Das erste Bild des Weltraumteleskops Webb, das im Juli veröffentlicht wurde, zeigt den Galaxiencluster SMACS 0723. Es wird als Webbs erste Deep-Field-Aufnahme bezeichnet – also eine "Tiefenfeldbeobachtung", die enorm weit entfernte Galaxien darstellt. Hier wird auf besser aufgelöste Versionen verwiesen.
Foto: NASA, ESA, CSA, STScI, Webb ERO Production Team / Reuters

Im Dezember 2021 war es endlich so weit: Nach zahlreichen Verzögerungen machte sich am ersten Weihnachtsfeiertag das James-Webb-Weltraumteleskop (JWST) auf den Weg. Vom Fachblatt "Science" wird es als größter wissenschaftlicher Durchbruch 2022 gefeiert: Seit Juli werden Bilder und Daten publik, die unsere Geschichte des Alls umschreiben und die Begeisterung für den Weltraum neu anfachen.

Bei ihrer Entstehung hat meist Joe DePasquale seine Finger im Spiel, wenngleich sein Name höchstens in den Fotocredits auftaucht. Er ist leitender Entwickler der Bildverarbeitung im Bereich Öffentlichkeitsarbeit am Space Telescope Science Institute (STScI) im US-amerikanischen Baltimore. Dabei vereint er sein Faible für Fotografie und Kunst mit Wissenschaft. Bei Videos ergänzt der Hobbygitarrist auch eine Prise Musik.

Joseph DePasquale arbeitet am US-amerikanischen Space Telescope Science Institute (STScI).
Foto: Katie DePasquale

STANDARD: Wo waren Sie, als das Webb-Teleskop abhob?

DePasquale: Zu Hause. Es war wahrscheinlich das erste Mal, dass ich am Weihnachtsmorgen vor meinen Kindern aufgestanden bin. Wir haben gemeinsam den Raketenstart mitverfolgt. Meine Kinder – damals neun und zwölf Jahre alt – waren so interessiert, dass sie sogar freiwillig das Geschenkeauspacken auf nach dem Start verlegt haben.

STANDARD: Haben Sie an jedem Bild des Teleskops, das mit großem Medienecho veröffentlicht wurde, mitgewirkt?

DePasquale: Nicht an jedem. Meine Kollegin Alyssa Pagan und ich arbeiten gemeinsam an den Bildern der Weltraumteleskope Hubble und Webb und haben uns die Arbeit geteilt. Ein paar wurden auch von interessierten Laien erstellt, die öffentlich zugängliche Daten genutzt und ihre eigene Version in sozialen Medien geteilt haben.

STANDARD: Das Magazin "Time" zählt die Webb-Bilder zu den besten Fotos des Jahres – wobei manche argumentieren würden, dass es sich genau genommen nicht um Fotos handelt. Wie sehen Sie das?

DePasquale: Ich bezeichne sie auch als Fotos. Die übliche Vorstellung von einem Foto ist: Man nimmt eine Kamera und macht einen Schnappschuss. Webb funktioniert natürlich anders. Letztendlich produzieren wir aber auch damit ein echtes Foto. Die Instrumente fangen reale Daten ein, es braucht nur viel Arbeit, um aus den Rohdaten das finale Bild zu machen.

STANDARD: Am Anfang stehen lediglich "schwarz-weiße" Daten. Vermutlich ist die Bildproduktion auch schwieriger für uns vorstellbar, weil Webb Wellenlängenbereiche einfängt, die menschliche Augen nicht sehen.

DePasquale: Genau, immerhin ist es ein Infrarot-Teleskop. Ich vergleiche das gern mit Musik. Eine Hundepfeife können wir nicht hören, außer wir verschieben den Ton ein paar Oktaven nach unten. Ähnlich ist es mit Infrarotlicht, das wir in rote, grüne und blaue Farbkanäle konvertieren können, um die Bilder in allen Farben zu sehen. Teleskope wie Webb und Hubble mit ihren riesigen Spiegeln sind Instrumente, die wir gebaut haben, um unser eigenes Sehvermögen auszuweiten.

Das im November veröffentlichte Bild des Webb-Teleskops, an dessen Erstellung DePasquale beteiligt war, zeigt eine kosmische Wolke um einen Protostern.
Foto: NASA, ESA, CSA, STScI, Joseph DePasquale (STScI), Alyssa Pagan (STScI), Anton M. Koekemoer (STScI) / AP

STANDARD: Apropos Farbwahl: Rottöne entsprechen niedriger Energie und dem hohen Wellenlängenbereich. Das Regenbogenspektrum geht weiter über gelb, grün und blau bis zur violetten Farbe, das für hohe Energie und kurze Wellenlängen steht. Das zeigt sich auch bei einer Flamme – kühlere Bereiche sind rot und gelb, die heißesten blau. Im Alltag gelten aber Rot- und Gelbtöne als "warme Farben". Wie gehen Sie damit um?

DePasquale: Richtig, die kulturelle Wahrnehmung dessen, was eine Farbe bedeutet, unterscheidet sich von der Physik. Das erfordert, dass wir die visuelle Sprache zum Interpretieren der Farben verändern. Wenn man über diese kulturelle Hürde springt, versteht man die "physikalisch korrekten" Bilder besser. Das versuchen wir zu vermitteln. Egal ob man mit Webb oder Hubble arbeitet: Genutzt werden Filter, die bestimmte Wellenlängenbereiche herausnehmen. Die längeren werden üblicherweise rot dargestellt, die kürzeren blau. Das ist die Basis für unsere zusammengesetzten mehrfarbigen Bilder.

STANDARD: Wie läuft Ihr Arbeitsprozess ab?

DePasquale: Normalerweise nehmen Astronominnen und Astronomen Kontakt mit uns auf, wenn ihre Ergebnisse für eine große Zielgruppe berichtenswert sind. Der Prozess ist bestimmt von den gewonnenen Daten, die wir natürlich respektieren. Wir verändern sie nicht, sondern entfernen Artefakte, die zum optischen System der Observatorien gehören und in Wirklichkeit gar nicht da sind. Und wir versuchen, sie bestmöglich zur Geltung zu bringen.

STANDARD: Dafür kommen künstlerische Aspekte und Farbtheorie hinzu?

DePasquale: Ja, da haben wir einen gewissen Spielraum – wie ein Fotograf, der die Rohdaten seiner Bilder bearbeitet, also Weißabgleich, Farbtonkorrektur, Kontrast und Komposition. Ich stelle eine harmonische Balance her. Und weil es im All kein Oben und Unten gibt, gibt es auch bei der Rotation und dem Zuschnitt Freiheiten. Ich passe Bilder an die Linienführung an, damit sie möglichst die Aufmerksamkeit des Publikums erregen und man mehr über dieses Objekt erfahren will.

Im rund halbstündigen Video zeigen Alyssa Pagan und Joe DePasquale, wie das Webb-Bild des Carinanebels bearbeitet wurde.
Launch Pad Astronomy

STANDARD: Gerade Astronomiefotos rufen großes Interesse hervor. Wieso?

DePasquale: Man braucht keinen hohen akademischen Abschluss, um ihnen etwas abzugewinnen. Sie tragen eine Art universelle Wahrheit in sich. Sie sprechen unseren Wunsch an, unseren Platz im Universum und die Bedeutung unserer Existenz zu verstehen. Wenn wir diese Bilder betrachten, schauen wir in die Vergangenheit zurück – und auf die Materialien, aus denen das Universum und wir bestehen. So kann es zu einer sehr metaphysischen, spirituellen Erfahrung werden, über diese Bilder nachzudenken. Sie ziehen so Menschen auf der ganzen Welt grenzüberschreitend in ihren Bann.

STANDARD: Das ist auch mit den bisherigen Webb-Bildern gelungen. Inwiefern lief der Prozess hier anders ab?

DePasquale: Das Webb-Teleskop ist brandneu. Die ersten Beobachtungen wurden gemeinsam mit internationalen Kolleginnen und Kollegen sowie der Öffentlichkeitsarbeit bestimmt. Wir haben festgelegt, was ein großartiges Bild abgeben könnte, und zugleich die Fähigkeiten der Instrumente demonstriert.

STANDARD: Gab es besondere Herausforderungen durch den Infrarotbereich oder auch das Zeitmanagement bis zur Veröffentlichung im Juli?

DePasquale: Aus technischer Sicht haben wir es mit neuen Bildartefakten zu tun. Die Instrumente sind so lichtempfindlich, dass sie mit hellen Objekten überfordert sind. So wird die Mitte eines hellen Sterns schwarz angezeigt, was wir korrigieren müssen. Oder es gibt interne Reflexionen im Teleskop. Aber wir lernen dazu, erst vergangene Woche hatten wir am Institut einen Vortrag über Bildartefakte, derer ich mir gar nicht bewusst war. Zur Zeitfrage: Wir waren eine relativ kleine Gruppe und hatten nur sechs Wochen Zeit, um die ersten Webb-Daten zu verarbeiten, die Bilder zu produzieren, die passenden Texte zu schreiben und so weiter. Das war intensiv.

STANDARD: Ergeben sich aus den bisherigen Beobachtungen auch wissenschaftliche Probleme?

DePasquale: Webb ist so lichtsensibel, dass Forschende damit Galaxien finden, die kurz nach dem Big Bang entstanden. Nur wenige Hundert Millionen Jahre danach scheint es voll ausgebildete Spiralgalaxien gegeben zu haben – das wäre nach unserem aktuellen Verständnis, wie lange die Entwicklung von Galaxien benötigt, ungewöhnlich. Webb ist so gut und präzise, dass es uns dazu bringt, unser grundlegendes Verständnis davon zu überdenken.

Die "Säulen der Schöpfung" – links eine bearbeitete Aufnahme von Hubble aus dem Jahr 2014, rechts 2022 von Webb. Die Aufnahme im nahen Infrarotspektrum ermöglicht klarere Sicht, an der Anzahl der Sternspitzen lassen sich Bilder der beiden Weltraumteleskope unterscheiden.
Foto: NASA, ESA, CSA, STScI / AP

STANDARD: Was macht den charakteristischen Look der Webb-Bilder aus? Die sechs Sternspitzen? Die Klarheit im Vergleich zu "vernebelteren" Ansichten anderer Teleskope?

DePasquale: Auf jeden Fall sind die sechs Hauptstrahlen – und die zwei kurzen in der Mitte – typisch. Wenn es sich nicht um zusammengesetzte Bilder handelt, kann man sie so von Hubbles Fotos mit nur vier Spitzen unterscheiden. Durch den Nahinfrarotbereich werden auch Zonen klarer, die bei Wellenlängen im für uns sichtbaren Bereich voller Staub sind. Das zeigt sich zum Beispiel, wenn man die neuen Fotos der Säulen der Schöpfung mit Hubbles erstem Bild vergleicht. Vor allem aber ist der Hintergrund jedes Bildes voller Galaxien. Der Spiegel des Webb-Teleskops ist so groß und so lichtsensibel, dass selbst eine kurze Betrachtungsperiode ein Deep-Field-Bild liefert – plus das Objekt, das man eigentlich betrachten will, im Vordergrund. Das spricht für die Leistungsfähigkeit von Webb und ist wirklich cool.

STANDARD: Was hat sich im Bereich der astronomischen Visualisierung im Laufe der Zeit am stärksten verändert?

DePasquale: Die Rechenleistung, würde ich sagen, und die Möglichkeit, mit größeren Datensätzen zu arbeiten. Ich arbeite seit 13 Jahren in diesen Bereich und kann mittlerweile mit einem riesigen Photoshop-Dokument von vielleicht 20 Gigabyte arbeiten, ohne dass es meinen Computer in die Knie zwingt. Das wäre vor zehn Jahren unmöglich gewesen.

STANDARD: Was können Sie Personen empfehlen, die sich selbst an astronomischer Bildbearbeitung versuchen wollen?

DePasquale: Unser STScI-Archiv und andere Ressourcen stehen allen zur Verfügung: Die öffentlichen Daten kann jeder Mensch herunterladen und mit ihnen arbeiten. Dazu muss man sich aber schon ein wenig auskennen. Wer ganz am Anfang steht, dem empfehle ich die Nasa Astrophoto Challenge, in die ich seit Jahren stark involviert bin. Hier machen wir kuratierte Datensätze verschiedener Teleskope niederschwellig im Browser zugänglich, man muss nichts herunterladen. Die nächste Herausforderung beginnt im Jänner und hat die Säulen der Schöpfung zum Thema. Dann kann man Daten dieser Formation von Webb, Hubble und dem Chandra-Röntgenobservatorium kombinieren und ein eigenes Bild, das aus verschiedenen Wellenlängenbereichen zusammengesetzt ist, erstellen.

Dieses Bild des Carinanebels stellte die Interviewerin im Rahmen der Nasa Data Challenge im Sommer 2022 zusammen – und fand es im November unter den herausragenden Bildern des Wettbewerbs wieder.
Foto: Julia Sica, Nasa Astrophoto Challenge

STANDARD: Sie sind Teil einer Band namens "Riding Shotgun". Beeinflusst Sie die Musik auch bei Ihrer Arbeit?

DePasquale: Ja, ich bin seit 20 Jahren Gitarrist und kümmere mich um Aufnahmen und Tonmischung. Manchmal habe ich in der Arbeit die Möglichkeit, Hintergrundmusik für unsere Visualisierungen zu schaffen. Zum diesjährigen Hubble-Jubiläum habe ich einen Videozoom in die Galaxiengruppe HCG 40 mit Synthesizer-Musik unterlegt. Das ist direkt beeinflusst von dem, was ich auf dem Bildschirm vor mir sehe.

Hubble Space Telescope

STANDARD: Welche Bilder waren allgemein bisher besonders inspirierend für Sie?

DePasquale: Das war definitiv die erste Version der Säulen der Schöpfung, die Hubble in den Neunzigerjahren einfing. Ich weiß noch, wie ich im College im Astronomielabor saß, in dem das Bild an der Wand hing. Ich habe mich gefragt: Wie bekommt man ein Bild mit so vielen Details und Farben aus den Daten heraus? Und ich konnte nicht ahnen, dass ich eines Tages mit dem Mann zusammenarbeiten würde, der dieses Bild gemacht hat. Als ich am STScI anfing, teilte ich mir im ersten Jahr ein Büro mit Zoltan Levay, bevor er in Pension ging. Er war der erste Bildbearbeiter für Hubble. Das war eine wunderbare Erfahrung, ich habe in kurzer Zeit sehr viel von ihm gelernt.

Der Lagunennebel, eine Jubiläumsaufnahme zum 28. Geburtstag des Hubble-Teleskops 2018.
Foto: NASA, ESA, STScI

STANDARD: Verbinden Sie damit weitere bedeutsame Astrofotos?

DePasquale: Wichtig ist mir auch ein Bild anlässlich des 28. Hubble-Jubiläums, das den Lagunennebel zeigt. Es war eines der ersten Hubble-Bilder mit großer Wirkung, an denen ich beteiligt war. Zolt und ich hatten ausgemacht, die Daten unabhängig voneinander zu bearbeiten und dann die Ergebnisse zu vergleichen. Als Zolt meinte: "Mir gefällt dein Bild besser als meines", dachte ich mir, ich bin angekommen.

STANDARD: Wie steht es um die Webb-Bilder? Welches Webb-Bild ist für Sie das Wichtigste?

DePasquale: Das Wirkungsvollste ist für mich das Deep-Field-Bild (siehe Titelbild, Anm.), bei dem auch der Gravitationslinseneffekt mit den verzerrten Galaxien gut erkennbar ist: Ein massiver Cluster im Vordergrund sorgt mit seiner Gravitationskraft dafür, dass das Licht der Galaxien im Hintergrund auf seinem Weg durch das Universum verzerrt wird.

Auch an dieser bearbeiteten Infrarot-Aufnahme des Tarantelnebels wirkte DePasquale mit. Er bezeichnet sie als das ästhetisch ansprechendste Bild, das das Webb-Teleskop geliefert hat.
Foto: Nasa, Esa, CSA, STScI, Webb ERO Production Team

STANDARD: Und das Schönste?

DePasquale: Ästhetisch ansprechend finde ich das Bild des Tarantelnebels. Das waren die ersten Daten, die vom Observierungsprogramm gekommen sind. Anfang Juni, als ich von zu Hause arbeitete, saß ich in meinem Kellerbüro, und das Bild kam auf meinem Bildschirm in Farbe zusammen. Ich war der Erste, der es in all seiner Schönheit und allen Details gesehen hat. Da ist mir klar geworden, durch welche Schwierigkeiten wir mit dem Bau und Flug des Teleskops gegangen sind – und es jetzt perfekt funktioniert. Den Beweis dafür hatte ich vor Augen. Da musste ich mich erst einmal zurücklehnen und habe feuchte Augen bekommen.

STANDARD: Nutzen Sie – wie viele andere Menschen – eines der Webb-Bilder als Bildschirmhintergrund?

DePasquale: Tatsächlich ist auf meinem Handybildschirm das Bild der kosmischen Klippen im Carinanebel zu sehen. Mein Desktophintergrund zeigt allerdings die Milchstraße. Ich blicke quasi in unsere Galaxie, während ich arbeite. (Interview: Julia Sica, 24.12.2022)