das erste Urteil zu überprüfen. So aber wird Weinstein wohl auf jeden Fall im Gefängnis bleiben müssen, auch wenn das ältere New Yorker Urteil, das eine Haftstrafe von 23 Jahren vorsah, in Teilen oder ganz aufgehoben werden sollte.

Sieben Anklagepunkte

Auch im neuen Prozess ging es – wie schon 2020 – um Vergewaltigung, sexuelle Nötigung und Übergriffe. Die Vorwürfe stammten von vier Frauen und bezogen sich auf den Zeitraum 2004 bis 2013. Die meisten Übergriffe sollen in Hotels in Beverly Hills stattgefunden haben.

Weinsteins Verteidiger versuchten die von den vier Frauen (eine fünfte zog sich aus der Anklage zurück) in drastischen Worten und teils unter Tränen vorgebrachten Anschuldigungen zu entkräften: Alle sexuellen Handlungen seien stets einvernehmlich, einige der Vorwürfe hingegen schlicht frei erfunden gewesen. Und sie versuchten auch, den Spieß umzudrehen: Die Klägerinnen hätten durch sexuelle Angebote und Handlungen bloß versucht, an große Rollen in Hollywood-Produktionen zu kommen – dies wurde von den zwölf Geschworenen aber kaum geglaubt.

Aufgrund des komplizierten Prozessverlaufs und des kalifornischen Strafrechts drohen Weinstein nach Angaben der "New York Times" in Kalifornien 18 bis 24 Jahre in Haft – nicht aber die mögliche Höchststrafe: lebenslang. Diese lange Zeit muss der heute 70-Jährige erst nach Verbüßung seiner Strafe in New York absitzen, wo er noch 21 Jahre zu verbüßen hat. Das würde bedeuten, dass Weinstein den "kalifornischen Teil" seiner Haftstrafe erst antritt, wenn er über 90 Jahre alt ist – sofern er dieses Alter erlebt und seine Berufung in New York nicht erfolgreich ist. Würde es beim neuen Urteil beim Strafausmaß bleiben, käme Weinstein wohl nicht mehr zu Lebzeiten frei.

Wo Einigkeit herrschte – und wo nicht

Weinstein wurde in Los Angeles in sieben Fällen angeklagt, die auf Vorfälle mit vier Frauen zwischen 2004 und 2013 rekurrierten. Die zwölf Geschworenen waren sich einig, dass Weinstein "in drei Fällen schuldig ist der Vergewaltigung, des erzwungenen Oralverkehrs und der sexuellen Penetration", wie die "New York Times" aus der Urteilsverkündung zitierte.

In einem Fall von sexueller Nötigung einer Masseurin wurde Weinstein hingegen freigesprochen.

Keine Einstimmigkeit erzielten die Geschworenen in Bezug auf Anschuldigungen von Jennifer Siebel Newsom – die Dokumentarfilmerin ist auch Ehefrau des kalifornischen Gouverneurs Gavin Newsom – und von Lauren Young, Model und Drehbuchautorin.

Die kalifornische Staatsanwaltschaft hat nun die Aufgabe zu entscheiden, ob sie die drei ungelösten Anklagepunkte in Zukunft noch einmal aufrollen und neu verhandeln will. Die beiden Frauen erklärten jedenfalls, zu neuen Aussagen bereit, aber auch sicher zu sein, dass Weinstein auch so niemals wieder freikommen werde. "Er wird den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringen, wo er hingehört", sagte Siebel Newson. "Harvey Weinstein ist ein Serienraubtier, und was er getan hat, war Vergewaltigung."

Lange Urteilsfindung

Bis es zur Verlesung der Urteile kam, war ungewöhnlich viel Zeit verstrichen: Staatsanwaltschaft und Verteidigung hatten die Schlussplädoyers schon vor mehr als zwei Wochen gehalten.

Die Anklage schilderte Weinstein als "Serientäter", als "Wolf" und als "Raubtier" mit ausgeklügelter Methodik, um die Schwachstellen der Opfer zu entdecken und auszunutzen.

Die Verteidiger Weinsteins gingen auf solche Anschuldigungen teils gar nicht ein und versuchten vielmehr, die Frauen als Karriereopportunistinnen darzustellen. Im Fall von Siebel Newsom sprach ein Verteidiger gar von "einem weiteren Flittchen, das mit Harvey Weinstein geschlafen hat, um weiterzukommen".

Dank und Enttäuschung

Bezirksstaatsanwalt George Gascón bedankte sich nach der Urteilsverlesung für die "außergewöhnliche Tapferkeit" der klagenden Frauen. Er hoffe, dass die Teilurteile "den Opfern zumindest ein gewisses Maß an Gerechtigkeit bringen". Insgesamt sei er aber enttäuscht über das Ergebnis. "Sie haben etwas Besseres verdient als das, was das System ihnen gegeben hat", sagte er über die Frauen.

Die Unterstützenden der #MeToo-Bewegung versicherten, die Zukunft hänge nicht vom Erfolg oder Misserfolg eines einzigen Rechtsstreits ab. Es gehe um tiefgreifende, strukturelle Veränderungen. "Bei #MeToo als Bewegung und Inspiration ging es nie um ein einzelnes Individuum, egal wie mächtig es ist", sagte Fatima Goss Graves, die Präsidentin und Geschäftsführerin des National Women's Law Center. "Diese Bewegung beginnt und endet nicht mit ihm." (red, 20.12.2022)