Das Europaparlament wird seit vergangener Woche von einem Skandal erschüttert.

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Ihr Lebensgefährte, Francesco Giorgi, hat bereits gestanden, nun folgte offenbar Eva Kaili – zum Teil. Die abgesetzte Vizepräsidentin des Europaparlaments soll laut Berichten der Zeitungen La Repubblica und Le Soir zugegeben haben, von den Aktivitäten Giorgis und des ehemaligen italienischen Europaabgeordneten Pier Antonio Panzeri gewusst zu haben.

Dass "Koffer voller Geld" in ihrer Wohnung gewesen sind, war Kaili laut den zitierten Ermittlungsakten bewusst. Nach Giorgis Verhaftung soll sie zudem versucht haben, Panzeri und zwei weitere Abgeordnete zu warnen. Ihr Vater sollte das Geld verstecken.

Fluglinie und WM

Seit vergangener Woche weiß die Öffentlichkeit von den Ermittlungen der belgischen Behörden gegen eine mutmaßlich kriminelle Bande im EU-Parlament, die Schmiergelder aus Drittstaaten angenommen haben soll. Von "Katar-Gate" ist in den Medien die Rede – in Anlehnung an den Watergate-Skandal. Denn das Emirat soll hunderttausende Euro an Abgeordnete gezahlt haben, um sich günstige politische Entscheidungen zu sichern.

Spekuliert wird, ob es dabei etwa um das Luftfahrtabkommen der EU mit Katar geht, das der staatlich finanzierten Fluglinie Qatar Airways einen besseren Zugang zum EU-Markt ermöglicht. Auch der Internationale Gewerkschaftsbund steht im Verdacht, Bestechungsgelder erhalten zu haben. Immerhin änderte die Organisation ihre Position zum Arbeitsrecht in Katar von lauter Kritik zu Lobpreisungen ob angekündigter Fortschritte. Doch vor allem mit dem Ende der Fußball-WM in dem Emirat rückt die angeblich versuchte Einflussnahme durch das Königreich Marokko zusehends in den Fokus der Öffentlichkeit.

Marokkos Fische

Folgt man den Erkenntnissen von Polizei und Justiz, soll Rabat bereits viel früher als Katar interveniert haben. Panzeri – der als zentrale Figur im Korruptionsnetz gilt – war als EU-Abgeordneter nicht nur Vorsitzender im Unterausschuss für Menschenrechte, sondern führte auch den Vorsitz der Gruppe für Beziehungen zu den Maghrebstaaten.

Über Abderrahim Atmoun, den marokkanischen Botschafter in Polen, soll Panzeri Aufträge aus Marokko erhalten haben – angeleitet durch einen Agenten seines Landes. Dass der Auslandsgeheimdienst DGED seine Finger im Spiel hatte, das hat der belgische Justizminister vergangene Woche im belgischen Parlament offiziell bestätigt: "Die Interessen können vielfältig sein. Um nur eines zu nennen: Fischereirechte."

Im Zusammenhang mit Marokko sind diese seit eh und je ein hochsensibles Thema in Brüssel. Denn daran geknüpft ist die Frage, wie die EU mit dem umstrittenen Gebiet der Westsahara umgeht, auf das Rabat Anspruch erhebt – aber auch die Unabhängigkeitsbewegung, die durch die Polisario-Front vertreten wird. Das Königreich fordert, dass Meerestiere aus den fischreichen Gewässern vor der Westsahara ebenfalls Teil der Handelsvereinbarung mit der EU werden. Damit könnte Rabat seinen Gebietsanspruch weiter untermauern.

Tatsächlich hat die Union im Jahr 2019 ein Fischereiabkommen mit Marokko abgeschlossen, in dem die Westsahara eingebunden wurde, was vom Europäischen Gerichtshof wieder aufgehoben worden ist. Ob es dabei zu Einflussnahmen mit Bestechungsgeldern kam, wird derzeit untersucht.

Ex-Frau wird ausgeliefert

Belgische Medien berichten indes, dass insgesamt fünf Geheimdienste, auch aus Frankreich und Italien, seit Jahren in die Ermittlungen eingebunden waren. Der Italiener Andrea Cozzolino, der anders als Panzeri nach wie vor EU-Abgeordneter ist und bei dem der geständige Giorgi als Assistent gearbeitet hat, bestreitet alle Vorwürfe. Von den Sozialdemokraten wurde er aber vorsorglich ausgeschlossen. Und ein italienisches Gericht hat am Montag der Auslieferung von Panzeris Ex-Frau an Belgien zugestimmt.

Doch die Affäre könnte weit über eine bloße Korruptionsgeschichte hinausgehen. Denn jüngste Enthüllungen besagen, dass die italienischen Abgeordneten nicht zuletzt deshalb ins Visier der Korruptions- und Terrorfahnder gekommen sind, weil ein marokkanischer Mittelsmann Kontakt zu Personen hatte, die in Frankreich als gefährliche Islamisten eingestuft wurden. (Bianca Blei, Thomas Mayer, 21.12.2022)