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Bereits 1890 visualisierte man, wie in der Steinzeit Brot gebacken wurde. Neue Forschungsergebnisse zeigen, dass nicht nur in der Jung-, sondern bereits in der Altsteinzeit komplexere Getreidegerichte hergestellt wurden. Auch von Neandertalern.
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Nicht nur Homo sapiens kann kochen: Schon Verwandte wie der rätselhafte Homo naledi dürften Feuer genutzt haben, der Homo erectus könnte vor mindestens 780.000 Jahren zu den ersten Köchen gehört haben und bereitete unter anderem Karpfengerichte zu. Auch die Neandertaler mochten es gerne heiß, und wie sich nun zeigt, beschränkten sie sich dabei nicht auf Fisch, Fleisch und Beeren: Ein Forschungsteam erbrachte den bisher ältesten Nachweis eines verhältnismäßig komplex zubereiteten Rezepts.

Wie die britischen Forschenden um die Archäobotanikerin Ceren Kabukcu von der Universität Liverpool im Fachblatt "Antiquity" schreiben, gibt es immer mehr Indizien für pflanzliche Bestandteile im prähistorischen Speiseplan. In den Höhlen von Shanidar im heutigen Nordirak stieß das Team auf Krümel eines gekochten Gerichts.

Im Selbstversuch

Die Mitglieder versuchten auch selbst – ganz im Sinne der experimentellen Archäologie –, die Speise aus Getreidekörnern nach ihrer Analyse zuzubereiten. Dafür nutzten die Forschenden Samen der Pflanzen, die in der Fundumgebung im Zagros-Gebirge gedeihen. "Daraus entstand eine Art Pfannkuchen-Fladenbrot-Mischung, die wirklich sehr wohlschmeckend war – mit einem nussigen Geschmack", sagt Chris Hunt von der Liverpool John Moores University, der die Grabungen koordinierte.

Schon damals wurden mehrere Schritte unternommen, um Nahrungsmittel zuzubereiten. Unter anderem wurden die Körner eingeweicht – was eine Herausforderung gewesen sein dürfte, immerhin gibt es bisher keine Hinweise darauf, dass Neandertaler Schüsseln oder Töpfe herstellten und nutzten. Daher geht das Team davon aus, "dass sie ihre Samen in zurechtgefaltetem Leder einweichten", sagt Hunt.

Bitteren Geschmack behalten

Ein solches Ausmaß an kulinarischer Komplexität wurde bisher noch nie für Jäger-Sammler-Gemeinschaften der Altsteinzeit dokumentiert, schreibt Erstautorin Kabukcu in einem Beitrag für "The Conversation". Bis zur neuen Entdeckung galten Funde in Jordanien als die ältesten Spuren pflanzlicher Lebensmittel im Südwesten Asiens. Sie kommen auf rund 14.400 Jahre vor der Gegenwart. Weitere Grabungen in Griechenland, bei denen Fachleute ebenfalls auf Essensreste stießen, ergänzten die Studie zu den Kochgewohnheiten des östlichen Mittelmeerraums bis zum Irak, wenngleich diese nur auf ein Alter von 12.000 Jahren datiert wurden.

Wovon ernährten sich Neandertaler? Eine neue Studie lieferte ergänzende Einblicke. Im Bild: eine Nachbildung aus dem Neanderthal-Museum in der deutschen Stadt Mettmann.
Bild: APA/dpa/Federico Gambarini

Kabukcu und ihr Team zeigten, dass Menschen schon über zehntausende Jahre derartige Rezepte mit mehreren Zubereitungsschritten nutzten – jetzt gibt es aussagekräftige Indizien dafür. "Die Tatsache, dass die Samenhüllen nicht vollständig entfernt wurden, deutet darauf hin, dass diese Menschen etwas von dem bitteren Geschmack behalten wollten", schreibt die Wissenschafterin.

Veränderte Paläo-Diät

Bestimmte Zutaten – etwa wilde Mandeln, Früchte und Terebinth-Pistazien mit ihren bitteren, scharfen und sauren Aromen – wurden in der späteren Altsteinzeit, vor 40.000 bis 10.000 Jahren, an unterschiedlichen Orten Europas und Asiens verzehrt. Damit könnten Gerichte, die aus ihnen hergestellt wurden, "zu den Ursprüngen menschlicher kulinarischer Praktiken" gehören, unterstreicht Kabukcu.

Die bisherigen Funde machen zudem deutlich: Eine "Paläo-Diät" bestand im Jungpaläolithikum aus mehr als Fleisch und Obst. Neandertaler und moderne Menschen aßen durchaus diverse Knollen, Hülsenfrüchte und Gräser, auch mit absichtlichem oder versehentlichem medizinischen Nutzen. Das zeigen Essensreste, die im Gebiss von Neandertalerskeletten erhalten wurden.

Beanspruchte Zähne

Der Forschungsstand demonstriere aber ebenfalls, dass sich Pflanzennahrung nicht so konsequent als Hauptproteinquelle nachweisen lässt wie andere Nahrungsmittel. Neandertaler in Europa dürften zu dieser Zeit vor allem Fleischfresser gewesen sein, fasst die Forscherin jüngere Studien zusammen: "Die Ernährung des Homo sapiens war offenbar vielfältiger als die des Neandertalers und enthielt einen höheren pflanzlichen Anteil."

Ein wenig angenehmer Aspekt des nun analysierten und getesteten Rezepts: Das Zerreiben der Samen mit Steinen aus der Region dürfte zusätzlich für einen gewissen Knirschfaktor beim Essen gesorgt haben, sagt Hunt. "Nach dem Probieren des nachgekochten Rezepts denke ich, dass wir verstehen, warum die Zähne der Neandertaler in einem so schlechten Zustand waren."

Das Rezept

Will man das prähistorische Rezept für eine Art Fladenbrot oder Körnerpatty nachkochen, sind folgende Schritte nötig, die Ko-Autor Chris Hunt lieferte:

  • Grassamen (beispielsweise Gersten- oder Weizenkörner) und (braune) Linsen im Verhältnis 2:1 besorgen und über Nacht einweichen.
  • Die überschüssige Flüssigkeit abgießen.
  • Das Gemisch mahlen – mit Mörser und Stößel oder einem Stabmixer. Für die authentische Note nicht zu fein mahlen, die Bestandteile sollten auf maximal ein bis zwei Millimeter zerkleinert werden.
  • Dabei und/oder danach Wasser hinzugeben, um einen dicken Brei herzustellen.
  • Einen Teil des Breis auf ein flaches Blech oder in eine Bratpfanne geben (oder einen flachen Stein am Lagerfeuer nutzen. Vorsicht: Feuchte Steine können bei Hitze platzen).
  • Braten und wenden, bis beide Seiten gebräunt sind – lieber 15 bis 20 Minuten bei niedriger Hitze.

Wer das 70.000 Jahre alte – für heutige Verhältnisse freilich schlichte – Rezept aus der südwestasiatischen Region interessanter machen möchte, kann den Brei auch um ungesalzene Pistazien, Saubohnen und Senfkörner ergänzen. Die Vorfahren dieser Pflanzen wurden in dieser Region immerhin schon vor 40.000 Jahren zu Brei verarbeitet. Auch Mandeln wurden offenbar schon von Neandertalern verzehrt. "Guardian"-Wissenschaftsjournalistin Linda Geddes versuchte sich selbst an der Zubereitung und resümiert: Das Ergebnis ist "überraschend schmackhaft".

Heutige gezüchtete Pflanzen schmecken anders als damalige wilde Sorten – dennoch kann man sich einen groben Eindruck davon machen, wie der kulinarische Alltag der Menschen damals ausgesehen haben könnte. Wer sich das Nachwürzen mit Salz oder anderen Mitteln nicht verkneifen kann, dem sei auch dieser Anachronismus verziehen. Was wiederum gut in die Zeit und die Region passt: eine Portion gegrilltes Ziegenfleisch oder Fisch. (Julia Sica, 27.12.2022)