Ab 2024 neuer Hausherr am Burgtheater: Stefan Bachmann.

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Seit den frühen 1990er-Jahren schien das deutschsprachige Theater nach Frischluft zu schnappen. Da kamen dem nimmersatten Betrieb gerade solche Theatermacher (seltener: Theatermacherinnen) recht, die sich und anderen versprachen, die Türen der Institute sperrangelweit aufzureißen. Und so, wie der Zürcher Stefan Bachmann, eine Reform "von unten" anzustoßen. Um mit heiterer Entschlossenheit den Froh- mit dem Tiefsinn zu mixen. Heute leitet Bachmann, ein freundliches Chamäleon der Bühnenkünste, seit 2013 das Schauspielhaus in Köln. Und wurde jetzt von Staatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) zum Nachfolger von Martin Kušej als Herr über das Wiener Burgtheater auserkoren.

Erst vergangenes Jahr übrigens war Bachmanns Vertrag vom Hauptausschuss der Stadt Köln bis 2026 nochmals verlängert worden, dabei war die Sanierung des Hauses am Kleinen Offenbachplatz noch gar nicht abgeschlossen. Doch Bachmann hatte sich seinen Ruf als Troubleshooter redlich verdient. Und trotzte den widrigen Spielumständen.

Erste Wiener Arbeiten im Schauspielhaus

Furore machte Bachmann, der ab 2024 in der Burg-Direktion residieren soll, bereits sehr früh – als Student. Anfang der 1990er schloss er sich mit Mitverschworenen wie Ricarda Beilharz, Lars-Ole Walburg und Thomas Jonigk zum "Theater Affekt" zusammen. Vorher hatte sich der Eidgenosse durch allerlei Studien geboxt, war nach Berlin übersiedelt und hatte dort Theaterluft geschnuppert.

Als Off-Theater blies die Berliner "Gang" den Puder von Perücken. Bachmann und Co machten sich aus Corneille und Kleist vor allem einen Spaß. In seinen frühen Jahren – Bachmann hatte einmal bei Luc Bondy hospitiert – erweckte der Inszenierungskünstler den Eindruck des notorischen Luftikus. Seine ersten Wiener Arbeiten fanden allesamt im Schauspielhaus in der Porzellangasse statt. Aus entlegenen oder kurios ironischen Stoffen zimmerte er Singspiele. In Goethes "Stella" oder Cyril Tourneurs "Die Tragödie der Rächer" fand Bachmann genügend Anhaltspunkte für Scherz, Satire und höheren Unsinn.

Postmoderne Befreiungsschläge

Bachmann glich einem jünglinghaften Günstling von Göttin Fortuna. Einen entschiedenen Fürsprecher fand er im deutschen Theaterintellektuellen Ivan Nagel. Der betraute ihn 1997 bei den Salzburger Festspielen mit der Inszenierung von Shakespeares Antikriegstragödie "Troilus und Cressida". Prompt gab Bachmann den Pulk der Griechenfürsten der Lächerlichkeit preis. Heerführer Agamemnon schwätzte plötzlich daher wie sonst nur der deutsche Dauerbundeskanzler Helmut Kohl. Und Troilus und Cressida, das holde, hohe Paar, wurde zwischen den Mühlsteinen der Militärpolitik schmählich zerrieben.

Es waren solche postmodern anmutenden Befreiungsschläge der Inszenierungskunst, die die Person Bachmanns für die Leitung eines erstrangigen Theaters interessant machten. Als Schauspieldirektor in Basel verwandelte er von 1998 bis 2003 prompt das ästhetische Erscheinungsbild seiner Arbeiten. Fand zum Beispiel die Ausdauer und die Muße, den "Seidenen Schuh" des Erzkatholiken Paul Claudel aufzuführen – acht Stunden lang, von Nachmittag bis Abend, ein dicht verwobenes Netz aus Menschen, Mythen und Ansichtssachen, mit Kitsch gesalbt, in Pop und Trash gebadet.

Ejakulierende Stofftiere

Unvergesslich auch Bachmanns Uraufführungsinszenierung von Rainald Goetz' Kunstmarktbeschwörung "Jeff Koons" 1999 am Hamburger Schauspielhaus: Das als Zeitgeistkommentar angelegte Stück verwandelte er kurzerhand in eine Parade – von Schlagobers ejakulierenden Riesenstofftieren. Längst war Bachmann auch Burgtheater-tauglich geworden. Für die Inszenierung von Wajdi Mouawads "Verbrennungen" am Wiener Akademietheater, einer Familiensaga vor dem Hintergrund des libanesischen Bürgerkriegs, heimste er 2008 einen "Nestroy" ein.

Mochte der Leumund seiner Basler Direktionsarbeit gemischt gewesen sein: Als Regie führender Theatermann bewies er wiederholt Gespür für vorhandene Mittel und Temperamente – gerade auch in Wien. Elfriede Jelineks "Winterreise" nagelte er kurzentschlossen auf eine steil abfallende Skipiste (2012). Der Ton seiner Arbeiten war unüberhörbar ernster geworden. Sein inszenatorisches Mütchen kühlte er fortan vornehmlich in Köln.

Mobbingvorwürfe

Dort wurde er anno 2018 sogar mit Mobbingvorwürfen konfrontiert: Bachmann soll im Verein mit seiner Frau, der Schauspielerin Melanie Kretschmann, unter manchen Angestellten ein "Klima der Angst" erzeugt haben. Die Unstimmigkeiten wurden planiert, ein kleines Fragezeichen blieb freilich stehen.

Den Brief von Burgtheater-Angestellten, wonach Vorvorgänger Matthias Hartmann Macht missbräuchlich verwendet habe, lobte Stefan Bachmann im STANDARD-Interview dafür ausdrücklich. "Es geht ganz klar um die Benennung von Personen, die sich solcher Übergriffe schuldig machen." Man kann dem gereiften Intendanten und Regisseur zutrauen, dass er nicht nur Wasser predigt, um gegenüber dem Ensemble am Wein zu nippen. Die Nachdenklichkeit, um den Burgtheater-Bediensteten ein guter Hausvater zu werden, besitzt er inzwischen sehr wohl. (Ronald Pohl, 21.12.2022)